Gert Weisskirchen: Das war einer der Fehler, die leider von den USA begangen wurden, nämlich nicht zu versuchen, die Sicherheitskräfte in irgendeiner Form mit zu beteiligen an dem, was neu sein wird im Irak. Das wird jetzt nachgeholt, und es ist zwingend. Es ist geradezu eine Voraussetzung dafür, dass der ganz schwierige Übergang hin zu einer hoffentlich denkbaren und auch wirklichen Demokratie gelingen kann, denn nur dann, wenn die doch im höchsten Maße aggressiven Sicherheitskräfte eingebunden sind in einem neuen politischen Rahmen, kann der Übergang gelingen.
Engels: Sie sprechen die Aggressivität an. Laut dem Plan von Ministerpräsident Allawi sollen bis zu 60.000 Milizionäre in die Armee integriert werden. Für weitere 40.000 sollen zivile Jobs gesucht werden. Aber übernehmen dann de facto nicht die Milizionäre die Sicherheitslage im Irak?
Weisskirchen: Nein. Es ist ja klar, dass die USA sich vorbehalten haben, jedenfalls bis die volle Souveränität nach einer Wahl erreicht ist, also bis Januar 2006, dann doch das Heft des militärischen Handelns in der Hand zu behalten. Chaos könnte in der Tat eintreten, wenn nicht die Koalition der Willigen das jetzt auch noch zu Ende bringt, was sie, wie wir glaubten, zwar falsch, aber immerhin begonnen hatten.
Engels: Damit sprechen Sie die Annäherung, die wir in der Nacht gesehen haben, zwischen der irakischen Übergangsregierung und den USA an. Da gab es diesen Briefwechsel, wonach man sich über die militärische Zusammenarbeit verständigt habe. Aber eins bleibt bestehen: Die USA wollen sich nicht das Heft mit Blick auf ihre Truppen im Irak aus der Hand nehmen lassen. Kann denn die Bundesregierung einem solchen Vorgehen zustimmen?
Weisskirchen: Wir werden im Sicherheitsrat sicherlich versuchen, soweit wie es irgend geht, die volle Souveränität des Irak doch noch in irgendeiner Weise politisch herbeizuverhandeln. Das kann gelingen, wenn beispielsweise Frankreich, China und Russland an diesem Punkte fest bleiben. Aber das Wichtigste ist, dass die Iraker zustimmen. Wir können und wollen natürlich nicht etwas herbeizwingen, was Bagdad selbst nicht will. Insofern ist der entscheidende Punkt die Souveränität, Rechte des Irak, aber dafür muss der Irak selbst sprechen.
Engels: Das heißt, die Quadratur des Kreises - auf der einen Seite kann ein Staat nicht souverän sein, wenn fremde Truppen ohne Kontrollmöglichkeiten im Land sind - ist nur dadurch aufzulösen, dass Frankreich und Deutschland sich hinter den Irakern verstecken?
Weisskirchen: Nein, wir brauchen uns gar nicht zu verstecken. Wir haben von Beginn an es für notwendig erachtet, dass alle Aktionen eine volle Legitimation bekommen, und zwar insbesondere des Völkerrechts, das heißt durch den Weltsicherheitsrat. Wir bewegen uns im Moment genau auf diesen Punkt zu, und da wird es noch ein Ringen geben, bis es eine Sicherheitsratsresolution geben wird. In diesem Ringen befinden wir uns gegenwärtig, um so viel wie möglich Souveränitätsrechte für den Irak dabei herauszuholen. Das ist vernünftig, weil die Legitimationsfrage für die Übergangsregierung in Bagdad die ganz zentrale und entscheidende ist. Wird diese Legitimation nicht anerkannt innerhalb des Landes selber, dann wird eine ganz schwierige von möglicherweise bürgerkriegsähnlichen Zuständen erst noch bevorstehen.
Engels: Das heißt, die Iraker brauchen ein Vetorecht bei Entscheidungen der US-Militärführung?
Weisskirchen: Es wäre vernünftig, wenn die US-Administration bereit wäre, Schritt für Schritt diese Souveränitätsrechte dem Irak auch wirklich zuzubilligen. Ob das am Ende nachher im Weltsicherheitsrat auch so gemeinsam von allen gesehen wird, das wird gegenwärtig in New York verhandelt. Ich hoffe, dass so viel wie möglich Souveränitätsrechte für den Irak dabei herauskommen, aber noch einmal: Sie selbst müssen am Ende dem zustimmen und nicht wir für sie.
Engels: Würden Sie zur Not, wenn die Iraker sich für die Position entscheiden, auf dieses Vetorecht zu verzichten, Frankreich von dieser Position dagegen auch wegholen?
