Monsignore Klaus Mayer: "Blau ist die Farbe des Himmels. Zugleich auch die Farbe des Mysteriums. Und in diesem blauen Grundton schenkt er uns eine Ahnung von dem unergründlichen, unauslotbaren Geheimnis des unsichtbaren Gottes."
Schon 1914 sagt der französische Dichter Apollinaire, bei Chagall sei das Übernatürliche natürlich. Und es ist Picasso, der über Marc Chagall vermutete, irgendwo in seinem Kopf müsse er einen Engel haben.
Spricht man von Marc Chagall, so muss man auch von der Bibel sprechen. Sie ist es, in deren Weltsicht der Nachkomme chassidischer Juden schon in seiner Kindheit hinein wächst.
"Seit meiner frühesten Kindheit schon hat mich die Bibel in ihren Bann gezogen. Die Bibel schien mir – und scheint mir noch heute – die reichste poetische Quelle aller Zeiten zu sein."
Kein Künstler der Moderne dürfte so viel biblische Motive gestaltet haben. Chagall hat einmal gesagt, immer und immer wieder habe er die Bibel "geträumt". Wie in jener Nacht im Jahre 1910 in St. Petersburg:
"Plötzlich öffnet sich die Zimmerdecke und ein geflügeltes Wesen schwebt hernieder mit Glanz und Gepränge und erfüllt das Zimmer mit wogendem Dunst. Es rauschen die schleifenden Flügel. Ein Engel! Denke ich. Ich kann die Augen nicht öffnen, es ist zu hell, zu gleißend. Nachdem er alles durchstreift hat, steigt er empor und entschwindet durch den Spalt in der Decke, nimmt alles Licht und Himmelblau mit sich fort. Dunkel ist es wieder. Ich erwache. Mein Bild 'Erscheinung' gibt diesen Traum wieder."
In der chassidischen Kultur von Witebsk erlebt Chagall eine Welt aus Kräuterbüscheln in Konservenbüchsen, aus Ziegenköpfen und Stickereien von Königinnen auf dem Thron: die versunkene Welt des osteuropäischen Judentums. In seiner Autobiografie "Mein Leben" ist zu lesen:
"Wenn auch meine Kunst im Leben meiner Eltern gar keine Rolle spielt, so hat dafür ihr Leben und ihr Schaffen meine Kunst stark beeinflusst. Wisst ihr, in der Nähe des Platzes, den mein Großvater in der Synagoge hatte, war ich ganz berauscht. Dem Fenster gegenüber, das Gebetbuch in der Hand, betrachtete ich in Ruhe die Vorstadt am Sabbat. Unter dem Murmeln der Gebete schien mir der Himmel blauer."
In der Kabbala heißt es: Wenn alle Schleier entfernt werden, verlangt der Mensch nach seiner Vereinigung mit Gott. Gemäß der jüdischen Geheimlehre, wie sie auch für die jüdische Erweckungsbewegung des Chassidismus maßgeblich ist, stellt die Zeit der Hohen Feiertage eben dies dar: die jahreszeitliche Erfahrung der göttlichen Einwohnung in der menschlichen Gemeinschaft – der Schechina.
Monsignore Klaus Mayer trifft den weltberühmten Künstler nach dem Krieg in Berlin. Mayer will Chagall bewegen, in Mainz die Stephans-Kirche mit Glasmalereien auszugestalten. Das war im April 1974.
Monsignore Klaus Mayer:
"Zunächst hat mich seine Frau Vava empfangen. Die sprach fließend Deutsch als Exilrussin. Hatte in Berlin Abitur gemacht und Kunstgeschichte studiert, bis sie als Jüdin wieder flüchten musste, nach England. Dann kam er. Bin ich ihm entgegen gegangen. Dann hat er mich an der Hand genommen. Da gab es zwei große Sessel und gegenüber ein kleines Bänkchen ohne Rückenlehne. Und dann hat er also keine Ruhe gehabt, bis ich in dem Armsessel Platz nahm, der ja sein Sessel war. Und er, 36 Jahre älter als ich, weltberühmter Künstler setzte sich daneben auf das Bänkchen. Da habe ich blitzartig erkannt, welche Persönlichkeit mir gegenüber sitzt."
