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"Weiße Mutter" in Sri Lanka
"Ich war früher ein angstvolles Wesen"

"Weiße Mutter" wird Ursula Beier in Sri Lanka genannt. Seit fast 40 Jahren kümmert sich die Allgäuerin um Arme. Was sie 1979 zum ersten Mal auf die Insel im Indischen Ozean brachte, nennt die ehemalige Juweliersgattin heute Fügung und Führung.

Von Dagmara Dzierzan |
    Mindestens dreimal im Jahr fliegt die 76-jährige Ursula Beier nach Sri Lanka.
    Mindestens dreimal im Jahr fliegt die 76-jährige Ursula Beier nach Sri Lanka (Albrecht Platter)
    "Also, hier gibt es bei Festlichkeiten immer Milchreis, und das heißt, wir ehren die Mutter, Segen für die Mütterlichkeit dieses Landes, es bleibt alles im Fluss."
    Am offenen Feuer rührt Ursula Beier in dem eisernen Topf mit Milchreis, erhitzt geduldig, bis der Brei schließlich überläuft: Ein Ritual, das Glück, Überfluss symbolisiert. Und Ehre: Bei der feierlichen Wiedereröffnung des Kindergartens fällt diese Auszeichnung der "Sudu Amma" zu, der "weißen Mutter", wie Ursula Beier in Sri Lanka genannt wird. 1980 hat sie den Kindergarten in der Nähe von Maharagama erbauen und kürzlich renovieren lassen. Eines ihrer ersten Hilfsprojekte auf der Insel:
    "Als wir 1979 zum ersten Mal nach Sri Lanka flogen, war uns noch gar nicht klar, was uns hier erwarten würde. Wir kamen selbstverständlich als Touristen hierher und waren hier so zu Hause, die ganze Familie, von der ersten Minute an. Es war, als ob wir nach Hause kämen. Und so sind wir dann die nächsten Osterferien 1980 wieder nach Sri Lanka geflogen und fragten: Was können wir denn Gutes tun hier? Wir wollen nicht nur nehmen, wir wollen auch geben. Und so wurde ich in ein Altenheim geführt. Und dann machte man eine Tür auf, da waren 16 behinderte Kinder, ohne Arme, ohne Beine, Jungen und Mädchen in jedem Alter, blutig von Kopf bis Fuß vor Hunger; die hatten keine Betten, keine Schränkchen, gar nichts."
    Der Bürgerkrieg bricht aus
    Gleich nach ihrer Rückkehr gründet Ursula Beier eine Hilfsorganisation, richtet ein Heim ein, will vor allem Kinder in Sri Lanka unterstützen. Doch schon kurze Zeit später, 1983, bricht der Bürgerkrieg aus. Sie beginnt ihre Hilfstätigkeit auszuweiten, ist da, wo sie gebraucht wird:
    "Die Direktoren der Schulen riefen uns immer wieder und die Lehrer: Bitte helft uns, es werden so viele Kinder auf dem Wege zur Schule ohnmächtig vor Hunger, die haben schon zwei, drei Tage nichts mehr zu essen bekommen. Und so fingen wir an, auch in den Schulen Speisungen auszuteilen, und ja, und dann begannen wir Häuser zu bauen. Denn es gab so viel Armut hier, so viel Elend, in welchen Hütten die hausten, wie alles durchregnete. Und so haben wir dann im Laufe von vielen Jahren über tausend Häuser gebaut, dann viele Dörfer gebaut, mit Kindergarten, mit Brunnen. Es war ja wichtig, überall Brunnen zu bauen."
    Langfristig und nachhaltig
    Besonders nach dem Tsunami 2004, der ganze Siedlungen an der Ostküste zerstört hat. Rund 50 Dörfer errichten Ursula Beier und ihr Team, sanieren Slums, sorgen für medizinische Versorgung. Bis heute sind ihre Hilfsprogramme langfristig und nachhaltig: in Heimen, Gefängnissen, in bedürftigen Familien. Mindestens dreimal im Jahr ist die Allgäuerin in Sri Lanka - auch heute, mit 76 Jahren. Woher die Motivation der einstigen Juweliers Gattin? Die Energie, fast 40 Jahre lang ein weit verzweigtes Hilfsnetz auf der anderen Seite der Halbkugel aufzubauen? Woher ihre Leidenschaft? Ursula Beier benutzt andere Begriffe - spricht von "Fügung", "Führung":
    Ursula Beier mit zwei Kindergärtnerinnen, die in dem von ihr 1980 gegründeten Kindergarten arbeiten
    Ursula Beier mit zwei Kindergärtnerinnen, die in dem von ihr 1980 gegründeten Kindergarten arbeiten (Albrecht Platter)
    "Am 19. Juni fliegen wir nach Sri Lanka, auf dem Wege machen wir eine achtstündige Pause in Moskau. Wir kommen in die Transithalle, da steht eine Gruppe dunkelhäutiger Menschen. Der größte unter ihnen starrt mich an, freut sich. Der aus der Nacht: Where are you going? Wohin reist ihr? Sri Lanka. I’m from Colombo, ich bin aus Colombo.
    Während des Fluges hat er hinter mir gesessen, ich konnte kein Auge zumachen, und morgens reichte er dann seine handgeschriebene Adresse, sagte nur, bitte wartet auf mich, wir gehen gemeinsam raus. Und dann sitzen wir im Taxi und fragen den Taxifahrer: Wer war dieser Mann? Vijaya Kumaranatunga, der beliebteste Schauspieler seit 20 Jahren und der Schwiegersohn der Ex-Präsidentin und Premierministerin Bandaranaike."
    "Helfen hat mich mutig gemacht"
    Eine lebenslange Freundschaft beginnt. Vijaya Kumaranatunga zeigt der Familie die Schönheit seines Landes, die üppige, teils noch unberührte Natur - und die Not, die Armut. Monatelang bleibt sie in Sri Lanka. Ihre Ehe zerbricht. Sie absolviert eine Akkupunkturausbildung, hilft während des Krieges in den Krankenhäusern, in den Flüchtlingscamps:
    "Das ganze Leben hatte sich auf einmal verändert. Ich war früher ein sehr angstvolles Wesen. Ich bin im Krieg geboren, wir haben immer gehungert, gefroren, der Vater Musiker, hatte keine Arbeit. Und als dann der Krieg drüben ausbrach, 1983, ich bin überall hingefahren, einfach immer losgefahren, auch ich allein in schweren Autos, ich hab mir überall angeschaut, was brauchen die Menschen. Das hat mich mutig gemacht."
    Der Vater hatte ihr Spiritualität verboten
    Einst hatte ihr der Vater Kirche, Religion, Spiritualität verboten. Nun findet sie zu einem Gottesglauben, der buchstäblich über Nacht zu ihr kam, der anders ist als alles, was sie kennt.
    "Ich bin mit allen Religionen im Reinen, es gibt keine, die ich bevorzugen möchte. Gott ist für mich Glaube an mich selbst, Liebe zu mir selbst, Frieden für alle, denn nur wenn ich mich selbst lieben kann und mit mir selbst in Frieden bin, kann ich alle gleich lieb haben."
    Und helfen, sagt Ursula Beier. Nicht Angst, nicht Mitleid, nicht Sorge hätten ihr die Kraft gegeben, so viele Jahre zu helfen.