"Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen."
Mittags im katholischen Priesterseminar in Erfurt.
In der kleinen Kapelle sitzen 15 junge Männer und beten. Durch die bunten Glasbausteine scheint die Sonne. Eine Marienfigur strahlt in Gold.
"Bitte für uns, o heilige Gottesmutter..."
(alle) "...dass wir würdig werden der Verheißung Christi."
Es ist das Angelus-Gebet, das diesen Teil des Tages strukturiert.
Die jungen Männer studieren hier Theologie. Und sie üben geistliches Leben. Sie sind der Priesternachwuchs für fünf Bistümer. Berlin, Dresden-Meißen, Magdeburg, Görlitz und Erfurt. Eine Generation Geistlicher in einer großen Region. Jeder von ihnen wird einmal eine der immer größer werdenden Gemeinden begleiten. Die XXL-Gemeinden, wie sie genannt werden. Und dies hier ist die Zeit der Vorbereitung. Die jungen Männer gehen auf den Tag des Gelübdes zu, an dem sie versprechen, gehorsam zu sein, keusch und arm zu leben.
Es geht nach nebenan. Dort sind die Tische gedeckt. Noch ein kurzes Gebet, dann gibt es Königsberger Klopse, asiatisch gewürzt.
Hier an diesen Tischen saßen schon einmal mehr Seminaristen.
Die Zahl der Priesterkandidaten befindet sich deutschlandweit auf einem historischen Tiefstand. 1998 traten noch 215 junge Männer in die Priesterseminare ein. Seitdem ist ihre Zahl kontinuierlich gesunken auf 120 im vergangenen Jahr. Dieses Thema beschäftigt die Gemeinden. In den letzten Wochen und Monaten haben sich immer mehr katholische Christen zu Wort gemeldet:
Als Lösung für das Problem des Priestermangels schlagen sie vor, dass auch verheiratete Männer regulär zur Weihe zugelassen werden können. Lieber ein Priester mit Frau, sagen sie, als gar keinen. Zuletzt unterschrieben 50.000 Menschen ein Memorandum, in dem sie die katholische Kirche Deutschlands aufforderten, unter anderem dies zu ermöglichen. Die katholischen Bischöfe zeigen sich – wie jüngst zur Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz - zwar grundsätzlich gesprächsbereit. Gleichzeitig geben sie aber zu verstehen, dass der Zölibat nicht zur Debatte stehe, dies sei 'lehramtlich geklärt'.
Im Vorfeld hatten lediglich die Bischöfe von Bamberg und Hamburg die viri probati, also die "bewährten, verheirateten" Männer, für diskussionswürdig gehalten.
"Für mich war es wichtig, dass ich in meinem Leben etwas tun kann, was auch wirklich mein ganzes Leben umfasst, also nicht nur ein Beruf, sondern wirklich auch existenziell mein Leben einsetzen."
… sagt Philipp Janek, er ist 21.
"Die Überlegung, auch wenn's jetzt ein bisschen formelhaft klingt, ganz Gott gehören zu wollen und in seinem Dienst auch zu stehen und verfügbar zu sein."
Falk Weckner ist 33, war erst Jurist, nun will auch er Priester werden.
"Ich würde auch argumentieren mit dem Persönlichen, dass ich es mir auch am besten vorstellen kann, ganz einfach ganz für den Dienst da zu sein. Und nicht sozusagen die Familie dabei zu haben, die dann meines Erachtens immer den Kürzeren ziehen müsste."
Johannes Kienemund ist 25.
Aufgeräumt und selbstsicher wirken die drei. Ihr Weg erscheint klar und entschieden. Ja, der Zölibat werde immer mal wieder diskutiert, sagen sie. Nur: Die Argumente sind ausgetauscht.
"Die Debatte selbst erscheint mir doch ausgelutscht. Also es kommen ja doch nirgendwo neue Gesichtspunkte auf."
Sie haben es zur Kenntnis genommen: das Memorandum der 300 Theologieprofessorinnen und –professoren "Kirche 2011 – ein notwendiger Aufbruch", in dem es unter anderem um eine Lockerung des Zölibates geht, und das – wie gesagt - bereits 50.000 Unterstützer gefunden hat. Es gibt aber auch eine Gegenpetition, sie heißt "pro ecclesia" und listet 12.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner auf. Die Aufregung über das Thema, zum Beispiel in den Leserbriefspalten, können die angehenden Priester nicht nachvollziehen. Sie ärgern sich auch über den Brief der CDU-Politiker – unter ihnen Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundesministerin Annette Schavan, die Altministerpräsidenten Bernhard Vogel, Dieter Althaus, Erwin Teufel und der NRW-Landtagsabgeordnete Thomas Sternberg. Der kleine hochaktive Kreis von Christdemokraten hatte sich immer wieder einmal zu Wort gemeldet, wenn es um seine Kirche ging. Und nun fordert auch er eine Lockerung des Zölibates – wie gesagt ein altbekanntes Thema in der katholischen Kirche.
"Das ist also schon 1970 intensiv diskutiert worden, auch im 2. Vatikanischen Konzil, auch zur Würzburger Synode, auch der gegenwärtige Papst hat das sehr deutlich gesagt 'Wir werden dazu kommen müssen, dass man auch verheiratete Männer zu Priestern weihen muss."
