Vikenti Alexandrowitsch war früher ein Anhänger des Präsidenten. Denn der 66-Jährige war Ingenieur und froh darüber, dass die Fabriken aus der Sowjetunion nicht verschachert oder verschenkt wurden - und dafür habe Präsident Alexander Lukaschenko in den 1990er Jahren gestanden.
"Aber dann hätte man sie nach und nach auf zivilisierte Weise privatisieren sollen. Oder man hätte anders dafür sorgen müssen, dass sie modernisiert werden. Aber wir treten seit Jahren auf der Stelle, heute ist alles bei uns veraltet."
Ernüchterung nach anfänglicher Hoffnung
Weißrussland müsse den Westen, die Europäische Union als Partner gewinnen, meint der Rentner - und den Menschen im Land mehr Freiheit geben. Deshalb hat er vor knapp zwei Jahren bei der Parlamentswahl für die Oppositionsabgeordnete Anna Kanopatzkaja gestimmt. Sie hat hier, in einem Bezirk am Rand der Hauptstadt Minsk, gewonnen. Aber heute ist der Rentner ernüchtert.
"Ich habe sie direkt gefragt, ob das nicht ein Marionettenparlament ist, in dem sie da sitzt. Bei einer Bürgerversammlung war das, vor einigen Monaten. Die nicken doch nur ab, was der Präsident vorgibt."
Er könne verstehen, dass sich die die meisten nicht für Politik interessieren, sagt Vikenti. Tatsächlich: Sonst kennt kaum jemand in der Plattenbausiedlung Anna Kanopatzkaja. Das könnte aber auch daran liegen, dass die Oppositionsabgeordnete in den staatlichen Medien - für viele Weißrussen die einzige Informationsquelle - nicht vorkommt.
Kampf für transparente Wahlen und unabhängige Medien
Ortswechsel: Das Zentrum von Minsk, Anna Kanopatzkaja sitzt auf der Terrasse eines Cafes. Die 41-Jährige versteht die Frustration ihrer Wähler. Im Parlament hat sie einen schweren Stand:
"Ich wusste, dass es nicht leicht werden würde. Aber es wurde noch viel schwerer. 20 Jahre lang gab es vor mir keine Oppositionsabgeordnete mehr. Viele der anderen Abgeordneten haben mich am Anfang nicht einmal gegrüßt oder sind gleich auf die andere Seite des Gangs ausgewichen, wenn sie mich gesehen haben."
Sie ahnten wohl, welche Gesetzesprojekte die Juristin anstreben würde: Anna Kanopatzkaja hat einen Vorschlag gemacht, wie Wahlen transparenter werden sollen - und nicht mehr so leicht zu fälschen. Die Kommunalwahlen im Februar hatten wieder einmal gezeigt, wie notwendig das wäre. Über 95 Prozent der Mandate landesweit gingen an Getreue des Präsidenten.
Die Abgeordnete will außerdem den Einfluss der Regierung auf die Medien verringern. Und sie möchte die Allmacht der Steuerbehörden über die Unternehmen brechen:
"Wir sollten das Privatisierungsgesetz ändern. Unsere Vorschriften sind so kompliziert, dass in der Buchhaltung sehr leicht ein Fehler passiert. Investoren sollten die Sicherheit haben, dass ihnen der Staat nicht deshalb ihr Eigentum wegnehmen kann."
Einzige Oppositionsabgeordnete des Landes will nicht aufgeben
In diesem einen Punkt sieht die Politikerin tatsächlich die Chance, dass sie sich durchsetzt. Die Staatsführung sei interessiert daran, Kapital aus dem Ausland anzulocken. Sie wolle, dass das Land wirtschaftlich unabhängiger vom Nachbarn Russland werde.
"So könnte langsam ein Mittelstand entstehen in Weißrussland. Bürger, die selbst Kapital haben. Sie werden, um dieses Kapital zu schützen, immer lautstärker Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit einfordern - und eine transparente Staatsführung, die belegt, was sie mit den Steuereinnahmen macht."
Deshalb solle der Westen gegenüber Minsk auch vor allem auf wirtschaftliche Reformen pochen, meint Anna Kanopatzkaja.
Ihren Wählern verspricht sie, dass sie gegenüber der überwältigenden Mehrheit von Lukaschenko-treuen Abgeordneten nicht klein beigeben wird.