Sommer 2010. In einem Schiffswrack in der Ostsee stoßen Taucher auf über 160 Flaschen Champagner, abgefüllt vermutlich um das Jahr 1840 herum. Gut die Hälfte der uralten Schaumweine ist noch immer genießbar, eine kleine Sensation. Auch aus havarierten Luxus-Linern wurde schon edler Schampus geborgen ...
"Sie können sich vorstellen, was ein Veuve Clicquot aus der Titanic für unglaubliche Begeisterung auslöst."
Ulrich Fischer, Professor für Önologie und Sensorik am Weincampus Neustadt in der Pfalz:
"Das ist auf jeden Fall auch wissenschaftlich interessant, weil diese Weine ja aus gesunkenen Schiffen kommen, die dann für hundert, zweihundert Jahre unter dem Meeresspiegel bei sehr stabilen Temperaturen gelagert haben. Und man hat dann bei den Verkostungen festgestellt, dass die sehr viel langsamer gereift sind."
Verschiedene Winzer probieren so etwas inzwischen aus. Auch deutsche. Sie versenkten Weine nach der Flaschenabfüllung schon 'mal in Baggerseen oder ebenfalls in der Ostsee.
Wein aus dem Wasser "körperreicher" und "samtiger"
Systematischer geht die ganze Sache ein Unternehmen aus den USA an. Seit 2012 lagert die Weinkellerei Mira Winery jeden Herbst Cabernet Sauvignon im Atlantik. In einer Meeresbucht bei Charleston Harbor, in 18 Metern Tiefe. Und jeden Mai holen Taucher die Rotwein-Flaschen wieder an die Oberfläche - nach sechsmonatiger Reife unter Wasser. Auch ihn habe der Champagner-Fund in dem Ostsee-Wrack zu dem Experiment inspiriert, sagt Kellermeister und Chemiker Gustavo Gonzalez:
"Wir haben das gleiche Ergebnis wie in der Ostsee erwartet: dass die Lagerung unter Wasser die Reifung unserer Weine verzögert. Tatsächlich kam aber heraus, dass sie schneller altern! Als professionelle Sommeliers die Weine aus dem Meer verkosteten, war ein Kommentar, dass zum Beispiel der Jahrgang 2009 so reif schmecke wie ein 2007er."
Ein halbes Jahr vor der Küste, und der Cabernet hatte mehr Fülle als Vergleichsproben, die ganz klassisch im Weinkeller gelagert wurden, wie Gonzalez sagt:
"Wir haben beide Weine im Labor analysiert. In der chemischen Zusammensetzung sind sie praktisch identisch. Auch in der Farbe. Aber in Geruch und Geschmacksempfinden unterscheiden sie sich. Der Wein aus dem Meer erscheint körperreicher und samtiger, wenn ich hier 'mal den Fachjargon benutzen darf. Als ob er stärker gealtert wäre als sein Pendant an Land."
Alterung in Zeitlupe
Der gekenterte Champagner lag auf dem Grund der Ostsee. In einer Wassertiefe von 60 Metern und bei Temperaturen konstant um die fünf Grad Celsius, sodass er offenbar nur in Zeitlupe alterte. Ganz anders dagegen die Bedingungen für den Cabernet an der US-Ostküste:
"Die Temperatur variiert dort die ganze Zeit. Sie bewegt sich innerhalb einer Spanne von acht bis 18 Grad Celsius. Und dann ist es auch so, dass unsere Flaschen nicht still im Meer ruhen, sondern ständig hin und her bewegt werden. Durch die Gezeiten an der Küste."
Ob es das ist, was die Cabernets an der Küste schneller altern lässt als in größeren Meerestiefen oder im üblichen Flaschenlager in der Kellerei?
Gonzalez kann es heute noch nicht sagen. Doch er will es noch herauskriegen. Inzwischen lässt er auch Chardonnay versenken, also Weißwein. Der Kellermeister und Chemiker geht nicht davon aus, dass Winzer in Zukunft mit ihren Flaschenlagern die See erobern. Doch von dem Experiment könne die Branche auf andere Weise profitieren:
"Vielleicht entdecken wir etwas, das die Reifung auch im normalen Flaschenlager beschleunigen kann. Viele Verbraucher möchten heute nicht mehr so lange warten, bis sie einen Wein genießen können. Vielleicht finden wir ja eine Technik, die die Tropfen früher trinkreif werden lässt."