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Weißrussland
Jüngstes Mitglied im Bologna-Club

Weißrussland will akademischen Austausch mit anderen europäischen Staaten, tut aber kaum etwas dafür. Seit drei Jahren sollte sich das Land im Rahmen des Bologna-Prozesses auf den Rest Europas zu bewegen. Doch immer noch gibt es dort an den Hochschulen Regelungen, die anderswo undenkbar wären.

Von Florian Kellermann |
    Studenten im Hörsaal nehmen an einer Vorlesung an der Universität von Minsk in Weißrussland teil. Aufgenommen im November 2002.
    Studierende während einer Vorlesung an der Universität von Minsk, der Hauptstadt Weißrusslands (AFP / STR)
    Jewgenij Michasjuk blickt ein bisschen wehmütig zu dem mächtigen weißen Gebäude auf der anderen Seite des großen Platzes. Dort, an der staatlichen Universität von Minsk, hat er bis vor zwei Jahren Politologie studiert. Heute darf er das Gebäude nicht einmal mehr betreten:
    "Zuerst wurde ich immer wieder zur Direktion gerufen und gerügt, weil ich im Internet auf alle möglichen Missstände an der Fakultät hingewiesen habe. Dass es an Klopapier fehlte und an Seife, dass wir uns nicht anonym über die Dozenten beschweren konnten. Damit bin ich schon unangenehm aufgefallen."
    Ernste Probleme bekam Jewgenij, als er öffentliche Proteste mitorganisierte. Zu den Forderungen der Studierenden gehörte, dass sie von der Universitätsleitung unabhängige Organisationen gründen dürfen. Damit forderten sie eigentlich nur etwas ein, wozu sich Weißrussland verpflichtet hatte. Denn das Land war kurz zuvor dem Bologna-Prozess beigetreten, bei dem schon die meisten europäischen Länder mitmachen. Und eines seiner wichtigsten Prinzipien ist die studentische Selbstverwaltung. Bittere Ironie für Jewgenij: Die Universitätsleitung nahm den Bologna-Prozess als Vorwand, um ihn loszuwerden:
    "Ich kam nach einem Urlaubssemester zurück an die Uni, und da hieß es: Wir sind jetzt auf das Bologna-System umgestiegen, du musst zehn Prüfungen nachholen - und das innerhalb eines Monats. Das war selbst organisatorisch unmöglich - und ich wurde exmatrikuliert."
    Bologna-Länder diskutieren über Weißrussland
    Auf der Bologna-Konferenz in Paris ist ab heute auch Weißrussland ein Thema. Die Teilnehmer sollen beurteilen, wo das Land steht - drei Jahre nach seiner Aufnahme. Das Land sollte eine Road Map abarbeiten, habe aber fast nichts unternommen, sagt Sascha Kusmitsch von der "Vereinigung weißrussischer Studierender":
    "Das einzige, was standardisiert wurde: Die Unterrichtseinheiten werden nicht mehr in Stunden gemessen, so wie früher, sondern in ECTS-Punkten. Damit werden sie aber noch längst nicht vergleichbar. Ich studiere jetzt an einer Universität in Vilnius, in Litauen, dort wurden meine Punkte in Politologie deshalb nur zur Hälfte angerechnet."
    Umgekehrt ist es noch schwieriger: Weißrussische Studierende, die im Ausland waren und zurückgekehrt sind, berichten, dass ihnen gar nichts angerechnet wurde. Doch das sind für viele weißrussische Studierende Luxusprobleme. Studienaufenthalte im Ausland seien ohnehin nur schwer zu ergattern, sagt Sascha Kusmitsch:
    "Es heißt, im Bologna-Prozess gehe es vor allem um Mobilität, nutzt eure Chancen! Aber wenn Studenten dann eine Informationsveranstaltung dazu planen, bekommen sie keinen Raum. Sie müssten das erst mit der Universitätsverwaltung abstimmen, sagt man ihnen, und das kann Monate dauern."
    Alte Sowjet-Regelungen bestehen fort
    Weißrussland trat dem Bologna-Prozess aus zwei Gründen bei: Das autoritäre Regime von Präsident Alexander Lukaschenko wollte sich nach Westen öffnen. Außerdem sollten international anerkannte Abschlüsse auch zahlungskräftige Studierende aus dem Ausland anlocken. Für die Regierung hieß das aber nicht, dass sie Regelungen, die noch aus der Sowjetzeit stammen, aufgeben würde. Das gilt auch für die Zwangsverschickung von Absolventen. Wer kostenlos studiert hat, muss zwei Jahre lang eine Stelle annehmen, die der Staat ihm zuweist. Gegen diese Praxis kämpft Kristina Richter von der Organisation "Youth Labor Rights":
    "Das ist einfach eine Methode, junge Spezialisten unterbezahlt zu beschäftigen. Sie können sich nicht wehren. Es gab Fälle, wo sich einige der Zwangsverschickten beschwert haben: Für einen hat sein Gehalt gerade dazu gereicht, eine Wohnung zu mieten. Aber das interessiert niemanden."
    Gerade auf dem Land leben junge Lehrer oder Ärzte deshalb unter teils menschenunwürdigen Bedingungen, manche ohne Dusche oder WC. Weißrussland dürfte bei der Konferenz in Paris also einiges an Kritik zu hören bekommen - das hofft zumindest Jewgenij Michasjuk, der exmatrikulierte Politologie-Student.