Thomas Sternberg ist CDU-Abgeordneter im nordrhein-westfälischen Landtag. Er hat unter anderem Theologie studiert, leitet neben seiner Abgeordneten-Tätigkeit die katholische soziale Akademie in Münster und gehört dem Zentralkomitee der deutschten Katholiken an.
"Ich glaube, dass der Zölibat auch heute wichtig ist. Ich bin gar kein Kämpfer gegen den Zölibat."
… sagt der verheiratete Mann. Fügt aber hinzu:
"Ich glaube, dass der Zölibat als Wert nicht so bedeutend ist, dass er nicht deutlich unter dem Wert der gemeinsamen Eucharistie-Feier und der Versorgung der Gemeinden mit Priestern geändert werden könnte."
"Wir wollen nicht dafür plädieren, den Zölibat abzuschaffen","
… sagt auch Mitunterzeichner Bernhard Vogel, Ministerpräsident a.D. von Thüringen und Rheinland-Pfalz.
""Wir achten ihn und hoffen, dass es ihn immer als Lebensform geben wird. Wir sind nur dafür, dass - wie in anderen christlichen, auch mit Rom unierten Kirchen es daneben auch verheiratete Geistliche geben kann, weil wir Sorge haben, dass das christliche Leben erstirbt, wenn die Gemeinden ersterben."
Bernhard Vogel gehörte lange dem Zentralkomitee der Katholiken an, war deren Präsident. Er sorgt sich um die immer größer werdenden Gemeinden, die von immer weniger Priestern begleitet werden.
Nun gut, alle wissen: Es gibt bereits Ausnahmen beim Zölibat, auch wenn man die in Deutschland an einer Hand abzählen kann. Es sind konvertierte evangelische Geistliche, die – bereits verheiratet – katholisch geweiht wurden. Weltweit sollen es 300 sein, für die Rom eine solche Sonderregelung erlaubt hat. Klar ist aber: Die Ausnahme bestätigt die Regel, und die kann nur in Rom geändert werden.
"Das will ich ja gar nicht verleugnen. Aber es kann doch nicht, weil weltweit nichts geschieht, auch regional nichts geschehen."
Die Seminaristen in Erfurt sehen sich in Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehrmeinung. Die CDU-Stimmen weisen sie zurück.
"Die Aufgabe eines Politikers ist es eben gerade nicht, sich in innerkirchliche Angelegenheiten einzumischen, sondern das zu diskutieren, was für den Staat gut ist, und darüber zu debattieren und Entscheidungen zu finden. Ich glaube auch nicht, dass der Papst irgendetwas zu irgendwelchen Steuererleichterungen in Deutschland sagen würde und - also ich denke: Da verschwimmen die Ebenen."
Bernhard Vogel, der unter anderem lange dem CDU-Bundesvorstand angehörte, tritt dieser Kritik entgegen.
"Kirche ist nicht nur die Hierarchie. Kirche sind Bischöfe und Priester, aber Kirche sind auch die Laien. Und es ist nicht nur unser Recht, sondern unsere Pflicht, uns in diese Diskussion einzuschalten. Und es gibt keinen einzigen Grund, dass, weil wir Politiker sind, wir uns zur Lage in unserer Kirche etwa nicht äußern dürften. Selbstverständlich: Auch wir sind Kirche."
Auch der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Sternberg wehrt sich gegen Denk- und Sprechverbote.
"Wovor hat hier eigentlich wer Angst? Haben da Laien irgendwie Angst, dass irgendein Bischof sagen könnte: 'Das darfst du aber nicht sagen'? Oder haben die Bischöfe Angst davor, dass Rom sagen könnte: 'Du, du, du, Bischof darfst aber nichts sagen'? Wieso können wir eigentlich nicht eine völlig normale Kommunikationsstruktur haben, wie die überall in der Welt üblich ist. Wo sind denn eigentlich Sanktionsmöglichkeiten, die jemandem verbieten könnten, einen Gedanken zu denken?!"
Die drei jungen angehenden Priester sitzen nach dem Essen in einem Besprechungsraum. Dunkle Möbel, ein Kreuz an der Wand. Die Gardine dimmt das Tageslicht. Hier drinnen im Priesterseminar sieht man den Zölibat nicht schwanken. Im Gegenteil. Er wird als herausragendes Zeichen gesehen. Darüber könne man nicht wirklich beraten.
"Es gibt die Möglichkeit, über die Strukturen zu sprechen, sofern sie menschliche Einrichtungen darstellen. Und bestimmte Dinge, zum Beispiel das Amt, sind aber keine menschliche Einrichtung, sondern sind von Gott gesetzt."
"Was mein Eindruck immer so ist, dass man jetzt versucht, gesellschaftliche Normen auf die Kirche umzumünzen, also die Kirche muss eigentlich genau so sein oder genau so funktionieren, wie eine Gesellschaft. Man fordert Bischofswahlen demokratisch, man versucht den Zölibat aufzuheben, die Gleichstellung von Mann und Frau und Priesterinnen ..."