Seit 1965 ist Mayer Pfarrer der Mainzer Pfarrkirche. In Kriegszeiten wurde sie drei Mal zerstört, sein Vorgänger hatte sie unter unvorstellbar schwierigen Umständen zusammenflicken lassen. Noch bestehen die Kirchenfenster aus dem grauen Kathedralglas der Nachkriegszeit, etwas anderes gab es nicht. Dann kommt der Gedanke auf, ob man nicht wenigstens in die drei Mittelfenster des Chors eine Bunt-Verglasung einbringen kann. Aber die Gestaltung eines solchen, geschichtsträchtigen Gotteshauses – Grabeskirche des Heiligen Willigis, bis Anfang des 11. Jahrhunderts Erzbischof von Mainz und Erzkanzler des Reiches - ist von großer Tragweite. Klaus Mayer ist sich seiner Verantwortung bewusst.
"Ich wusste von Chagall über den Namen hinaus fast nichts. Da bekomme ich ein, eineinhalb Jahre vorher zwei Bücher in die Hand. Das eine brachte Reproduktionen seiner Fenster in Jerusalem. Im anderen Reproduktionen seiner Fenster im Frauenkloster in Zürich. Ich hatte noch kein Original gesehen, aber als ich die Reproduktionen gesehen habe, war mir völlig klar: wenn einer das fertig bringt, dass er nicht nur unsere Erwartungen erfüllt, sondern weit übertrifft, dann ist der es!"
Selbst noch als jüdisches Kind groß geworden, lässt die Mutter Klaus Mayer 1934 zu seiner Sicherheit taufen. Im Benediktinerkloster Ettal findet er Zuflucht, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs tritt Mayer in das Mainzer Priesterseminar ein, 1950 wird er zum Priester geweiht.
Es ist kein Zufall, dass er in Chagall seinen Mentor sieht. Denn Chagall fühlte sich ganz besonders von der Gestalt des Jesus Christus angezogen. 1908 finden sich bereits die ersten Zeichnungen des Gekreuzigten, das erste Ölgemälde von 1912 ist sogar "Christus gewidmet". Seit der Verfolgungszeit ab 1933 finden sich im Kunstschaffen Chagalls dann eine Vielzahl von Bildern des Gekreuzigten. Und nach der Kristallnacht am 9. November 1938 malt Chagall sein eigenes "Guernica".
Chagall hat im Schmerzensmann am Kreuz ein Sinnbild der Judenverfolgung gesehen und er hat den Mann am Kreuz auch mit den Insignien eines gläubigen Juden ausgestattet.
Monsignore Klaus Mayer: "Chagall war im Gespräch mit Gott, während er malte."
Chagall hat seine Mitwirkung für die Mainzer Kirche St. Stephan nicht zusagen können, ehe er das Bild im Inneren "schaut". In seinem 90. Lebensjahr beginnt er endlich, eine Vision von Gott Vater, der zugleich der Gott Jesu Christi sei für ein Fenster des Ostchors auszuarbeiten. Im 92. Lebensjahr schafft er seine Version der Heilsgeschichte für die beiden flankierenden Mittelfenster. Im 93. Jahr ist es das Lob der Schöpfung für die drei seitlichen Chorfenster. In seinem 98. Jahr werden die restlichen Fenster fertig, einige Monate, ehe Chagall im Jahre 1985 verstirbt. So nimmt es wenig Wunder, dass der heute ebenfalls fast 90-Jährige Klaus Mayer die Fenster als Chagalls Vermächtnis ansieht.
