In Berlin streikt heute ein Teil der angestellten Lehrerinnen und Lehrer. Aber das ist nicht der Grund dafür, dass Caroline Sattler am Vormittag nicht zur Schule gehen brauchte. Die 15-Jährige hatte einen Antrag auf Unterrichtsbefreiung gestellt, weil sie Mitglied im Humanistischen Verband ist. Heute Nachmittag besucht sie ein Straßenfest.
"Wo wir einfach zusammen feiern werden, Stadtralleys machen, Veranstaltungen mit Musik und Theater."
1986 haben die Humanistischen Verbände den 21. Juni - Sommersonnenwende – zu ihrem Feiertag erklärt. Eine Privatangelegenheit ist das – außer in Berlin. Auf Antrag schulfrei – diese Regelung wird heute zum ersten Mal wirksam. Wie viele Schülerinnen und Schüler sich vom Unterricht haben befreien lassen, wird nicht erhoben. Die Zehntklässlerin Caroline Sattler findet es jedenfalls super.
"Den Feiertag nutzt man ja halt, um die Interessen der eigenen Weltanschauung zu feiern. Ich weiß nicht, warum es da keine Gleichbehandlung geben sollte. Weil, Weltanschauung ist eben Weltanschauung, egal in welche Richtung."
Mit dieser Regelung setzt der Berliner Senat Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften mit Weltanschauungsverbänden gleich. Eine Tatsache, die den großen christlichen Kirchen natürlich nicht gefällt. Von einer Entwertung spricht deshalb auch der Bischof der evangelischen Kirche Berlin/Brandenburg, Markus Dröge:
"Eine Entwertung für den christlichen Glauben ist es, wenn hier Ungleiches gleich gemacht wird. Wenn so getan wird, als wäre der humanistische Feiertag vergleichbar mit den christlichen Feiertagen. Da steht doch noch eine ganz andere Tradition, eine ganz andere gesellschaftliche Prägung, auch ein ganz anderes gesellschaftliches Engagement der christlichen Gemeinden hinter den christlichen Feiertagen."
"Ich glaube, da sind bestimmte Grenzen erreicht"
Christoph Lehmann vom Diözesanrat des Erzbistums Berlin sieht dies ähnlich. Der engagierte Katholik ergänzt polemisch:
"Da könnte ich genauso gut fragen, ob nicht die Kommunistische Plattform ihre Kinder befreien kann am Geburtstag von Karl Marx. Ich glaube, da sind bestimmte Grenzen erreicht. Feiertagsregelungen sollten dem Konflikt zwischen kirchlichen bzw. religiösen Gesetzen einerseits und der staatlichen Schulpflicht andererseits Rechnung tragen und den Schülern eben ermöglichen, ihren religiösen Pflichten nachzukommen."
"Natürlich kennen wir keine religiösen Pflichten, aber wir haben entsprechende Überzeugen, und wir wünschen uns einen passenden Rahmen, die halt kultivieren und feiern zu können. Und wenn man sich nun einmal für den 21. Juni, für die Sommersonnenwende, diese Feiern auszurichten, entschieden hat, ist es natürlich eine große Erleichterung, wenn man sich vom Unterricht befreien lassen kann, um an entsprechenden Veranlassungen teilzunehmen", erwidert Arik Platzek vom Humanistischen Verband, der in Berlin 10.000 Mitglieder zählt. Gute Lobbyarbeit hat der Verband jedenfalls geleistet. Was vielleicht nicht so schwierig ist, wenn der SPD-Bildungsstaatssekretär Mitglied in eben diesem Verband ist. Mark Rackles verteidigt die Unterrichtsbefreiung gegen die Kritik der Kirchen so:
"Es geht ja nicht um irgendeinen Gedenktag, irgendeinen Tag X, der ADAC wird jetzt nicht kommen können. Das ist auch nicht etwas, was so in das persönliche Leben so stark eingreift. Quantitativ sind die Buddhisten, die Juden, die Hinduisten auch nicht große Gruppen, verglichen mit den großen Kirchengemeinschaften in Berlin. Wir reden jetzt nicht über groß oder klein. Sondern es geht um ein persönliches Bekenntnis. Und da ist der Staat gut beraten, wenn er sagt, wir behandeln Euch gleich."
Die Unterrichtsbefreiung am heutigen Humanistentag zeigt auch die Schwäche der christlichen Kirchen in der Hauptstadt. Religion ist schon lange kein reguläres Unterrichtsfach mehr in Berlin – es wird zusätzlich und von Angestellten der Kirchen unterrichtet.