Die katholische Kirche - eine eigene Welt? Thomas Sternberg schüttelt energisch den Kopf.
"Genau das habe ich mich immer geweigert anzunehmen: dass die katholische Kirche eine Welt in der Welt wäre. Ich habe uns immer so verstanden als Katholiken in der Welt, so wie Salz und Sauerteig, um biblische Bilder zu nehmen. Oder so, wie es der Diognetbrief im 3. Jahrhundert schon schreibt, dass er sagt: Wir sind nicht anders als die anderen auch. Wir unterscheiden uns nicht von den anderen. Wir unterscheiden uns darin, dass wir glauben und dass wir etwas anderes tun."
Im Erfurter Seminar werden die jungen Männer auch vom Leiter des Priesterseminars bestärkt, von Wolfgang Ipolt. Der Regens ist selber Priester. Auch er hält die verbindliche Ehelosigkeit für wichtig.
"Das Ganze ist ja eine Glaubensfrage. Also letztlich: Wie stark ist mein Glaube, dass ich alles auf Gott setzen kann."
Er begründet den Zölibat folgendermaßen:
"Jesus hat unverheiratet gelebt, hat seine Botschaft verkündet. Und das soll der Priester darstellen. Das soll er mit seinem ganzen Leben mit Haut und Haar den Leuten verkünden und zeigen."
Bernhard Vogel kennt diese Argumentation. Und erwidert ruhig, was ebenfalls schon seit eh und je dazu gesagt wurde: Der Zölibat ist nicht heilsnotwendig.
"Zumal, wie ja viele wissen, es sich beim Zölibat nicht um ein Gebot Christi, sondern um eine allerdings alte, sehr ehrwürdige Tradition in der katholischen Kirche handelt, etwa 1000 Jahre. Aber 1000 Jahre vorher war es nicht so. Eine solche Änderung ist also von der Offenbarung und von der Heiligen Schrift her durchaus möglich."
Vogel verweist auf Petrus, den die katholische Kirche als ersten Papst sieht. Er war verheiratet, in der Bibel ist seine Schwiegermutter erwähnt. Auch viele Jünger Jesu waren verheiratet. Ebenso konnten Geistliche in der frühen Zeit des Christentums heiraten. Erst im Jahre 1022 wurde auf der Synode zu Pavia die Ehelosigkeit als Zugangsvoraussetzung zum Priesteramt festgeschrieben.
Thomas Sternberg beobachtet aufmerksam den enormen Vertrauensverlust, den die katholische Kirche im vergangenen Jahr unter anderem durch die aufgedeckten Fälle sexuellen Missbrauchs erlitten hat. Und er sagt, dass verschiedene Kreise verschieden darauf reagieren. Die einen, indem sie Reformen fordern, die anderen, indem sie um so stärker am Bisherigen festhalten. Er spricht von der Gefahr des Fundamentalismus.
"Und das führt natürlich zu Ergebnissen, die nicht nur unkatholisch sind, die allem Hohn sprechen, was an theologischer Diskussion seit Christi Zeiten an gegolten hat. Also eine solche Engführung als 'kleine Herde', als sektiererische Gruppe, die sich gegen eine böse Welt draußen abschotten muss, das ist zwar von einigen heute so vertreten und so versuchen die zu leben. Aber das ist selbstverständlich nicht der Weg der katholischen Kirche. Das ist und bleibt unkatholisch."
Jena ist von Erfurt nur eine knappe Autostunde entfernt. Hier arbeitet Gerhard Streicher. Er ist Familientherapeut. Seine Praxis nennt sich "Beziehungswerkstatt." Im Gruppenraum stehen Stühle im Kreis, in der Mitte liegt eine dicke Kordel auf dem Boden. Ein Lebensfaden, erklärt Gerhard Streicher. Spielfiguren stehen für Stationen eines Lebens, für Menschen. Vorhin war hier im Raum eine Gruppe, es ging um Biografien.
Nun nimmt der Therapeut Platz und trinkt einen Tee.
Früher einmal hat auch er zölibatär gelebt. Damals, noch zu DDR-Zeiten, war er Priester geworden. Er hatte die Wahl zwischen Staat und Kirche. Er ging mit Haut und Haaren in den kirchlichen Beruf. War Priester in Sangerhausen, Halle und Leipzig, später Seelsorger im Krankenhaus. Mit Leidenschaft. Er führte ein geistliches Leben.
"Und in diesem Kontakt habe ich dann auch meine spätere Frau kennengelernt. Und hab gemerkt, dass ich in der Beziehung zu ihr vieles gewonnen habe, was mich als Priester qualifiziert hat. Aber: Eigentlich ging das ja gar nicht."
Sieben Jahre habe es gekostet, ein langes Ringen mit sich, der Kirche und der Liebe. Dann war es gut, sagt er. Er gab den Priesterberuf auf, schloss die Tür hinter sich. Mit fast nichts in der Hand stand er dann auf der Straße. Der kirchliche Bildungsabschluss galt in der DDR nichts. Er hatte wohl Qualitäten, aber keine akzeptierten Zeugnisse.
"Ich hatte aber damals eine Arbeitsstelle in der Psychiatrie als Soziotherapeut."
