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Weitergegebenes Verhalten

Biologie. - Depressionen haben viele Wurzeln. Da sind zum einen bestimmte Genvarianten, die über viele Generation weitervererbt werden und das Risiko für eine Depression erhöhen. Dazu kommen komplizierte Situationen im eigenen Leben, die einen Menschen überfordern und in eine Depression treiben können. Und schließlich wird eine Depression der Eltern irgendwie biologisch an die Kinder weitergegeben. Dieses "irgendwie" versuchen amerikanische Forscher über Mäuseexperimenten einzugrenzen.

Von Volkart Wildermuth | 29.12.2011
    Depressionen haben viele Wurzeln. Eine reicht ganz weit zurück in die evolutionäre Vergangenheit. Das sind Genvarianten, die das Risiko einer Depression erhöhen. Eine Wurzel ist ganz kurz, das sind komplizierte Situationen im eigenen Leben, die einen Menschen überfordern und einen Zusammenbruch auslösen können. Seit einiger Zeit beschäftigen sich Forscher noch mit einer dritten Wurzel, die sozusagen ein Bindeglied zwischen den beiden anderen darstellt. Es handelt sich um epigenetische Effekte, bei denen das Leben der Eltern das Schicksal der Kinder mit beeinflusst, und zwar auf ganz biologischem Wege. Eine Depression von Mutter oder Vater prägt letztlich dauerhaft die Genaktivität der nächsten Generation. Wie genau das funktioniert, untersucht Dr. David Dietz an der Mount Sinai School of Medicine in New York. In seinem Labor macht er Mäusemännchen depressiv, indem er sie Tag für Tag nur durch ein Gitter getrennt, neben ein dominantes Tier setzt.

    "Er wird sozusagen gemobbt, zehn Tage lang, jeweils ein paar Minuten. Dann fragen wir den Mäuserich: Willst du andere Mäuse treffen. Das ist für Nager eigentlich eine große Sache. Aber die gemobbten Männchen wollen keine anderen Mäuse mehr sehen."

    Natürlich kann David Dietz die Mäuse nicht fragen, ob sie sich niedergeschlagen fühlen. Aber sie verhalten sie wie Menschen in einer Depression: sie wollen keinen Kontakt, sind extrem ängstlich und haben sogar an Zuckerwasser keinen Spaß mehr. Diese depressiven Mäusemännchen verpaarte David Dietz mit ganz normalen Weibchen und nahm sie dann aus dem Käfig. Auf die Aufzucht des Nachwuchses hatten die Männchen also keinen Einfluss. Den Jungen fehlte es an nichts und doch waren sie verändert.

    "Der Nachwuchs der gemobbten Männchen zeigte die gleichen Anzeichen einer Depression, ganz anders als die Kontrolltiere."

    Sie hatten kein Interesse an ihren Mitmäusen, waren ängstlich und standen nicht auf Zuckerwasser. Die direkte Ursache dieses an eine Depression erinnernden Verhaltens sind wohl Verschiebungen im Hormonsystem. Besonders das Stresshormon Cortison und der Wachstumsfaktor V-EGF zeigen ähnliche Veränderungen, wie bei menschlichen Depressionspatienten. Hinter diesen Hormonverschiebungen stehen wohl umgesteuerte Gene. David Dietz vermutete, dass schon die Samenzellen der gemobbten Mäuseväter epigenetisch umgeprägt sind. Um das endgültig zu belegen, isolierte er die Samenzellen und verwendete sie in einer Reagenzglasbefruchtung.

    "Wir setzten die befruchteten Eizellen Weibchen ein, die die Väter nie gesehen hatten. Dann untersuchten wir den Nachwuchs. Das Ergebnis war überraschend und zunächst auch enttäuschend. Es gab einfach keinerlei Anzeichen von depressiven Verhalten."

    Die Jungen freuten sich an Gesellschaft, waren nicht besonders ängstlich und tranken gerne Zuckerwasser. Es gibt also offenbar keine epigenetischen Veränderungen an den Samenzellen. Und doch wurde die Neigung zur Depression bei einer normalen Befruchtung weitergegeben. Da sieht David Dietz nur eine Erklärung.

    "Wir nehmen an, dass es auf das Verhalten des Vaters gegenüber dem Weibchen ankommt. Da spielen vielleicht Duftstoffe eine Rolle, oder dass er selbst gestresst ist, und dadurch das Weibchen nervös macht. Das führt dann zu einer Veränderung in der Mutter."

    Vielleicht schüttet auch die Mutter mehr Stresshormone aus, die über die Plazenta die Mäusefeten erreichen und letztlich bei den Jungen zu einem depressiven Verhalten führen. Irgendwie leben die Erlebnisse der Elterngeneration jedenfalls auch in ihren Nachkommen weiter. Es gibt sie also wirklich die dritte, die epigenetische Wurzel der Depression, auch wenn ihr Verlauf noch nicht ganz klar ist.