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Welche Auswirkungen hat die BSE-Krise?

    Kapérn: Es kann nicht mehr lange dauern, bis es hierzulande ein ganz besonderes Jubiläum gibt - den 100. BSE-Fall nämlich. Gestern stieg die Zahl der amtlich bestätigten Fälle von Rinderwahnsinn auf 99. Ein sechs Jahre alters Rind aus einem rheinland-pfälzischen Stall erwies sich als BSE-krank - eine Krankheit, und das macht die Brisanz aus, die auf den Menschen übertragbar ist; VCJD heißt sie, wenn sie beim Menschen auftritt, Schritt für Schritt sein Gehirn zerstört und bisher unweigerlich zum Tod führt. Durch England - das Mutterland der BSE - rollt mittlerweile eine regelrechte Welle von VCJD-Todesfällen. Bei uns am Telefon nun Helmut Born, der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes. Guten Morgen Herr Born.

    Born: Guten Morgen Herr Kapérn.

    Kapérn: Herr Born, ist deutsches Rindfleisch sicher?

    Born: Es ist sicher.

    Kapérn: Wie sicher?

    Born: So sicher, dass jeder Verbraucher wirklich guten Gewissens Rindfleisch kaufen kann, und das tut er ja erfreulicherweise auch. Ich habe ja eben den Beitrag gehört. Man kann Großbritannien nicht mit Deutschland vergleichen. Wir - Sie haben es ja im Vorspann gesagt - wir gehen auf den 100. Fall zu, weiß Gott kein Jubiläum in Deutschland. Aber Großbritannien hat 180.000 Fälle, und wir sind ja mit der Bundesregierung und mit den Ländern dabei, sehr genau zu prüfen, was da bei uns eigentlich passiert ist vor fünf, sechs Jahren. Das sind die Fälle, die wir jetzt haben - die älteren Tiere. Es ist ja auch hier deutlich geworden: Der Erreger ist nicht genau definiert, weder beim Rind noch beim Menschen. Darum müssen wir alle Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Und da ist in Deutschland eine ganze Menge passiert - von den BSE-Tests bis zur Herausnahme des Risikomaterials. Deshalb: Rindfleisch ist sicher.

    Kapérn: Da würde ich gerne nochmal nachhaken, Herr Born. Wie können Sie sagen, dass einerseits der Erreger noch gar nicht genau definiert ist, andererseits trotzdem kategorisch feststellen: Rindfleisch ist sicher?

    Born: Man weiß, wo der Erreger sich befindet, wo er infektiös werden kann. Und das ist das sogenannte Risikomaterial in den Rindern, das ist das Nervengewebe. Und dieses Nervengewebe wird vollständig entfernt bei den Schlachttieren. Und daneben wird jedes Schlachttier bei uns, was älter als 24 Monate ist, getestet. Und darüber haben wir jetzt wirklich einen sehr genauen Überblick. Es sind 1,4 Millionen Tiere jetzt getestet worden, wir haben jetzt diese 100 gefunden. Und davon - muss man wieder sagen - sind zwei Drittel aber gar nicht durch diesen Test aufgefallen, sondern durch auffällige Tiere, die der Landwirt bzw. der Tierarzt gefunden hat. Also, von daher sind diese Tiere erst gar nicht in die Nahrungsmittelkette gekommen.

    Kapérn: Sie sagten eingangs, Herr Born, die Menschen in Deutschland kaufen erfreulicherweise wieder Rindfleisch. Gleichwohl klagen die Bauern - die Rindermäster - über ihre wirtschaftliche Situation. Wie passt das zusammen?

    Born: Ja, wir haben die Situation, dass nach November letzten Jahres auf der Verbraucherseite Gott sei Dank nach einem tiefen Einbruch wieder Normalität eingekehrt ist und auch die Verbraucherpreise beim Rindfleisch in etwa da wieder liegen - sogar leicht gestiegen sind -, wo sie vor der BSE-Krise waren. Aber für die Landwirte fehlen bis heute fast ein Viertel am Preis. Wenn ein Schlachttier 1.600 bis 1.800 Mark gekostet hat, so liegt es heute bei 1.200 bis 1.300 Mark. Dieses Geld fehlt dem Landwirt. Da hinein hat ja auch die EU-Kommission schon einmal sehr kritisch nachgefragt: Wie kommt das eigentlich, dass auf der einen Seite die Verbraucher sogar leicht steigende Preise zahlen und die Landwirte weniger bekommen? Hier ist es vielleicht auch eine Frage, mal nachzuschauen, wie der Kompensationsgrad beim Lebensmitteleinzelhandel und bei den Vermarktern ist. Ich will aber jetzt den schwarzen Peter da nicht weitergeben. Wir wissen sehr genau, dass die Vorsichtsmaßnahmen, die ja von der Bundesregierung und von den Ländern durchgesetzt worden sind, Geld kosten. Und das wirkt sich dann in dieser erweiterten Spanne aus - zu Lasten der Landwirte.

    Kapérn: Lässt sich das möglicherweise schon in Höfesterben quantifizieren, was sie da an Einkommenseinbußen bei den Bauern ausmachen wegen BSE?

    Born: Ja, das kann man sagen. Wir haben in Deutschland Rindfleischproduktion üblicherweise in Verbindung mit der Milchproduktion; bei Milch haben wir eine etwas bessere Situation. Aber wir haben spezialisierte Rindfleischerzeuger - Bullenmäster oder auch Mutterkuhhalter, extensiv haltende Rinderhalter, die mehr so in der Landschaftspflege Rindfleischproduktion betreiben. Und genau dort, wo nur auf Rindfleischproduktion gesetzt wird, da gibt es wirklich Existenznot. Und das sind immerhin so 20.000 bis 30.000 Betriebe, die gefährdet sind.