Später arbeitete er unter anderem mit Alkoholabhängigen und machte mit seiner Frau eine eigene psychotherapeutische Praxis auf. Er begleitet Menschen, auch Paare in Krisen. Immer wieder geht es um die Sehnsucht der Menschen nach Geborgenheit und den Drang nach Freiheit. Wie kann der Zölibat da helfen?
"Die Lebensform des Zölibats hilft insofern, dass ich erstmal Ruhe hab. Ich muss mich nicht anstrengen, diesen richtigen Abstand zu finden, sondern es ist mir schon was vorgegeben und ich kann mich da hineinbegeben und vielleicht auch meine Aufmerksamkeit anderen Dingen widmen. Das schon."
Im Rückblick sagt Gerhard Streicher, der Zölibat sei in einer Phase seines Lebens die angemessene Lebensform gewesen.
"Aber irgendwann sind wir dann doch alle an dieser Stelle gefragt. Also das kann in der Entwicklung zur menschlichen Reife hin nicht einfach übergangen werden, dieses Mann-und-Frau- und das Thema Nähe und Abstand, nicht nur zur Frau, sondern zu allen Menschen überhaupt."
Der Zölibat sei außerdem ein Machtinstrument. Er stachele erst den Ehrgeiz an. Ähnlich wie bei Managern in der Wirtschaft. Sie sollen voll flexibel sein, immer im Einsatz, unabgelenkt. Der Betreffende wolle ja auch zeigen, dass er es packt, dass er gut ist, dass er herausragt. Aber was, wenn er dann feststellt, dass da doch menschliche Gefühle sind, Liebe, Sehnsucht? Dann fällt das Idealbild zusammen.
"Und dann kommen die Schuldgefühle. Und mit diesen Schuldgefühlen bleibt ein Mensch - ja: manipulierbar."
Wäre er gerne weiter Priester geblieben? Ein verheirateter? Er überlegt einen Moment. Das war ja nicht die Frage. Dann aber sagt er: Ja. Nur nicht in dieser Kirche. Die ist ihm zu eng geworden.
Im Priesterseminar Erfurt kommt die Rede nicht all zu oft auf Ex-Priester. Gut, manchmal trifft man einen zu Feiertagen, sagt der Leiter des Seminars, Wolfgang Ipolt.
"Manchmal gibt es so im Gottesdienst eine Fürbitte für jemanden oder für Priester oder Eheleute, die das nicht durchgehalten haben. Finde ich auch sehr schön. Weil das auch ein geistliches Verarbeiten ist. Das müssen wir mittragen, nicht?! Kirche ist und bleibt Gemeinschaft auch der Sünder und der Unvollkommenen."
Die verheirateten Männer - sündig und unvollkommen?
Der frühere Priester Gerhard Streicher kennt diese Haltung. Er deutet sie als Angst vor Veränderung.
Der Berater sieht die Kirche als eine Institution, die wie eine Waage funktioniert. Sie müsse die Balance halten zwischen der Bewahrung des Tradierten und der Veränderung. Es müsse ein fließender Prozess sein, mal mehr festzuhalten, mal wieder einen Schritt zu wagen.
"Deshalb um so dringender mein Rat: Geht die Veränderung an, damit es nicht überfällig wird, und dann plötzlich nur noch Veränderung kommt und die Bewahrung für eine Zeit lang außer Sichtweite gerät."
Im Herbst kommt der Papst nach Deutschland. Auch nach Erfurt. Regens Wolfgang Ipolt hofft, dass der Papst den Zölibat stärkt. Er glaubt nicht, dass die Zulassung von verheirateten Männern für das Priesteramt ernsthaft ansteht
"Von daher erhoffe ich mir vom Heiligen Vater ein stärkendes Wort für unseren Weg und unseren Dienst."
Thomas Sternberg findet es kurios, dass die Deutsche Bischofskonferenz die Debatte abwürgen wollte mit dem Verweis, das sei nicht angebracht in dem Jahr, in dem der Papst kommt. Ja, wann denn sonst, sagt der engagierte Katholik. Joseph Ratzinger habe über die viri probati schon vor vierzig Jahren nachgedacht.
"Und Joseph Ratzinger war als Professor, als Kardinal und ist auch als Papst der letzte, der nicht einer offenen intellektuellen Diskussion sich stellen wird. Der würde sich wahrscheinlich wundern, wenn er es mit reinen Duckmäusern zu tun hätte, die die Dinge nicht auf den Tisch bringen, die überall diskutiert werden."
Gerhard Streicher verfolgt diese Diskussion von außen. Der Ex-Priester macht Menschen und Institutionen gern Mut, Herausforderungen ins Auge zu schauen und noch nicht vorher zu wissen, was dieses Schauen bewirkt. Er wünscht der Kirche mehr Offenheit für andere Lebensentwürfe – auch bei Priestern.
"Ich wünsche ihr, dass sie nicht davor Angst hat, eine andere Kirche zu werden. Diese Angst sehe ich allenthalben. Es lohnt sich aber. Und ich glaube auch, dass sie Gott näher kommt, wenn sie bereit ist, sich zu verändern."