Monsignore Klaus Mayer:
"Blau ist die Farbe des Himmels. Zugleich auch die Farbe des Mysteriums. Und in diesem blauen Grundton schenkt er uns eine Ahnung von dem unergründlichen, unauslotbaren Geheimnis des unsichtbaren Gottes."
Schon 1914 sagt der französische Dichter Apollinaire, bei Chagall sei das Übernatürliche natürlich. Und es ist Picasso, der über Marc Chagall vermutete, irgendwo in seinem Kopf müsse er einen Engel haben.
Spricht man von Marc Chagall, so muss man auch von der Bibel sprechen. Sie ist es, in deren Weltsicht der Nachkomme chassidischer Juden schon in seiner Kindheit hinein wächst.
"Seit meiner frühesten Kindheit schon hat mich die Bibel in ihren Bann gezogen. Die Bibel schien mir – und scheint mir noch heute – die reichste poetische Quelle aller Zeiten zu sein."
Kein Künstler der Moderne dürfte so viel biblische Motive gestaltet haben. Chagall hat einmal gesagt, immer und immer wieder habe er die Bibel "geträumt". Wie in jener Nacht im Jahre 1910 in St. Petersburg:
"Plötzlich öffnet sich die Zimmerdecke und ein geflügeltes Wesen schwebt hernieder mit Glanz und Gepränge und erfüllt das Zimmer mit wogendem Dunst. Es rauschen die schleifenden Flügel. Ein Engel! Denke ich. Ich kann die Augen nicht öffnen, es ist zu hell, zu gleißend. Nachdem er alles durchstreift hat, steigt er empor und entschwindet durch den Spalt in der Decke, nimmt alles Licht und Himmelblau mit sich fort. Dunkel ist es wieder. Ich erwache. Mein Bild 'Erscheinung' gibt diesen Traum wieder."
In der chassidischen Kultur von Witebsk erlebt Chagall eine Welt aus Kräuterbüscheln in Konservenbüchsen, aus Ziegenköpfen und Stickereien von Königinnen auf dem Thron: die versunkene Welt des osteuropäischen Judentums. In seiner Autobiografie "Mein Leben" ist zu lesen:
"Wenn auch meine Kunst im Leben meiner Eltern gar keine Rolle spielt, so hat dafür ihr Leben und ihr Schaffen meine Kunst stark beeinflusst. Wisst ihr, in der Nähe des Platzes, den mein Großvater in der Synagoge hatte, war ich ganz berauscht. Dem Fenster gegenüber, das Gebetbuch in der Hand, betrachtete ich in Ruhe die Vorstadt am Sabbat. Unter dem Murmeln der Gebete schien mir der Himmel blauer."
In der Kabbala heißt es: Wenn alle Schleier entfernt werden, verlangt der Mensch nach seiner Vereinigung mit Gott. Gemäß der jüdischen Geheimlehre, wie sie auch für die jüdische Erweckungsbewegung des Chassidismus maßgeblich ist, stellt die Zeit der Hohen Feiertage eben dies dar: die jahreszeitliche Erfahrung der göttlichen Einwohnung in der menschlichen Gemeinschaft – der Schechina.
Monsignore Klaus Mayer trifft den weltberühmten Künstler nach dem Krieg in Berlin. Mayer will Chagall bewegen, in Mainz die Stephans-Kirche mit Glasmalereien auszugestalten. Das war im April 1974.
Monsignore Klaus Mayer:
"Zunächst hat mich seine Frau Vava empfangen. Die sprach fließend Deutsch als Exilrussin. Hatte in Berlin Abitur gemacht und Kunstgeschichte studiert, bis sie als Jüdin wieder flüchten musste, nach England. Dann kam er. Bin ich ihm entgegen gegangen. Dann hat er mich an der Hand genommen. Da gab es zwei große Sessel und gegenüber ein kleines Bänkchen ohne Rückenlehne. Und dann hat er also keine Ruhe gehabt, bis ich in dem Armsessel Platz nahm, der ja sein Sessel war. Und er, 36 Jahre älter als ich, weltberühmter Künstler setzte sich daneben auf das Bänkchen. Da habe ich blitzartig erkannt, welche Persönlichkeit mir gegenüber sitzt."
