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Welt-Kataster für Wärmegase

Auf dem bevorstehenden Welt-Klimagipfel in Kopenhagen ruhen große Hoffnungen. Von Industrie- und Schwellenländern wird erwartet, dass sie sich endlich auf eine nennenswerte Reduktion ihrer Kohlendioxid-Emissionen verständigen. Von zweistelligen Minderungsraten ist im Vorfeld die Rede.

Von Volker Mrasek |
    "One step, one nineteen, transmitters on."

    Der 24. Februar 2009 soll in die Geschichte der Raumfahrt und Klimaforschung eingehen. Auf dem kalifornischen Luftwaffen-Stützpunkt Vandenberg laufen die letzten Vorbereitungen für den Start einer vierstufigen Taurus-Rakete.

    "Nasa TM. This is Taurus launch control team. Minus 6 minutes, 36 seconds and counting. OCO is ready for launch."

    Die Rakete trägt eine ganz besondere Nutzlast mit dem Kürzel OCO. Die drei Buchstaben stehen für Orbiting Carbon Observatory. Übersetzt heißt das: erdumrundendes Kohlenstoff-Observatorium.

    "Engineering?"

    "Engineering is go."

    "Engineering is go. Orbital?"

    "Orbital is go."

    "Orbital is go. NOM?"

    OCO ist die erste Weltraummission, die einzig und allein auf die Beobachtung von Kohlendioxid ausgerichtet ist, des wichtigsten industriellen Treibhausgases. Die Erwartungen an den neuen CO2-Beobachter im All sind groß – auch bei Ralph Basilio, dem stellvertretenden OCO-Projektmanager bei der US-Raumfahrtbehörde Nasa:

    "Wir stehen vor einem historischen Schritt. Die Daten von OCO werden Wissenschaftler in die Lage versetzen, genauere Modelle des globalen Kohlenstoff-Kreislaufs zu erstellen. Und auch die Politik profitiert davon. Sie kann von OCO lernen, wie man die globalen CO2-Emissionen in Zukunft am besten kontrolliert."

    "And lift-off of the Taurus rocket with OCO."

    In stockdunkler Nacht startet die Mission, die in die Historie eingehen soll. Es ist kurz vor zwei Uhr morgens.

    "Nine minutes into the OCO, bus is nominal."

    Auch nach gut zehn Minuten ist noch alles im grünen Bereich. Doch dann gibt es plötzlich Probleme. Der Satellit funkt zu niedrige Höhenwerte zum Boden. Etwas später die Gewissheit: OCO hat seine Umlaufbahn rund 700 Kilometer über der Erde nicht erreicht. Das mit so vielen Vorschusslorbeeren gestartete Klima-Observatorium stürzt in den Pazifik. Bitter für Nasa-Sprecher George Diller:

    "Es gibt Anzeichen dafür, daß sich die Verkleidung nicht richtig von dem Satelliten getrennt hat. Es ist bedauerlich, aber wir hatten keinen erfolgreichen Start heute Nacht. Und es wird keine erfolgreiche OCO-Mission geben."

    Ausgerechnet 2009 beginnt mit einem solchen Fehlschlag. Es ist das Jahr, das mit dem 15. Welt-Klimagipfel in Kopenhagen zu Ende gehen wird. Und auch der soll Geschichte schreiben. Vertreter von fast 190 Staaten der Erde wollen Mitte Dezember einen neuen Vertrag aushandeln. Er soll auf das Kyoto-Klimaschutzprotokoll folgen. Denn das gilt nur bis 2012. Es ist höchste Zeit für eine internationale Nachfolgeregelung. Die Industriestaaten sollen ihren CO2-Ausstoß viel stärker drosseln als bisher. Und von Schwellenländern wie China, Brasilien und Südafrika wird erwartet, daß sie sich erstmals verbindliche Reduktionsziele setzen. Doch was es in Zukunft ebenfalls braucht, das sind Konzepte, um die CO2-Emissionen der Vertragsstaaten zuverlässig zu überwachen.