Mittags im katholischen Priesterseminar in Erfurt.
In der kleinen Kapelle sitzen 15 junge Männer und beten. Durch die bunten Glasbausteine scheint die Sonne. Eine Marienfigur strahlt in Gold.
"Bitte für uns, o heilige Gottesmutter..."
(alle) "...dass wir würdig werden der Verheißung Christi."
Es ist das Angelus-Gebet, das diesen Teil des Tages strukturiert.
Die jungen Männer studieren hier Theologie. Und sie üben geistliches Leben. Sie sind der Priesternachwuchs für fünf Bistümer. Berlin, Dresden-Meißen, Magdeburg, Görlitz und Erfurt. Eine Generation Geistlicher in einer großen Region. Jeder von ihnen wird einmal eine der immer größer werdenden Gemeinden begleiten. Die XXL-Gemeinden, wie sie genannt werden. Und dies hier ist die Zeit der Vorbereitung. Die jungen Männer gehen auf den Tag des Gelübdes zu, an dem sie versprechen, gehorsam zu sein, keusch und arm zu leben.
Es geht nach nebenan. Dort sind die Tische gedeckt. Noch ein kurzes Gebet, dann gibt es Königsberger Klopse, asiatisch gewürzt.
Hier an diesen Tischen saßen schon einmal mehr Seminaristen.
Die Zahl der Priesterkandidaten befindet sich deutschlandweit auf einem historischen Tiefstand. 1998 traten noch 215 junge Männer in die Priesterseminare ein. Seitdem ist ihre Zahl kontinuierlich gesunken auf 120 im vergangenen Jahr. Dieses Thema beschäftigt die Gemeinden. In den letzten Wochen und Monaten haben sich immer mehr katholische Christen zu Wort gemeldet:
Als Lösung für das Problem des Priestermangels schlagen sie vor, dass auch verheiratete Männer regulär zur Weihe zugelassen werden können. Lieber ein Priester mit Frau, sagen sie, als gar keinen. Zuletzt unterschrieben 50.000 Menschen ein Memorandum, in dem sie die katholische Kirche Deutschlands aufforderten, unter anderem dies zu ermöglichen. Die katholischen Bischöfe zeigen sich – wie jüngst zur Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz - zwar grundsätzlich gesprächsbereit. Gleichzeitig geben sie aber zu verstehen, dass der Zölibat nicht zur Debatte stehe, dies sei 'lehramtlich geklärt'.
Im Vorfeld hatten lediglich die Bischöfe von Bamberg und Hamburg die viri probati, also die "bewährten, verheirateten" Männer, für diskussionswürdig gehalten.
"Für mich war es wichtig, dass ich in meinem Leben etwas tun kann, was auch wirklich mein ganzes Leben umfasst, also nicht nur ein Beruf, sondern wirklich auch existenziell mein Leben einsetzen."
… sagt Philipp Janek, er ist 21.
"Die Überlegung, auch wenn's jetzt ein bisschen formelhaft klingt, ganz Gott gehören zu wollen und in seinem Dienst auch zu stehen und verfügbar zu sein."
Falk Weckner ist 33, war erst Jurist, nun will auch er Priester werden.
"Ich würde auch argumentieren mit dem Persönlichen, dass ich es mir auch am besten vorstellen kann, ganz einfach ganz für den Dienst da zu sein. Und nicht sozusagen die Familie dabei zu haben, die dann meines Erachtens immer den Kürzeren ziehen müsste."
Johannes Kienemund ist 25.
Aufgeräumt und selbstsicher wirken die drei. Ihr Weg erscheint klar und entschieden. Ja, der Zölibat werde immer mal wieder diskutiert, sagen sie. Nur: Die Argumente sind ausgetauscht.
"Die Debatte selbst erscheint mir doch ausgelutscht. Also es kommen ja doch nirgendwo neue Gesichtspunkte auf."
Sie haben es zur Kenntnis genommen: das Memorandum der 300 Theologieprofessorinnen und –professoren "Kirche 2011 – ein notwendiger Aufbruch", in dem es unter anderem um eine Lockerung des Zölibates geht, und das – wie gesagt - bereits 50.000 Unterstützer gefunden hat. Es gibt aber auch eine Gegenpetition, sie heißt "pro ecclesia" und listet 12.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner auf. Die Aufregung über das Thema, zum Beispiel in den Leserbriefspalten, können die angehenden Priester nicht nachvollziehen. Sie ärgern sich auch über den Brief der CDU-Politiker – unter ihnen Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundesministerin Annette Schavan, die Altministerpräsidenten Bernhard Vogel, Dieter Althaus, Erwin Teufel und der NRW-Landtagsabgeordnete Thomas Sternberg. Der kleine hochaktive Kreis von Christdemokraten hatte sich immer wieder einmal zu Wort gemeldet, wenn es um seine Kirche ging. Und nun fordert auch er eine Lockerung des Zölibates – wie gesagt ein altbekanntes Thema in der katholischen Kirche.
"Das ist also schon 1970 intensiv diskutiert worden, auch im 2. Vatikanischen Konzil, auch zur Würzburger Synode, auch der gegenwärtige Papst hat das sehr deutlich gesagt 'Wir werden dazu kommen müssen, dass man auch verheiratete Männer zu Priestern weihen muss."