    Kapérn: Und nun?

    Born: Ja, wir werden mit der Bundesregierung im Gespräch bleiben - mit der EU-Kommission, was man tun kann an Direkthilfe in diese Betriebe hinein. Wenn man Rindfleischproduktion bei uns halten will und sie nicht nur abwandern lassen will Nord- und Südamerika, dann ist hier wirklich dringend geboten, den Rindfleischerzeugern, den Rindermästern zu helfen.

    Kapérn: Gestern hat der Automobilhersteller OPEL den Abbau von Tausenden Stellen bekanntgegeben. Da erwartet auch niemand Staatsgelder zur Rettung der Opel-Betriebe. Warum muss das bei den Bauern eigentlich anders sein?

    Born: Ja, weil Nahrungsmittelproduktion schon ein bisschen was anderes ist wie Automobilproduktion . . .

    Kapérn: . . . warum?

    Born: Wenn diese Rindfleischerzeuger verschwinden, dann hat man beispielsweise in den Feriengebieten an der Ostseeküste oder an der Nordseeküste nicht mehr die Landschaft, die man haben will. Die Landwirte produzieren neben dem ‚Auto', ihrem ‚Auto' - dem Rindfleisch Koppelprodukte. Die sind für unsere Gesellschaft sehr wichtig - eine gepflegte Kulturlandschaft, eine Urlaubslandschaft. Den gesamten ökologischen Kreislauf kann ich nur schließen, wenn die Landwirte in der Produktion bleiben. Und gerade über das Rind ist das in Deutschland sehr, sehr wichtig.

    Kapérn: Sie haben vorhin erläutert, dass der Rindfleischverbrauch in Deutschland wieder ungefähr das alte Niveau erreicht hat. Erstaunt Sie das, Herr Born, nicht manchmal selbst, dass es den Bauern offenbar in dieser Hinsicht gelungen ist, das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen, wenn wir doch in der Öffentlichkeit immer wieder Demonstrationen von Bauern sehen - wie etwa beim vergangenen Bauerntag in Münster -, bei denen die Parole ausgegeben wird: ‚Zu massiven Änderungen gibt es keinen Grund!'

    Born: Also, ganz offen gestanden: Ich bin selber überrascht, wie schnell es gelungen ist, mit einerseits wirklich sehr harten Maßnahmen - ich hab's ja gesagt, hier teilen wir die Auffassung der Bundesregierung und der Länder, das Produkt wieder sicher zu machen - von den BSE-Tests bis hin zur Herausnahme des Risikomaterials, auch Beseitigung des Tiermehls, Verbot des Tiermehls -, dass es darüber gelungen ist, die Verbraucher wieder an das Produkt Rindfleisch heranzubringen. Das gilt für den Frischfleischbereich, also das, was beim Metzger an der Theke gehandelt wird. Wo wir im Moment noch Probleme haben, das betrifft die Verarbeitungsware, die Wurstherstellung. Dort halten sich einige Hersteller immer noch zurück. Also, ich hoffe, dass es uns da gelingt, mit den Marketing-Agenturen zusammen zu vermitteln, dass die Verbraucher hier jetzt nicht die abstrafen sollen, die sich wirklich sehr bemühen, das, was hätte nicht sein sollen, jetzt auch wirklich zu beseitigen, ein sicheres Produkt zu machen und damit die Bauern zu unterstützen.

    Kapérn: Ist der gestiegene Rindfleischverbrauch, Herr Born, ist der die Erklärung dafür, dass sich die Bauern sträuben gegen eine Änderung der Agrarpolitik, wie sie von der rot-grünen Bundesregierung angestrebt wird?

    Born: Nein, also hier ist von der Bundesregierung immer eine Vermengung herbeigeführt worden, als sei BSE nun ein Ausfluss industrialisierter Landwirtschaft. Die einhundert Fälle, die wir haben, die sind gestreut vom kleinen Familienbetrieb bis zum größeren Betrieb in den neuen Bundesländern. Also, man kann nicht sagen, dass diese Krankheit nun irgendwo speziell einer bestimmten Produktionsform zuzuordnen ist. Man kann also die Neuausrichtung der Agrarpolitik und was sich damit verbindet nicht einfach jetzt übertragen auf die Frage, wie können wir die BSE-Bekämpfung voranbringen. Also, da müssen wir das schon auseinander halten.

    Kapérn: Wir haben bald 100 BSE-Fälle in Deutschland, Herr Born. Der wievielte Fall wird der letzte sein?

    Born: Also, wir haben die Wissenschaftler befragt - ein-, zweimal ein Forum in Berlin, zwei Tage lang - auch mit den Abgeordneten, mit der Regierung gemacht. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass wir in Deutschland etwa in einer Größenordnung von 150 bis 250 Fälle insgesamt bekommen werden. Und ich sage nochmal: Das muss man dann in Relation setzen zu unserem Rinderbestand von 14 Millionen und den 180.000 Fällen, die es in Großbritannien gegeben hat. Und dann sieht man den Unterschied. Wir haben hier wirklich einiges unternommen, um dieses Produkt sicher zu machen, und insofern: Diese 100 sind kein Anlass, ein Jubiläum zu feiern, wirklich nicht. Aber sie sind auch kein Anlass, in irgendeiner Weise Panik zu verursachen.

    Kapérn: Helmut Born war das, der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes. Herr Born, ich bedanke mich für das Gespräch und sage auf Wiederhören.

    Born: Ja, auf Wiederhören.

    Link: Trügerische Ruhe um BSE?

    Link: Interview als RealAudio