Die Gebäude der Universität von Grönland, am Stadtrand von Nuuk gelegen, scheinen mit ihren grau gefleckten Fassaden förmlich dem felsigen Untergrund entsprungen zu sein. Im lichten Atrium des Hauptgebäudes befindet sich die Mensa. Nur wenige Tische sind besetzt, zwei junge Mütter mit ihren Säuglingen plaudern bei einer Tasse Kaffee.
Zwei Tische weiter blättert ein junger Mann in einem Buch. Am Schwarzen Brett ein Aufruf der Universitätsverwaltung: Man solle gegenüber der grönländischen Sprache mehr Respekt zeigen. Zwar sind die meisten der rund 600 Studenten Inuit, aber nur jeder dritte Angestellte ist Grönländer. Unterrichtssprache ist überwiegend Dänisch oder Englisch.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Begehrte Insel: Grönland im Fokus der Großmächte".
Der Student mit dem Buch – viertes Semester Übersetzungswissenschaften – findet nicht, dass die Sprachverteilung an seiner Uni ein Beleg für das koloniale Erbe im Land sei, wie manche meinen. Vielmehr seien seine Landsleute einfach noch nicht so weit, die Macht zu übernehmen – weder an der Hochschule, noch im Land insgesamt.
"Untersuchungen haben ja gezeigt, dass wir wirtschaftlich gar nicht auf eigenen Beinen stehen können, wenn die jährlich 500 Millionen Euro aus Dänemark wegfielen. Die könnten wir vielleicht zwar irgendwann mit großen Gewinnen aus dem Tourismus und dem Abbau von Bodenschätzen wettmachen. Aber selbst dann müssten wir uns eingestehen, dass das Bildungsniveau auf Grönland für einen solchen Schritt schlicht zu niedrig ist."
Noch immer verlässt fast jeder dritte Jugendliche in Grönland die Schule ohne Abschluss.
Uni-Dozentin glaubt nicht an Unabhängigkeit
Im Obergeschoss, im Institut für Sozialwissenschaften, sitzt die Dozentin Maria Ackrén an ihrem Schreibtisch und schaut auf den funkelnden Fjord. Immer wieder diskutiert die gebürtige Finnin in ihren Seminaren über die Selbständigkeit Grönlands und die Erfahrungen anderer kleiner Nationen mit staatlicher Unabhängigkeit. Hinterher sei sie sich aber mit ihren grönländischen Studenten oft einig:
"Es wird wohl immer bei einer Art von Union oder Verbund mit Dänemark bleiben. Ähnliches konnte man schon bei anderen kleinen Inselstaaten in der Karibik oder dem Pazifik beobachten. Auch dort blieb man nach der Loslösung weiter abhängig von der ehemaligen Kolonialmacht – besonders in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und in der Finanzpolitik, was zum Beispiel das Bankensystem betrifft."
Dennoch: Ein Großteil der grönländischen Bevölkerung die Loslösung von Dänemark – irgendwann. In einer Umfrage erklärten zwei Drittel der Befragten, dass volle Souveränität für sie wichtig oder sehr wichtig sei.
Bessere Bildung wäre "eine Grundvoraussetzung"
Aber Grönland ist noch nicht reif für die Unabhängigkeit – das sagt auch Kuupik Kleist, der grönländische Politiker, der als Ministerpräsident das Land 2009 in die Selbstverwaltung geführt hat. Wir sind an der einzigen Fußgängerampel von Nuuk verabredet, gleich gegenüber dem Einkaufszentrum.
Kuupik Kleist zeigt auf die bereits untergehende Sonne – es ist 15 Uhr – und schlägt vor, mit seinem Auto zu einem Aussichtspunkt außerhalb der Stadt zu fahren. Die tiefe Stimme des 61-Jährigen zählt immer noch etwas in Grönland – und darüber hinaus. Als eine Art Elder Statesman streitet der Inuit Kleist unermüdlich für die Rechte der arktischen Urvölker.
Ankunft am Aussichtspunkt. Zwischen einem tiefhängenden, dunkelgrauen Wolkenfeld und dem schneebedeckten Ufer des Fjords hindurch strahlt die Abendsonne frontal auf die Windschutzscheibe. Kleist blinzelt in die Idylle und schüttelt beim Stichwort Unabhängigkeit den Kopf. Er erinnert daran, dass die Grönländer längst so gut wie alle innerstaatlichen Aufgaben hätten übernehmen können – von der Gerichtsbarkeit, über die Polizei bis zur Fischereiinspektion. Dänemark wolle ja bloß die Kontrolle über die Außen- und Sicherheitspolitik behalten.
"In dem Gesetz zur Selbstverwaltung wurde uns von Dänemark zugestanden, 32 hoheitliche Aufgaben zu übernehmen. Aber wir haben in zehn Jahren gerade einmal eine dieser Aufgaben übernommen – die Aufsicht über die Rohstoffe. Viele Leute reden bloß gerne über die Unabhängigkeit, aber tun nichts dafür. Sie haben dafür keinen Plan, zum Beispiel für bessere Bildung. Das wäre für mich eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Staatengründung."
"Du kannst dem Volk nicht befehlen: Sei morgen unabhängig"
Kuupik Kleist fürchtet, dass auch die nächste Generation nicht aus der herrschenden Versorgungsmentalität herausfindet – schließlich halten die Überweisungen aus Kopenhagen das öffentliche Leben in Grönland problemlos am Laufen. Kleists sozialdemokratischer Nachfolger im Amt des Regierungschefs, Kim Kielsen, hat Anfang dieses Jahres noch einmal bekräftigt, dass das langfristige politische Ziel aller Grönländer die Unabhängigkeit sei. Darin stimmen auch fast alle Parteien überein.
Über den Weg zum eigenen Staat herrscht allerdings Uneinigkeit. Die regierenden Sozialdemokraten wollen noch abwarten, ob der erhoffte wirtschaftliche Umbau gelingt. Die separatistische Partei mit dem Namen "Kinder des Landes", die bei der letzten Parlamentswahl 3,5 Prozent der Stimmen erhielt, will sich dagegen schon 2021 von Dänemark lossagen. Kleist lässt, wenn er das hört, Luft durch seine Nase ab.
"Du kannst nicht mit dem Finger schnippen und schon bist du unabhängig. Du kannst auch dem Volk nicht befehlen: Sei morgen unabhängig. Das ist noch ein langer und beschwerlicher Prozess."