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Weißrussland erwartet einen heißen Herbst

"Kvitnej Belarus!" - Blühe Belarus! - steht auf großen Plakaten in der weißrussischen Hauptstadt Minsk. Das ist allerdings ein Wunschtraum. Weißrussland steht vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Der Rubel verliert täglich an Wert. In den Staatsbetrieben wird Teilzeit gearbeitet. Privatunternehmen kämpfen ums Überleben. Nach der Protestwelle im Sommer herrscht gespenstische Ruhe im Land. Doch für den Herbst kündigen sich neue Stürme an.

Von Ingo Petz |
    Ein Sommergewitter grollt über Minsk hinweg. Andrej Ljankewytsch schließt das Fenster in seiner kleinen Zweizimmerwohnung im Zentrum der weißrussischen Hauptstadt. Der junge Mann mit den müden Augen ist einer der bekanntesten Fotografen des Landes. Vor ein paar Wochen, als die Proteste auf den Straßen der Hauptstadt das Regime aufschreckten, war er fast immer dabei. Doch die andauernden Attacken des Regimes Lukaschenko gegen die Opposition haben ihn hoffnungslos gestimmt. Ihm geht es wie vielen anderen, die in den vergangenen Jahren gehofft haben, dass sich ihr Land entgegen aller Unkenrufe doch zum Besseren verändern könnte. Die jüngste Protestwelle, meint Ljankewytsch, sei vor allem vom Internet ausgegangen. Junge Leute, die soziale Netzwerke nutzen und die Proteste als eine Art Spiel ansahen. Dass sie tatsächlich die Kraft gehabt hätten, das Land zu verändern, glaubt Ljankewytsch nicht.

    "Diejenigen, die da protestiert haben, waren ziemliche Romantiker, junge Leute, die nur Revolution spielen wollten, die nicht verstehen, dass ein politischer Wandel so nicht zustande kommen kann, dass du eine innere Überzeugung brauchst, damit sich im Land etwas verändert. Es reicht nicht, auf die Straße zu gehen und zu applaudieren. Die Demonstranten hatten kein konkretes Ziel. Sie wollten vor allem zeigen, dass es sie gibt, dass sie nicht alleine sind, dass sie gebildet sind und eine andere Philosophie haben, dass sie gegen Gewalt sind. Das war ein schweigender Aufstand der Intelligenz. Niemand war da bereit, bis zum Äußersten zu gehen."

    Auch Ihar Matavilau glaubt nicht, dass ein möglicher Wandel zwangsläufig bedeuten muss, dass sich die Weißrussen für die Demokratie entscheiden. Der Unternehmer hat Anfang der Neunziger für die Unabhängigkeit seines Landes gekämpft - und ist mittlerweile eher pessimistisch:

    "Wir können den einfachen Leuten nichts anbieten. Außer Demokratie und Freiheit. Wir brauchen Strukturreformen in der Wirtschaft, aber sie werden dazu führen, dass alle großen Staatsbetriebe liquidiert werden. Deswegen werden sie sich immer für den entscheiden, der die Staatsbetriebe erhält. Die Leute verstehen zwar, dass das westliche Modell der Demokratie seine Vorteile hat. Aber sie verstehen, dass Demokratie für sie bedeuten würde, dass sie nichts mehr zu essen haben werden. Also sagen sie sich: Wir wählen nur noch fünf Jahre Lukaschenko, bis unsere Kinder aufgewachsen sind. Und dann wählen wir jemand anderen. So ist das in Weißrussland."

    Andere hoffen darauf, dass sich womöglich im Herbst – wenn Weißrussland Kredite zurückzahlen muss und die Heizkosten anstehen - die Wirtschaftskrise verschärfen und eine neue Protestwelle heranrollen könnte. Heikel könnte es für die Regierung vor allem dann werden, wenn die Arbeiter der riesigen Staatsbetriebe auf die Straße gehen sollten. Bereits in der vergangenen Woche streikten die Arbeiter in einer Witebsker Fabrik. Einige von denen, die sich ihren Optimismus bewahrt haben, sitzen in einem kleinen Büro im siebten Stockwerk eines Minsker Hochhauses. Zwei große Apple-Computer stehen auf den Tischen. Es ist das Büro der jungen Medienmacher um Iryna Vidanava. Die zierliche Frau hat legendäre Jugendzeitschriften wie die Studentenzeitschrift "Studumka" oder das Internetmagazin "34 Mag" kreiert. Sie ist auch eine bekannte Soziologin, die zur Rolle des Internets in Weißrussland forscht.

    "Wenn im Herbst die Preise steigen und die Löhne fallen, dann könnte es schon zu neuen Protesten kommen. Die sozialen Medien spielen bei der Organisation von solchen Protesten eine immens große Rolle. Es ist das Medium der Jungen in Weißrussland. Jede Generation hat ihr Medium. Früher waren das Radio oder die Zeitungen. Heute ist es das Internet. Bei uns wird es immer populärer, um sich alternative Informationen zu besorgen, Leute außerhalb der staatlichen Propaganda zu informieren und sich zusammenzuschließen. Da liegt auch die Gefahr für das Regime. Denn einfach abschalten oder blockieren kann das Regime das Internet nicht, denn da hätte es gleich sehr viele Menschen gegen sich, die dann auch protestieren würden."

    Auf die Frage, ob sich die Situation in Weißrussland mit der in den arabischen Ländern vergleichen lasse, antwortet sie nur zögerlich:

    "Ich bin mit solchen Vergleichen überhaupt vorsichtig. Aber wichtig ist, dass unser Staatsoberhaupt panische Angst vor einer Situation wie in Ägypten oder Tunesien hat. Er weiß, welche Rolle das Internet spielt und er wird sich bis zum Schluss verteidigen. Sicher werden die Repressionen noch schlimmer werden. Die Schrauben werden weiter angezogen. Darauf muss man sich vorbereiten. Dennoch haben wir das Gefühl, dass es der Anfang vom Ende ist."