Thomas Sternberg ist CDU-Abgeordneter im nordrhein-westfälischen Landtag. Er hat unter anderem Theologie studiert, leitet neben seiner Abgeordneten-Tätigkeit die katholische soziale Akademie in Münster und gehört dem Zentralkomitee der deutschten Katholiken an.
"Ich glaube, dass der Zölibat auch heute wichtig ist. Ich bin gar kein Kämpfer gegen den Zölibat."
… sagt der verheiratete Mann. Fügt aber hinzu:
"Ich glaube, dass der Zölibat als Wert nicht so bedeutend ist, dass er nicht deutlich unter dem Wert der gemeinsamen Eucharistie-Feier und der Versorgung der Gemeinden mit Priestern geändert werden könnte."
"Wir wollen nicht dafür plädieren, den Zölibat abzuschaffen","
… sagt auch Mitunterzeichner Bernhard Vogel, Ministerpräsident a.D. von Thüringen und Rheinland-Pfalz.
""Wir achten ihn und hoffen, dass es ihn immer als Lebensform geben wird. Wir sind nur dafür, dass - wie in anderen christlichen, auch mit Rom unierten Kirchen es daneben auch verheiratete Geistliche geben kann, weil wir Sorge haben, dass das christliche Leben erstirbt, wenn die Gemeinden ersterben."
Bernhard Vogel gehörte lange dem Zentralkomitee der Katholiken an, war deren Präsident. Er sorgt sich um die immer größer werdenden Gemeinden, die von immer weniger Priestern begleitet werden.
Nun gut, alle wissen: Es gibt bereits Ausnahmen beim Zölibat, auch wenn man die in Deutschland an einer Hand abzählen kann. Es sind konvertierte evangelische Geistliche, die – bereits verheiratet – katholisch geweiht wurden. Weltweit sollen es 300 sein, für die Rom eine solche Sonderregelung erlaubt hat. Klar ist aber: Die Ausnahme bestätigt die Regel, und die kann nur in Rom geändert werden.
"Das will ich ja gar nicht verleugnen. Aber es kann doch nicht, weil weltweit nichts geschieht, auch regional nichts geschehen."
Die Seminaristen in Erfurt sehen sich in Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehrmeinung. Die CDU-Stimmen weisen sie zurück.
"Die Aufgabe eines Politikers ist es eben gerade nicht, sich in innerkirchliche Angelegenheiten einzumischen, sondern das zu diskutieren, was für den Staat gut ist, und darüber zu debattieren und Entscheidungen zu finden. Ich glaube auch nicht, dass der Papst irgendetwas zu irgendwelchen Steuererleichterungen in Deutschland sagen würde und - also ich denke: Da verschwimmen die Ebenen."
Bernhard Vogel, der unter anderem lange dem CDU-Bundesvorstand angehörte, tritt dieser Kritik entgegen.
"Kirche ist nicht nur die Hierarchie. Kirche sind Bischöfe und Priester, aber Kirche sind auch die Laien. Und es ist nicht nur unser Recht, sondern unsere Pflicht, uns in diese Diskussion einzuschalten. Und es gibt keinen einzigen Grund, dass, weil wir Politiker sind, wir uns zur Lage in unserer Kirche etwa nicht äußern dürften. Selbstverständlich: Auch wir sind Kirche."
Auch der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Sternberg wehrt sich gegen Denk- und Sprechverbote.
"Wovor hat hier eigentlich wer Angst? Haben da Laien irgendwie Angst, dass irgendein Bischof sagen könnte: 'Das darfst du aber nicht sagen'? Oder haben die Bischöfe Angst davor, dass Rom sagen könnte: 'Du, du, du, Bischof darfst aber nichts sagen'? Wieso können wir eigentlich nicht eine völlig normale Kommunikationsstruktur haben, wie die überall in der Welt üblich ist. Wo sind denn eigentlich Sanktionsmöglichkeiten, die jemandem verbieten könnten, einen Gedanken zu denken?!"
Die drei jungen angehenden Priester sitzen nach dem Essen in einem Besprechungsraum. Dunkle Möbel, ein Kreuz an der Wand. Die Gardine dimmt das Tageslicht. Hier drinnen im Priesterseminar sieht man den Zölibat nicht schwanken. Im Gegenteil. Er wird als herausragendes Zeichen gesehen. Darüber könne man nicht wirklich beraten.
"Es gibt die Möglichkeit, über die Strukturen zu sprechen, sofern sie menschliche Einrichtungen darstellen. Und bestimmte Dinge, zum Beispiel das Amt, sind aber keine menschliche Einrichtung, sondern sind von Gott gesetzt."
"Was mein Eindruck immer so ist, dass man jetzt versucht, gesellschaftliche Normen auf die Kirche umzumünzen, also die Kirche muss eigentlich genau so sein oder genau so funktionieren, wie eine Gesellschaft. Man fordert Bischofswahlen demokratisch, man versucht den Zölibat aufzuheben, die Gleichstellung von Mann und Frau und Priesterinnen ..."