Seit 1965 ist Mayer Pfarrer der Mainzer Pfarrkirche. In Kriegszeiten wurde sie drei Mal zerstört, sein Vorgänger hatte sie unter unvorstellbar schwierigen Umständen zusammenflicken lassen. Noch bestehen die Kirchenfenster aus dem grauen Kathedralglas der Nachkriegszeit, etwas anderes gab es nicht. Dann kommt der Gedanke auf, ob man nicht wenigstens in die drei Mittelfenster des Chors eine Bunt-Verglasung einbringen kann. Aber die Gestaltung eines solchen, geschichtsträchtigen Gotteshauses – Grabeskirche des Heiligen Willigis, bis Anfang des 11. Jahrhunderts Erzbischof von Mainz und Erzkanzler des Reiches - ist von großer Tragweite. Klaus Mayer ist sich seiner Verantwortung bewusst.
"Ich wusste von Chagall über den Namen hinaus fast nichts. Da bekomme ich ein, eineinhalb Jahre vorher zwei Bücher in die Hand. Das eine brachte Reproduktionen seiner Fenster in Jerusalem. Im anderen Reproduktionen seiner Fenster im Frauenkloster in Zürich. Ich hatte noch kein Original gesehen, aber als ich die Reproduktionen gesehen habe, war mir völlig klar: wenn einer das fertig bringt, dass er nicht nur unsere Erwartungen erfüllt, sondern weit übertrifft, dann ist der es!"
Selbst noch als jüdisches Kind groß geworden, lässt die Mutter Klaus Mayer 1934 zu seiner Sicherheit taufen. Im Benediktinerkloster Ettal findet er Zuflucht, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs tritt Mayer in das Mainzer Priesterseminar ein, 1950 wird er zum Priester geweiht.
Es ist kein Zufall, dass er in Chagall seinen Mentor sieht. Denn Chagall fühlte sich ganz besonders von der Gestalt des Jesus Christus angezogen. 1908 finden sich bereits die ersten Zeichnungen des Gekreuzigten, das erste Ölgemälde von 1912 ist sogar "Christus gewidmet". Seit der Verfolgungszeit ab 1933 finden sich im Kunstschaffen Chagalls dann eine Vielzahl von Bildern des Gekreuzigten. Und nach der Kristallnacht am 9. November 1938 malt Chagall sein eigenes "Guernica".
Chagall hat im Schmerzensmann am Kreuz ein Sinnbild der Judenverfolgung gesehen und er hat den Mann am Kreuz auch mit den Insignien eines gläubigen Juden ausgestattet.
Monsignore Klaus Mayer: "Chagall war im Gespräch mit Gott, während er malte."
Chagall hat seine Mitwirkung für die Mainzer Kirche St. Stephan nicht zusagen können, ehe er das Bild im Inneren "schaut". In seinem 90. Lebensjahr beginnt er endlich, eine Vision von Gott Vater, der zugleich der Gott Jesu Christi sei für ein Fenster des Ostchors auszuarbeiten. Im 92. Lebensjahr schafft er seine Version der Heilsgeschichte für die beiden flankierenden Mittelfenster. Im 93. Jahr ist es das Lob der Schöpfung für die drei seitlichen Chorfenster. In seinem 98. Jahr werden die restlichen Fenster fertig, einige Monate, ehe Chagall im Jahre 1985 verstirbt. So nimmt es wenig Wunder, dass der heute ebenfalls fast 90-Jährige Klaus Mayer die Fenster als Chagalls Vermächtnis ansieht.
Monsignore Klaus Mayer:
"Blau ist die Farbe des Himmels. Zugleich auch die Farbe des Mysteriums. Und in diesem blauen Grundton schenkt er uns eine Ahnung von dem unergründlichen, unauslotbaren Geheimnis des unsichtbaren Gottes."