Wegen russischer Blockade
EU sucht nach neuen Exportwegen für Getreide aus der Ukraine

Die Getreideausfuhren aus der Ukraine stocken durch Russlands Hafen-Blockaden weiter – das bedroht die weltweite Lebensmittelsicherheit. Die EU sucht deshalb nach neuen Export-Wegen und setzt dabei vor allem auf Lastwagen und Güterverkehr. Ein Problem dabei: Es gibt zu wenig Personal an den Grenzen.

    Die Getreidespeicher in der Ukraine sind voll. Aufgrund der Hafen-Blockaden könnten die Agrarprodukte aber nicht exportiert werden.
    Die Getreidespeicher in der Ukraine sind voll. Aufgrund der Hafen-Blockaden könnten die Agrarprodukte aber nicht exportiert werden. (dpa/Vitaly Timkiv)
    Rund 24 Millionen Tonnen Getreide lagern nach ukrainischen Angaben aktuell in der Ukraine und können wegen des Angriffskriegs und der daraus folgenden Blockade der Häfen nicht exportiert werden. Es droht eine weltweite Hungerkrise, denn die Ukraine gehört zu den wichtigsten Getreide-Exporteuren weltweit.


    Kein Export von Agrarprodukten – was sind die Folgen?

    Fast 30 Prozent der weltweiten Weizen-Exporte stammten bisher aus der Ukraine und Russland. Hinzu kommen hohe Weltmarktanteile bei Gerste, Mais und Sonnenblumenöl. Besonders für Afrika und den Nahen Osten könnte das erhebliche Folgen haben, denn sie sind zum großen Teil von Lebensmittel-Exporten aus der Ukraine und auch Russland abhängig. Die Zahl der Hungernden könnte so kurzfristig um über 100 Millionen Menschen ansteigen, schätzt der Agrarökonom Martin Qaim von der Universität Bonn.
    Russland hindere die Ukraine an der Ausfuhr, die Häfen seien vermint und blockiert, kritisierte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) bereits im Mai 2022 im Deutschlandfunk. Diese Art der Kriegsführung sei besonders perfide.
    Am 8. Juni hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow während eines Besuchs in der Türkei jegliche Schuld Russlands an den gekappten Ausfuhrmöglichkeiten der Ukraine abgestritten. Die Ukraine weigere sich bislang, ihre Häfen zu entminen oder anderweitig Durchfahrten von Frachtschiffen zu gewährleisten, sagte Lawrow nach einem Treffen mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Ankara. Konkrete Ergebnisse wie etwa die Einrichtung eines Sicherheitskorridors brachte das Treffen nicht.
    Faktisch blockiert die russische Marine seit Beginn des Angriffskriegs auf das Nachbarland die ukrainischen Schwarzmeer-Häfen.
    Russland fordert die Entschärfung von Seeminen in den Gewässern vor der Schwarzmeer-Küste, damit der Schiffsverkehr sicher sei. Dabei könnten türkische Experten helfen. Die Ukraine befürchtet im Falle der Einrichtung von Durchfahrtskorridoren allerdings neue Angriffe der russischen Kriegsmarine - was Lawrow in Ankara zurückwies. Russland wiederum will verhindern, dass Schiffe verdeckt Kriegsgerät in die Ukraine bringen.

    Preise steigen stark

    Die Einfuhrpreise für Getreide sind in Deutschland wegen des Krieges und eines generell verknappten Angebotes wegen schlechter Wetterbedingungen in wichtigen Anbauländern stark gestiegen – laut Statistischem Bundesamt im März um 53,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Einen starken Zuwachs habe es zuletzt im Mai 2011 mit damals 74,0 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat 2010 gegeben. Von den Preissteigerungen sind so gut wie alle Getreidesorten betroffen. Weizen verteuerte sich im März 2022 gegenüber dem Vorjahresmonat um gut 65 Prozent, Gerste, Roggen, Hafer ebenfalls um rund 65 Prozent und Mais um 37 Prozent.

    Welche Möglichkeiten gibt es noch, Getreide aus der Ukraine zu transportieren?

    Bundesargrarminister Özdemir hatte angekündigt, der Ukraine dabei zu helfen, Getreide zu exportieren. Die meisten Seewege sind blockiert. Odessa, der letzte freie Hafen in der Ukraine, dürfe nicht fallen – die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine müsse gestärkt werden, sagte Özdemir. Konkret könne Deutschland der Ukraine bei Getreideexporten auf dem Landweg, mit der Bahn oder über die Donau helfen. Dazu sei aber auch die Unterstützung der EU-Kommission und der europäischen Partner notwendig, so Özdemir. Der Seeweg könne aber nicht ersetzt werden.

    Mehr Lastwagen und Güterzüge

    Die EU-Kommission hatte bereits angekündigt, neue Exportwege über den Landweg zu ermitteln. Es bestehe der dringende Bedarf, alternative Logistikrouten zu finden, teilte die Kommission mit. Man wolle dabei vor allem auf Lastwagen und Güterzüge setzen. Ein Problem ist dabei allerdings auch, dass ukrainische Waggons nicht mit dem Großteil des EU-Schienennetzes kompatibel sind, weil sich die Spurweiten unterscheiden. Die meisten Waren müssen deshalb auf Lastwagen oder andere Waggons umgeladen werden.
    Um die Ausfuhr zu ermöglichen, wolle man an den Grenzen zur EU das Personal verstärken, um Lastwagen im Dauerbetrieb abfertigen zu können. Dafür sollten Betreiber der Schienennetze in Europa „zeitlich befristet“ Vorrang beim Transport von ukrainischen Produkten einräumen, so die Behörde. Zurzeit warteten tausende Waggons und Lastwagen auf die Abfertigung an den Grenzen, heißt es weiter. Die Wartezeit für die Abfertigung betrage zwischen 16 und 30 Tagen. Laut der Kommission sollen sich nun weitere EU-Mitgliedstaaten und die Logistikbranche um die Exporte aus der Ukraine bemühen.

    Probleme bei der Lagerung

    Eine weitere Herausforderung sind die Lagermöglichkeiten für Getreide in der EU. Da Getreide-Exporte über die blockierten Häfen nicht in die Welt gelangen, landen sie über dem Landweg vorwiegend in der EU. EU-Verkehrskommissarin Adina Valean hatte deshalb angekündigt, neue Lagermöglichkeiten für ukrainische Agrarprodukte ausfindig zu machen, um die Getreidelage in der Ukraine zu entlasten. 20 Millionen Tonnen Getreide müssten die Ukraine in weniger als drei Monaten verlassen, so die Kommissarin.
    Wie ist die Versorgungslage in Deutschland?
    In Deutschland spielen die Getreide-Importe aus der Ukraine im Gegensatz zu Ländern in Afrika und des Nahen Ostens eine untergeordnete Rolle und der Ausfall kann besser kompensiert werden. Nur ein Anteil von 1,9 Prozent kommt aus der Ukraine, 0,1 Prozent aus Russland. Der Selbstversorgungsgrad von Getreide ist laut der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) dabei sehr unterschiedlich: Sehr hoch liegt er zum Beispiel bei Weichweizen mit 125 Prozent oder Gerste mit 113 Prozent. Einen niedrigeren Selbstversorgungsgrad haben dagegen Körnermais (59 Prozent) oder Hartweizen (15 Prozent). Liegt der Selbstversorgungsgrad unter 100 Prozent, ist Deutschland auf Importe angewiesen.
    Quellen: Dlf, AFPD, apd dpa, kho