Die katholische Kirche - eine eigene Welt? Thomas Sternberg schüttelt energisch den Kopf.
"Genau das habe ich mich immer geweigert anzunehmen: dass die katholische Kirche eine Welt in der Welt wäre. Ich habe uns immer so verstanden als Katholiken in der Welt, so wie Salz und Sauerteig, um biblische Bilder zu nehmen. Oder so, wie es der Diognetbrief im 3. Jahrhundert schon schreibt, dass er sagt: Wir sind nicht anders als die anderen auch. Wir unterscheiden uns nicht von den anderen. Wir unterscheiden uns darin, dass wir glauben und dass wir etwas anderes tun."
Im Erfurter Seminar werden die jungen Männer auch vom Leiter des Priesterseminars bestärkt, von Wolfgang Ipolt. Der Regens ist selber Priester. Auch er hält die verbindliche Ehelosigkeit für wichtig.
"Das Ganze ist ja eine Glaubensfrage. Also letztlich: Wie stark ist mein Glaube, dass ich alles auf Gott setzen kann."
Er begründet den Zölibat folgendermaßen:
"Jesus hat unverheiratet gelebt, hat seine Botschaft verkündet. Und das soll der Priester darstellen. Das soll er mit seinem ganzen Leben mit Haut und Haar den Leuten verkünden und zeigen."
Bernhard Vogel kennt diese Argumentation. Und erwidert ruhig, was ebenfalls schon seit eh und je dazu gesagt wurde: Der Zölibat ist nicht heilsnotwendig.
"Zumal, wie ja viele wissen, es sich beim Zölibat nicht um ein Gebot Christi, sondern um eine allerdings alte, sehr ehrwürdige Tradition in der katholischen Kirche handelt, etwa 1000 Jahre. Aber 1000 Jahre vorher war es nicht so. Eine solche Änderung ist also von der Offenbarung und von der Heiligen Schrift her durchaus möglich."
Vogel verweist auf Petrus, den die katholische Kirche als ersten Papst sieht. Er war verheiratet, in der Bibel ist seine Schwiegermutter erwähnt. Auch viele Jünger Jesu waren verheiratet. Ebenso konnten Geistliche in der frühen Zeit des Christentums heiraten. Erst im Jahre 1022 wurde auf der Synode zu Pavia die Ehelosigkeit als Zugangsvoraussetzung zum Priesteramt festgeschrieben.
Thomas Sternberg beobachtet aufmerksam den enormen Vertrauensverlust, den die katholische Kirche im vergangenen Jahr unter anderem durch die aufgedeckten Fälle sexuellen Missbrauchs erlitten hat. Und er sagt, dass verschiedene Kreise verschieden darauf reagieren. Die einen, indem sie Reformen fordern, die anderen, indem sie um so stärker am Bisherigen festhalten. Er spricht von der Gefahr des Fundamentalismus.
"Und das führt natürlich zu Ergebnissen, die nicht nur unkatholisch sind, die allem Hohn sprechen, was an theologischer Diskussion seit Christi Zeiten an gegolten hat. Also eine solche Engführung als 'kleine Herde', als sektiererische Gruppe, die sich gegen eine böse Welt draußen abschotten muss, das ist zwar von einigen heute so vertreten und so versuchen die zu leben. Aber das ist selbstverständlich nicht der Weg der katholischen Kirche. Das ist und bleibt unkatholisch."
Jena ist von Erfurt nur eine knappe Autostunde entfernt. Hier arbeitet Gerhard Streicher. Er ist Familientherapeut. Seine Praxis nennt sich "Beziehungswerkstatt." Im Gruppenraum stehen Stühle im Kreis, in der Mitte liegt eine dicke Kordel auf dem Boden. Ein Lebensfaden, erklärt Gerhard Streicher. Spielfiguren stehen für Stationen eines Lebens, für Menschen. Vorhin war hier im Raum eine Gruppe, es ging um Biografien.
Nun nimmt der Therapeut Platz und trinkt einen Tee.
Früher einmal hat auch er zölibatär gelebt. Damals, noch zu DDR-Zeiten, war er Priester geworden. Er hatte die Wahl zwischen Staat und Kirche. Er ging mit Haut und Haaren in den kirchlichen Beruf. War Priester in Sangerhausen, Halle und Leipzig, später Seelsorger im Krankenhaus. Mit Leidenschaft. Er führte ein geistliches Leben.
"Und in diesem Kontakt habe ich dann auch meine spätere Frau kennengelernt. Und hab gemerkt, dass ich in der Beziehung zu ihr vieles gewonnen habe, was mich als Priester qualifiziert hat. Aber: Eigentlich ging das ja gar nicht."
Sieben Jahre habe es gekostet, ein langes Ringen mit sich, der Kirche und der Liebe. Dann war es gut, sagt er. Er gab den Priesterberuf auf, schloss die Tür hinter sich. Mit fast nichts in der Hand stand er dann auf der Straße. Der kirchliche Bildungsabschluss galt in der DDR nichts. Er hatte wohl Qualitäten, aber keine akzeptierten Zeugnisse.
"Ich hatte aber damals eine Arbeitsstelle in der Psychiatrie als Soziotherapeut."
