Lebensmittelversorgung
Wie die Weizenernte in Deutschland erhöht werden könnte

Weizen ist weltweit aktuell zwar nicht knapp, doch wegen anhaltender Trockenheit wird mit einer unterdurchschnittlichen Ernte gerechnet. Um die Getreideproduktion zu erhöhen, hatte die EU-Kommission angekündigt, zwei Umweltauflagen für ein Jahr auszusetzen. Auch in Deutschland hat man sich nun auf einen Kompromiss geeinigt.

Von Jule Reimer |
    Getreideernte in Rottenburg
    Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes rechnet für dieses Jahr erneut mit einer unterdurchschnittlichen Weizenernte. (dpa/ picture alliance / Ulmer)
    Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat im Frühjahr 2022 die Preise für eine Tonne Weizen um mehr als das Doppelte in die Höhe getrieben. Die Ukraine kann bislang wegen der russischen Angriffe die eingelagerte Ernte kaum exportieren. Russland hat seinerseits auch bestimmte Beschränkungen für den Export seines Weizens verhängt.
    Weizen ist weltweit betrachtet nicht knapp. Mit der angelaufenen Erntesaison und angesichts der Wiederaufnahme ukrainischer Exporte sind die Preise in den Sommermonaten auch wieder um rund ein Drittel gefallen. Doch vielen Regierungen in dürregeplagten Regionen und auch der UN-Nothilfeorganisation World Food Programme fehlt das Geld, um zu den weiterhin hohen Preisen Getreide für die Versorgung der Bevölkerung einzukaufen.
    In Deutschland hat sich der Preisanstieg bei Lebensmitteln bereits niedergeschlagen. Nun schauen alle Augen auf die Ernte: Die könnte hierzulande durch Hitze und Trockenheit unterdurchschnittlich ausfallen. Damit rechnet der Deutsche Bauernverband DBV. Die Situation sei aber regional sehr unterschiedlich.
    Fällt die Sommerernte 2022 weltweit geringer aus, könnte Weizen in den kommenden Monaten tatsächlich knapper und erneut teurer werden. Deshalb argumentiert der Deutsche Bauernverband, jede zusätzliche Tonne zähle, um weltweit die Ernährung zu sichern. So haben Agrarverbände und EU-Mitgliedsstaaten großen Druck auf die EU-Kommission ausgeübt. Diese hatte daraufhin angeboten, zwei Umweltauflagen für ein Jahr auszusetzen, an die die Auszahlung der EU-Agrarsubventionen ab 2023 normalerweise gebunden wäre. Die Mitgliedsstaaten können den Landwirten erlauben, Flächen zu bebauen, die ab 2023 eigentlich zum Erhalt der Artenvielfalt hätten stillgelegt werden müssen. Außerdem kann die Pflicht zum Fruchtwechsel ausgesetzt werden. Diese zweite Option hatte Bundesagrarminister Özdemir favorisiert.
    Eine Mehrheit der Agrarminister der deutschen Bundesländer wollte hingegen auch die Pflicht zu weiteren Brachen aussetzen. Dies sorgte am 28. Juli 2022 auf einer Sonderkonferenz für heftigen Streit mit den von den grün geführten Länderagrarministerien sowie mit Bundesagrarminister Cem Özdemir (ebenfalls B‘90/Grüne), so dass die Runde ohne die notwendige Einstimmigkeit auseinanderging. Nach einer weiteren Prüfung hat Bundesagrarminister Özdemir am 6. August 2022 eine Kompromisslösung angekündigt: Die Agrarunternehmen in Deutschland müssen erst ab 2024 weitere 2 Prozent Ackerflächen für die Natur reservieren. Aber die nutzbaren Flächen dürfen ausschließlich für den Anbau von Lebensmitteln genutzt werden.

    Mit welchen Maßnahmen die Getreideproduktion erhöht werden soll:

    Verzicht auf Brachflächen

    Landwirte, die die jährlichen Hektarsubventionen der EU erhalten möchten, müssen bereits jetzt 2 Prozent ihrer Ackerflächen als Hecken, Altgrasstreifen oder als andere Landschaftselemente unbewirtschaftet lassen. Diese Brachen sollten im Rahmen der aktuellen EU-Agrarreform ab 2023 auf 4 Prozent aufgestockt werden, damit sich dort Wildkräuter, Insekten und Feldvögel ansiedeln, für die auf den konventionell bestellten Äckern meist kein Raum ist. Doch die EU-Kommission ist bereit, für ein Jahr Ausnahmen von der geplanten Stilllegung zuzulassen. Nach Schätzungen des Bundesagrarministeriums könnten dadurch 2023 EU-weit bis zu 5,3 Millionen Tonnen mehr Getreide geerntet werden. Sehr hohe Erträge sind nicht zu erwarten, weil die Agrarbetriebe für die Brachen erfahrungsgemäß keine Gunststandorte, sondern ackerbaulich wenig attraktive Flächen anmelden.

