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Welkt die Grüne Insel?

"In Zeiten der Krise haben Menschen den Wunsch, andere Meinungen zu hören." Der Schriftsteller Hansjörg Schertenleib, der von der Schweiz nach Irland übersiedelte, ist überzeugt davon, dass in Irland die Kultur und vor allem das Lesen künftig wieder eine größere Rolle spielen wird.

Hansjörg Schertenleib im Gespräch mit Karin Fischer | 23.11.2010
    Karin Fischer: Irland ist ein kleines Land mit rund 4 Millionen Einwohnern, und das mag ein Grund dafür sein, weshalb das Verhältnis der Menschen nicht nur zu den Schriftstellern im Land, sondern auch zu den Politikern als eher Privates gilt. Jedenfalls sagte das vor vielen Jahren einmal Seamus Heaney, der irische Literatur-Nobelpreisträger. Künstler sein in Irland hat aber auch geldwerte Vorteile. Seit 1969 sind dort Schriftsteller, Komponisten, Bildhauer und Maler von der Einkommenssteuer befreit, und trotz der Nothaushalte hielt man immer daran fest. Erst im Jahr 2007 wurde eine Obergrenze von 250.000 Euro pro Jahr eingeführt.
    Hansjörg Schertenleib ist Schweizer Schriftsteller und lebt seit Anfang der 90er-Jahre in Irland. Ich habe ihn am Rande einer Lesereise nur per Handy angetroffen und gefragt: Irland war schon immer ein Sehnsuchtsland für Schriftsteller. Womit hatte das aber zu tun? Doch wohl nicht nur mit Steuererleichterungen für Künstler?

    Hansjörg Schertenleib: Nein, in meinem Fall ganz bestimmt nicht. Dafür sind meine Auflagen – ich würde gerne was anderes erzählen – aber nicht hoch genug, ja. – Nein, das hatte damit zu tun, dass ich irische Autorinnen und Autoren liebte, dass ich irische Bücher liebte und bei Urlaubsreisen feststellte, dass man in Irland ganz anders mit Kulturschaffenden, speziell mit Schriftstellern, umgeht, als man das in der Schweiz tut. In der Schweiz fühlte ich mich dauernd unter Rechtfertigungszwang, weil ich eben einen Beruf ausübe, der auf den ersten Blick zumindest nichts hilft.

    Fischer: Nichts einbringt. Pekuniäre?

    Schertenleib: Nicht nur nichts einbringt. Nein, nichts hilft, nichts beiträgt zur Steigerung des Bruttosozialproduktes. Nennen wir es doch gleich beim Namen, ja. - Und in Irland hatte ich den Eindruck – und das hat sich bestätigt über all die Jahre -, dass das keine Rolle spielt. In Irland ist man stolz oder war man stolz auf seine Kulturschaffenden, speziell auf die Schriftstellerinnen und Schriftsteller, und das ist ein Arbeitsklima, was mir sehr behagt hat, weil die Reibungen, die ich in der Schweiz erlebt habe, eben dieses dauernde sich rechtfertigen müssen, ist eine unproduktive und kräfteraubende Reibung, die eigentlich nichts bringt.

    Fischer: Nun haben Kolleginnen und Kollegen von Ihnen natürlich doch inzwischen schon gestanden, dass die Tatsache, dass man in Irland günstiger lebt und weniger Steuern bezahlt, nicht ganz unausschlaggebend war für die Wahl des Berufsortes, sage ich jetzt mal. Um einfach doch aufs Geld zu kommen: Was machte Irland gerade für Künstler und Kulturmenschen attraktiv?

    Schertenleib: Man wird in Ruhe gelassen. So kann ich das formulieren. Während der Schweizer den anderen Menschen mit Misstrauen begegnet, begegnet der Ire den fremden Menschen, die aus dem Ausland kommen, mit Interesse und mit Neugierde, und das finde ich ein sehr fruchtbares Klima für meine Arbeit. Ich habe in erster Linie die Ruhe gesucht, und die habe ich in Irland gefunden, wie bislang in keinem anderen Land.

    Fischer: Trotzdem hört man immer wieder, dass natürlich auch die Kultur bei dem ganzen Boom profitierte, dass es also auch eine Art Kulturboom gab. Haben Sie das auch beobachtet? War die Kultur ein Teil dieses Riesenwachstums der letzten 10 Jahre des Landes?

    Schertenleib: Da habe ich genau das Gegenteil eigentlich erfahren und erlebt. Die Kultur wurde zumindest im Alltagsleben immer umsichtiger, je schärfer der Boom angezogen hat. Plötzlich konnte man sich mit Leuten nicht mehr über Bücher oder Kunst oder Filme unterhalten oder über Rock-Musik, was ein Hauptthema war, sondern darüber, wie man Geld anlegen könnte und wo es am günstigsten ist, Ferienwohnungen und Ferienhäuser zu kaufen. Also ich habe überhaupt nicht erlebt, dass die Kultur geboomt hat während der Boomjahre. Im Gegenteil: Es ging der Literatur eigentlich auch das Thema aus. Es wimmelte dann plötzlich von Chicklet-Büchern und Romanen, die eigentlich eher als Drehbücher für Fernsehserien geeignet gewesen wären als für Romane. Und die so genannte ernsthafte Literatur wurde in den Hintergrund gedrängt. So habe ich das erlebt.

    Fischer: Hugo Hamilton hat in der letzten Woche in dieser Sendung gesagt, eigentlich seien die Iren ein Volk von Schriftstellern und auch jetzt in Zeiten der Krise, habe er erfahren, sei man als Schriftsteller eigentlich ein gern gefragter Ratgeber. Glauben Sie, dass diese Tendenz, die Sie beschrieben haben, sich jetzt wieder ändert, also dass die Kultur, speziell die Literatur, wieder einen etwas höheren Stellenwert gewinnt?

    Schertenleib: Da bin ich absolut sicher, ja. In Zeiten der Krisen haben die Menschen den Wunsch, andere Meinungen zu hören und Meinungen zu hören von Leuten, die sich von vornherein auch aufgrund ihres Berufes am Rande dieses Booms und dieses Fortschrittsglaubens aufgehalten haben, und da sind Schriftsteller natürlich wieder gefragt. Das habe ich jetzt auch festgestellt und ich bin überzeugt, dass das Lesen wieder an Bedeutung gewinnen wird, ja. Das mag zynisch klingen, ist aber bestimmt eine Folge des zu Ende gegangenen Booms und der Krise, ja.

    Fischer: Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Schertenleib, dann gehören Sie zu jenen Menschen, die die Wandlung des Landes Irland vom Armenhaus Europas zum Hightech-Land eher mit etwas Bedauern verfolgt haben?

    Schertenleib: Das kann man wohl so sagen, ja. Ich bin ja auch aus ganz bestimmten Gründen aus der Schweiz weggegangen, damals in den 90er-Jahren, und plötzlich war ich in einem Land, in dem man sich mit den Leuten auch eigentlich nur noch übers Geld und über Rendite und über Fortschritt unterhalten konnte. Nun muss ich dazu sagen, dass ich nie nach Irland ausgewandert bin mit einem verstaubten romantischen Bild im Kopf a la Heinrich Böll, ganz und gar nicht. Ich habe vor allem meine Ruhe gesucht und war eigentlich überglücklich darüber, dass Leute in einem Land Kultur wertschätzen.

    Fischer: Der in Irland lebende Schweizer Schriftsteller Hansjörg Schertenleib war das.