Später arbeitete er unter anderem mit Alkoholabhängigen und machte mit seiner Frau eine eigene psychotherapeutische Praxis auf. Er begleitet Menschen, auch Paare in Krisen. Immer wieder geht es um die Sehnsucht der Menschen nach Geborgenheit und den Drang nach Freiheit. Wie kann der Zölibat da helfen?
"Die Lebensform des Zölibats hilft insofern, dass ich erstmal Ruhe hab. Ich muss mich nicht anstrengen, diesen richtigen Abstand zu finden, sondern es ist mir schon was vorgegeben und ich kann mich da hineinbegeben und vielleicht auch meine Aufmerksamkeit anderen Dingen widmen. Das schon."
Im Rückblick sagt Gerhard Streicher, der Zölibat sei in einer Phase seines Lebens die angemessene Lebensform gewesen.
"Aber irgendwann sind wir dann doch alle an dieser Stelle gefragt. Also das kann in der Entwicklung zur menschlichen Reife hin nicht einfach übergangen werden, dieses Mann-und-Frau- und das Thema Nähe und Abstand, nicht nur zur Frau, sondern zu allen Menschen überhaupt."
Der Zölibat sei außerdem ein Machtinstrument. Er stachele erst den Ehrgeiz an. Ähnlich wie bei Managern in der Wirtschaft. Sie sollen voll flexibel sein, immer im Einsatz, unabgelenkt. Der Betreffende wolle ja auch zeigen, dass er es packt, dass er gut ist, dass er herausragt. Aber was, wenn er dann feststellt, dass da doch menschliche Gefühle sind, Liebe, Sehnsucht? Dann fällt das Idealbild zusammen.
"Und dann kommen die Schuldgefühle. Und mit diesen Schuldgefühlen bleibt ein Mensch - ja: manipulierbar."
Wäre er gerne weiter Priester geblieben? Ein verheirateter? Er überlegt einen Moment. Das war ja nicht die Frage. Dann aber sagt er: Ja. Nur nicht in dieser Kirche. Die ist ihm zu eng geworden.
Im Priesterseminar Erfurt kommt die Rede nicht all zu oft auf Ex-Priester. Gut, manchmal trifft man einen zu Feiertagen, sagt der Leiter des Seminars, Wolfgang Ipolt.
"Manchmal gibt es so im Gottesdienst eine Fürbitte für jemanden oder für Priester oder Eheleute, die das nicht durchgehalten haben. Finde ich auch sehr schön. Weil das auch ein geistliches Verarbeiten ist. Das müssen wir mittragen, nicht?! Kirche ist und bleibt Gemeinschaft auch der Sünder und der Unvollkommenen."
Die verheirateten Männer - sündig und unvollkommen?
Der frühere Priester Gerhard Streicher kennt diese Haltung. Er deutet sie als Angst vor Veränderung.
Der Berater sieht die Kirche als eine Institution, die wie eine Waage funktioniert. Sie müsse die Balance halten zwischen der Bewahrung des Tradierten und der Veränderung. Es müsse ein fließender Prozess sein, mal mehr festzuhalten, mal wieder einen Schritt zu wagen.
"Deshalb um so dringender mein Rat: Geht die Veränderung an, damit es nicht überfällig wird, und dann plötzlich nur noch Veränderung kommt und die Bewahrung für eine Zeit lang außer Sichtweite gerät."
Im Herbst kommt der Papst nach Deutschland. Auch nach Erfurt. Regens Wolfgang Ipolt hofft, dass der Papst den Zölibat stärkt. Er glaubt nicht, dass die Zulassung von verheirateten Männern für das Priesteramt ernsthaft ansteht
"Von daher erhoffe ich mir vom Heiligen Vater ein stärkendes Wort für unseren Weg und unseren Dienst."
Thomas Sternberg findet es kurios, dass die Deutsche Bischofskonferenz die Debatte abwürgen wollte mit dem Verweis, das sei nicht angebracht in dem Jahr, in dem der Papst kommt. Ja, wann denn sonst, sagt der engagierte Katholik. Joseph Ratzinger habe über die viri probati schon vor vierzig Jahren nachgedacht.
"Und Joseph Ratzinger war als Professor, als Kardinal und ist auch als Papst der letzte, der nicht einer offenen intellektuellen Diskussion sich stellen wird. Der würde sich wahrscheinlich wundern, wenn er es mit reinen Duckmäusern zu tun hätte, die die Dinge nicht auf den Tisch bringen, die überall diskutiert werden."
Gerhard Streicher verfolgt diese Diskussion von außen. Der Ex-Priester macht Menschen und Institutionen gern Mut, Herausforderungen ins Auge zu schauen und noch nicht vorher zu wissen, was dieses Schauen bewirkt. Er wünscht der Kirche mehr Offenheit für andere Lebensentwürfe – auch bei Priestern.
"Ich wünsche ihr, dass sie nicht davor Angst hat, eine andere Kirche zu werden. Diese Angst sehe ich allenthalben. Es lohnt sich aber. Und ich glaube auch, dass sie Gott näher kommt, wenn sie bereit ist, sich zu verändern."