Weisskirchen: Also das ist natürlich von Deutschland aus schwer zu beurteilen, was ein vernünftiger Kompromiss ist. Aber wenn man die Signale richtig deuten kann, dann sind alle offensichtlich bereit, einen vernünftigen Kompromiss zu erzielen, und dann muss das doch gelingen. In New York mit jeweiliger Rückkoppelung an die Hauptstädte gelingt das auch. Davon bin ich fest überzeugt.
Engels: Das heißt, morgen haben wir eine neue Irakresolution?
Weisskirchen: Davon bin ich fest überzeugt, weil ansonsten nicht nur der G8-Gipfel im höchsten Maße gefährdet wäre, sondern, was noch viel schlimmer ist, die Zukunft des Irak im höchsten Maße gefährdet ist, und das kann keiner von uns wollen.
Engels: Welche weiteren Aufbauleistungen ist Deutschland dann bereit zu geben?
Weisskirchen: Deutschland wird sich ganz gewiss genau an dem Punkt weiter engagieren, an dem wir uns jetzt schon vorbildhaft, denke ich, mit vielen anderen gemeinsam für die Zukunft des Irak einsetzen, zum Beispiel beim Aufbau neuer wirklich demokratischer Polizeikräfte. Das ist ein Anfang. Die Bundesrepublik Deutschland ist ganz sicher bereit, beispielsweise mitzuhelfen beim zivilen Wiederaufbau im Irak, zum Beispiel dafür zu sorgen, dass die Wahlen, die jetzt bevorstehen, so vorbereitet werden, dass auch von diesen Wahlen das notwendige Signal einer Legitimationsbeschaffung für die neue Regierung wirklich erfolgen kann. Da haben wir eine Fülle von Möglichkeiten, und wir sind bereit, dazu mitzuhelfen.
Engels: Die UNO hat auch kein besonders gutes Standing im Irak. Ist das nicht alles sowieso an der Realität vorbei geplant? Ist damit die Gewalt im Irak zu besiegen?
Weisskirchen: Wir befinden uns am Anfang eines neuen Prozess, und in diesem Prozess kann es sicherlich noch Entgleisungen geben. Ich hoffe, sie sind begrenzbar, damit die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger im Irak auch ihre eigene Zukunft nun selbst in die Hand nehmen können. Was wir dazu beitragen können, ist, mitzuhelfen, dass die Gefährdungen so weit wie es irgend geht auch eingedämmt werden können. Dazu sind wir bereit. Aber wir müssen auch - und das hängt damit zusammen - mithelfen, dass der zivile Aufbau im Irak vorankommt. Da haben wir Deutschen wie im Beispiel Afghanistan oder im früheren Jugoslawien gezeigt, dass wir bereit dazu sind, und wir werden das auch im Irak tun.
Engels: Vielen Dank für das Gespräch.
Engels: Sie sprechen die Aggressivität an. Laut dem Plan von Ministerpräsident Allawi sollen bis zu 60.000 Milizionäre in die Armee integriert werden. Für weitere 40.000 sollen zivile Jobs gesucht werden. Aber übernehmen dann de facto nicht die Milizionäre die Sicherheitslage im Irak?
Weisskirchen: Nein. Es ist ja klar, dass die USA sich vorbehalten haben, jedenfalls bis die volle Souveränität nach einer Wahl erreicht ist, also bis Januar 2006, dann doch das Heft des militärischen Handelns in der Hand zu behalten. Chaos könnte in der Tat eintreten, wenn nicht die Koalition der Willigen das jetzt auch noch zu Ende bringt, was sie, wie wir glaubten, zwar falsch, aber immerhin begonnen hatten.
Engels: Damit sprechen Sie die Annäherung, die wir in der Nacht gesehen haben, zwischen der irakischen Übergangsregierung und den USA an. Da gab es diesen Briefwechsel, wonach man sich über die militärische Zusammenarbeit verständigt habe. Aber eins bleibt bestehen: Die USA wollen sich nicht das Heft mit Blick auf ihre Truppen im Irak aus der Hand nehmen lassen. Kann denn die Bundesregierung einem solchen Vorgehen zustimmen?
Weisskirchen: Wir werden im Sicherheitsrat sicherlich versuchen, soweit wie es irgend geht, die volle Souveränität des Irak doch noch in irgendeiner Weise politisch herbeizuverhandeln. Das kann gelingen, wenn beispielsweise Frankreich, China und Russland an diesem Punkte fest bleiben. Aber das Wichtigste ist, dass die Iraker zustimmen. Wir können und wollen natürlich nicht etwas herbeizwingen, was Bagdad selbst nicht will. Insofern ist der entscheidende Punkt die Souveränität, Rechte des Irak, aber dafür muss der Irak selbst sprechen.
