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Weiterbildung in Amsterdam statt ohne Job in Lissabon

Die EU-Kommission schlägt jungen Europäern eine "Jugendgarantie" vor. Die Idee: Jeder unter 25 Jahren soll nur maximal vier Monate auf einen Job, Ausbildung oder Weiterbildung warten. Noch ist es nur ein Vorstoß von EU-Sozialkommissar Laszlo Andor. Aber der Vorschlag trifft auf Zustimmung.

Von Johanna Herzing |
    Eine ehemalige Fabrikhalle im Brüsseler Süden. Menschen stehen um kleine Tische herum, plaudern. James Higgins bahnt sich einen Weg durch die Menge. Im großen Saal steht gleich Laszlo Andor auf dem Podium, der europäische Kommissar für Beschäftigung und Soziales. Er hat zu einer Konferenz über Armut und soziale Ausgrenzung geladen. Das Thema Jugendarbeitslosigkeit steht nicht auf dem Programm.

    James Higgins:
    "Viele junge Menschen haben den Eindruck, dass sie nicht gehört werden. Viele haben auch nicht das Selbstvertrauen, sich einzusetzen, ihre Meinung zu sagen und manche fühlen sich durch die Politik sogar eingeschüchtert."

    James Higgins ist 26 Jahre alt. Vor vier Jahren hat er seiner Heimat Irland den Rücken gekehrt, ursprünglich, um in Brüssel ein kurzes Praktikum zu machen und dann zurückzukehren. Aber er hatte Glück und fand Arbeit beim European Youth Forum, einer Organisation, die sich für die Belange junger Menschen einsetzt.

    "Meine Freunde finde ich heute eher auf Facebook wieder, als wenn ich mal zuhause in Irland bin. Viele Iren, die ich kenne und die Irland verlassen haben, wollten ursprünglich gar nicht emigrieren, sondern die wollten so für ein halbes Jahr weg. Es ist einfach so, dass viele junge Leute das Gefühl haben, dass die Tür hinter ihnen zu ist und dass sie nicht zurück können, weil es nichts gibt, wohin man zurückkehren könnte."

    Für die Jugendgarantie, die Kommissar Laszlo Andor nun den europäischen Staaten vorgeschlagen hat, setzt sich Higgins seit langer Zeit ein. Wie Andor rechnet er vor, dass arbeitslose Jugendliche die Staaten wegen fehlender Steuereinnahmen und höherer Sozialausgaben am Ende mehr kosten als die Investitionen in Jobs oder Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung. Grundsätzlich ist er zufrieden mit dem Vorstoß der Kommission:

    "Es sieht danach aus, dass die Europäische Kommission wirklich auf die Jugendorganisationen hört. Die Frage ist aber doch: Hören die Mitgliedstaaten auf die Jugendorganisationen und sind sie bereit, manches von dem umzusetzen, was die Kommission vorgeschlagen hat?"

    Dass der Handlungsspielraum der Europäischen Union begrenzt ist, weiß wohl niemand so gut wie Max Uebe. Er ist Jurist und als Beamter in der Kommission zuständig für Jugendbeschäftigung. Auf dem Tisch in seinem Arbeitszimmer häufen sich Akten, Fallstudien und andere Dokumente zum Thema. Mit seinem kleinen Team von gerade Mal drei Angestellten soll er eine Lösung für 5,7 Millionen arbeitslose Jugendliche finden.

    "Letztlich ist es eine Frage der Prioritäten der Mitgliedstaaten, wofür sie das in der Tat knappe Geld ausgeben wollen: Ist es die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit oder sind es irgendwelche Brücken oder Bahnhöfe. Das können wir dann letztlich den Mitgliedstaaten auch nicht abnehmen."

    Was die EU leisten könne, so Uebe, sei vor allem Ideen zu liefern, erfolgreiche Modelle aus einzelnen Mitgliedstaaten weiterzuvermitteln und den Ländern bei ihren Bemühungen finanziell unter die Arme zu greifen. Rund 10 Milliarden Euro aus dem Europäischen Sozialfonds wurden inzwischen umgewidmet und sind in Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit geflossen. In Zukunft soll es noch mehr Unterstützung geben. Kritik an der jetzt vorgestellten Jugendgarantie weist Uebe zurück. Es gehe dabei nicht um eine Art sozialistisches Beschäftigungsprogramm, sondern vor allem darum, junge Menschen weiter zu qualifizieren - selbst Akademiker könnten davon profitieren, findet Uebe:

    "Dann ist doch die Frage, was auch für den jungen Menschen besser ist: Arbeitslos in Lissabon zu sitzen oder sich weiterzubilden in Amsterdam, auch eine Sprache hinzuzulernen, Arbeitserfahrung zu sammeln. Da sind wir doch der Auffassung, dass das der bessere Weg ist."

    Doch daran gibt es auch Zweifel. Alexandra Haché ist 35 Jahre alt. Als Soziologin arbeitet sie für das Europäische Institut für technologische Zukunftsforschung in Spanien - nicht als Festangestellte, sondern als Freiberuflerin. Sie fürchtet, dass es den Staaten beim Thema Jugendbeschäftigung nicht um Klasse, sondern vor allem um Masse geht:

    "Ich bin umgeben von Leuten, die wirklich gut ausgebildet sind, und alles, was uns als Job angeboten wird, ist Kaffee zu servieren. Ich will das aber nicht. Dafür hab ich doch nicht studiert. Solange ein Angebot deinen Qualifikationen und dem Arbeitsmarkt entspricht, könnte die Jugendgarantie interessant sein, aber wenn es nur darum geht, junge Menschen in irgendeine Art von Job zu bringen, und es keine Rolle spielt, was sie möchten, was sie bereits können, dann wird die Situation dadurch nur prekärer."