    Verzicht auf Fruchtwechsel

    Auf dem gleichen Acker die gleichen Früchte nacheinander anzubauen - zum Beispiel Weizen auf Weizen – wollte die EU-Kommission eigentlich ab 2023 unterbunden sehen. Denn die Böden werden dadurch früher oder später ausgelaugt. Durch die Aussaat von Zwischenfrüchten hingegen können Landwirte die Bodengesundheit mittel- und langfristig stärken. Hülsenfrüchte wie Erbsen und Bohnen sowie Klee und Wicken reichern den Boden mit Stickstoffdünger an, so dass weniger mineralischer Dünger ausgebracht werden muss. Der Zwischenanbau von Pflanzen wie Sandhafer und Ölrettich reduziert zum Beispiel für Kartoffeln und Rüben auf natürlichem Wege das Risiko, von Fadenwürmern befallen werden.

    Wie hat Deutschland reagiert?

    Lange hatten Bund und Länder über die Auslegung der EU-Neuregelungen in Deutschland gestritten. Vor allem die Agrarminister der CDU-/CSU-geführten Bundesländer, aber auch sozialdemokratische Minister wie Till Backhaus in Mecklenburg-Vorpommern hatten die Freigabe der Stilllegungsflächen gefordert. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) hatte eine Freigabe der Brachen lange abgelehnt, weil er weitreichende Folgen für die Biodiversität befürchtete.
    Seit dem 6. August 2022 ist aber klar, dass Umweltauflagen sowohl zum Fruchtwechsel als auch zur Flächenstilllegung im kommenden Jahr auch in Deutschland einmalig ausgesetzt werden - allerdings mit einem Kompromiss. Die Regelung soll nur für die Flächen gelten, die nicht schon 2021 und 2022 als brachliegendes Ackerland ausgewiesen waren. Auf den Flächen, die eigentlich ab 2023 für den Artenschutz ungenutzt bleiben müssten, dürfen nun stattdessen Getreide, Sonnenblumen und Hülsenfrüchte angebaut werden, jedoch nicht Mais oder Soja. "Was ich vorlege, ist ein Kompromiss, der an der einen oder anderen Stelle auch wehtut", so Özdemir mit Blick auf die Verschiebung der Artenschutzvorgaben.
    Laut Bauernpräsident Joachim Rukwied können die Landwirte in Deutschland auf den Stilllegungsflächen zusätzlich auf 200.000 Hektar 1,4 Millionen Tonnen Weizen erzeugen. Er nannte die Entscheidung überfällig. Sie komme in letzter Minute. Die Deutsche Umwelthilfe beklagte hingegen eine „Torpedierung des Artenschutzes“. Auch Antje von Broock, Geschäftsführung des BUND-Bundesverbandes, kritisierte den Schritt: "Das ist leider keine besonders weitsichtige Entscheidung. Ohne Insekten keine Ernte. Und je weniger naturbelassene Lebensräume wir haben, desto weniger Insekten haben wir auch."
    Die Ausnahme beim sogenannten Fruchtfolgenwechsel im Anbaujahr 2022/23 hatte Özdemir schon vorher befürwortet. Damit wird nacheinander der Anbau von Weizen auf Weizen auf derselben Fläche erlauben. Nach Berechnungen des dem Agrarministerium unterstellten Thünen-Instituts könnten damit allein in Deutschland bis zu 3,4 Millionen Tonnen mehr Weizen angebaut werden. Der Bundesminister gibt zu, dass dies zulasten von Bodenqualität und Pflanzengesundheit gehe -  das sei aber in der Abwägung verkraftbar.

    Welche weiteren Möglichkeiten gibt es, um mehr Weizen als Nahrungsmittel zur Verfügung zu haben?

    Bundesagrarminister Özdemir fordert, eine effizientere Verwendung der heimischen Ernten zu diskutieren - wie „zum Beispiel die Reduzierung der Anbauflächen für Tierfutter, den Kampf gegen Lebensmittelverschwendung oder die Agrarkraftstoffproduktion.“ Diese Position vertrat im Deutschlandfunk auch der Agrarökonom Harald Grethe, der bis 2020 den Vorsitz des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesagrarministerium innehatte. In Deutschland werden nur 20 Prozent des hier geernteten Getreides für Lebensmittel verwendet, der überwiegenden Teil landet in Futtertrögen, der Rest wird für Agrodiesel/-benzin sowie in der Industrie verarbeitet.
    Quellen: Jule Reimer, dpa, AFPD