Engels: Das heißt, die Quadratur des Kreises - auf der einen Seite kann ein Staat nicht souverän sein, wenn fremde Truppen ohne Kontrollmöglichkeiten im Land sind - ist nur dadurch aufzulösen, dass Frankreich und Deutschland sich hinter den Irakern verstecken?
Weisskirchen: Nein, wir brauchen uns gar nicht zu verstecken. Wir haben von Beginn an es für notwendig erachtet, dass alle Aktionen eine volle Legitimation bekommen, und zwar insbesondere des Völkerrechts, das heißt durch den Weltsicherheitsrat. Wir bewegen uns im Moment genau auf diesen Punkt zu, und da wird es noch ein Ringen geben, bis es eine Sicherheitsratsresolution geben wird. In diesem Ringen befinden wir uns gegenwärtig, um so viel wie möglich Souveränitätsrechte für den Irak dabei herauszuholen. Das ist vernünftig, weil die Legitimationsfrage für die Übergangsregierung in Bagdad die ganz zentrale und entscheidende ist. Wird diese Legitimation nicht anerkannt innerhalb des Landes selber, dann wird eine ganz schwierige von möglicherweise bürgerkriegsähnlichen Zuständen erst noch bevorstehen.
Engels: Das heißt, die Iraker brauchen ein Vetorecht bei Entscheidungen der US-Militärführung?
Weisskirchen: Es wäre vernünftig, wenn die US-Administration bereit wäre, Schritt für Schritt diese Souveränitätsrechte dem Irak auch wirklich zuzubilligen. Ob das am Ende nachher im Weltsicherheitsrat auch so gemeinsam von allen gesehen wird, das wird gegenwärtig in New York verhandelt. Ich hoffe, dass so viel wie möglich Souveränitätsrechte für den Irak dabei herauskommen, aber noch einmal: Sie selbst müssen am Ende dem zustimmen und nicht wir für sie.
Engels: Würden Sie zur Not, wenn die Iraker sich für die Position entscheiden, auf dieses Vetorecht zu verzichten, Frankreich von dieser Position dagegen auch wegholen?
Weisskirchen: Also das ist natürlich von Deutschland aus schwer zu beurteilen, was ein vernünftiger Kompromiss ist. Aber wenn man die Signale richtig deuten kann, dann sind alle offensichtlich bereit, einen vernünftigen Kompromiss zu erzielen, und dann muss das doch gelingen. In New York mit jeweiliger Rückkoppelung an die Hauptstädte gelingt das auch. Davon bin ich fest überzeugt.
Engels: Das heißt, morgen haben wir eine neue Irakresolution?
Weisskirchen: Davon bin ich fest überzeugt, weil ansonsten nicht nur der G8-Gipfel im höchsten Maße gefährdet wäre, sondern, was noch viel schlimmer ist, die Zukunft des Irak im höchsten Maße gefährdet ist, und das kann keiner von uns wollen.
Engels: Welche weiteren Aufbauleistungen ist Deutschland dann bereit zu geben?
Weisskirchen: Deutschland wird sich ganz gewiss genau an dem Punkt weiter engagieren, an dem wir uns jetzt schon vorbildhaft, denke ich, mit vielen anderen gemeinsam für die Zukunft des Irak einsetzen, zum Beispiel beim Aufbau neuer wirklich demokratischer Polizeikräfte. Das ist ein Anfang. Die Bundesrepublik Deutschland ist ganz sicher bereit, beispielsweise mitzuhelfen beim zivilen Wiederaufbau im Irak, zum Beispiel dafür zu sorgen, dass die Wahlen, die jetzt bevorstehen, so vorbereitet werden, dass auch von diesen Wahlen das notwendige Signal einer Legitimationsbeschaffung für die neue Regierung wirklich erfolgen kann. Da haben wir eine Fülle von Möglichkeiten, und wir sind bereit, dazu mitzuhelfen.
Engels: Die UNO hat auch kein besonders gutes Standing im Irak. Ist das nicht alles sowieso an der Realität vorbei geplant? Ist damit die Gewalt im Irak zu besiegen?
Weisskirchen: Wir befinden uns am Anfang eines neuen Prozess, und in diesem Prozess kann es sicherlich noch Entgleisungen geben. Ich hoffe, sie sind begrenzbar, damit die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger im Irak auch ihre eigene Zukunft nun selbst in die Hand nehmen können. Was wir dazu beitragen können, ist, mitzuhelfen, dass die Gefährdungen so weit wie es irgend geht auch eingedämmt werden können. Dazu sind wir bereit. Aber wir müssen auch - und das hängt damit zusammen - mithelfen, dass der zivile Aufbau im Irak vorankommt. Da haben wir Deutschen wie im Beispiel Afghanistan oder im früheren Jugoslawien gezeigt, dass wir bereit dazu sind, und wir werden das auch im Irak tun.
Engels: Vielen Dank für das Gespräch.