    "Es gibt zwei Gründe, warum wir eigentlich ein atmosphärisches, langfristig betriebenes Messnetz benötigen. Einmal, um unsere Forschung voranzutreiben. Und die andere Frage ist die, daß wir ein Beobachtungssystem benötigen, um unabhängig die Emissionen verifizieren zu können. Also unabhängig von irgendwelchen Landesämtern, die aufgrund von statistischen Daten hochrechnen, was denn die Emissionen jetzt sind von, sagen wir mal, einem Land oder mehreren Ländern zusammen."

    Martin Heimann ist Direktor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. Dort forscht man intensiv über globale Stoff-Kreisläufe. Ganz besonders über den von Kohlendioxid.

    "Es gibt bis jetzt ein Messnetz. Das wurde in den letzten 30 Jahren weltweit aufgebaut. Aber das besteht halt aus viel zu wenig Stationen, um wirklich belastbare Aussagen gerade auf der Kontinent- oder der Subkontinent-Skala zu treffen."

    Kohlendioxid ist ein sehr langlebiges Spurengas. Es verteilt sich daher ziemlich gleichmäßig in der Erdatmosphäre; Messgeräte in Boden- oder Bergstationen sehen praktisch überall die gleiche Hintergrundkonzentration von CO2. Heimann:

    "In der Vergangenheit ist man immer an die Küsten gegangen. Oder auch sogar noch weiter weg, auf Inseln. Wenn Sie an Mauna Loa denken: Hawaii, auf einem Berg. Oder eben auch auf Bergstationen, um damit praktisch das globale CO2-Feld zu bestimmen. Aber jetzt, wenn wir wirklich jetzt in die einzelnen Länder gehen wollen, dann müssen wir natürlich näher an die Quellen ran."

    Wünschenswert für eine lückenlose Überwachung wäre es, das Land mit unzähligen Messtürmen zu überziehen. Und möglichst in jedem Ballungsgebiet ein paar von ihnen aufzustellen. Doch ein so dichtes Stationsnetz wird es sicher nie geben, erst recht nicht in ärmeren Ländern.

    "Stage 3 PBC battery on."

    Deshalb fällt auch der Beobachtung von Kohlendioxid aus dem Weltraum eine wichtige ergänzende Rolle zu. Der Niederländer Han Dolman, Professor im Fachbereich Erdwissenschaften der Freien Universität Amsterdam:

    "Wir brauchen Satelliten, um die Lücken zwischen den Messstationen am Boden zu schließen. Manche von ihnen liefern auch nur ab und zu Daten. Da fliegen dann zum Beispiel Flugzeuge und messen nur für kurze Zeit CO2. Satelliten dagegen würden Kohlendioxid kontinuierlich erfassen und könnten die Bodenmessungen größtenteils ergänzen."

    Doch auch mit Messtürmen am Boden und Spähern im All ist es noch nicht getan. Ein CO2-Messwert an einem Punkt X oder über einer Region Y verrät nämlich noch lange nicht, aus welchen Quellen das Treibhausgas stammt. Der Chemiker und Umweltingenieur Jochen Theloke von der Universität Stuttgart erinnert an die Sommersmog-Debatte:

    "Vor etwa zehn Jahren gab es ja diese große Ozon-Diskussion. Und man hat erst relativ spät erkannt, daß eben ein erheblicher Anteil des Ozons durch interkontinentalen Transport verursacht wird, von den USA häufig hier ’rüber. Nur über Messungen kann man das eigentlich nicht verstehen, wie die Emissionen sich zusammensetzen."

    Deswegen gehört zu einem Überwachungssystem für CO2 auch noch die Modellierung der Emissionen und ihres Transportes durch die Atmosphäre. Denn Kohlendioxid ist ein Spielball der Luftströmungen und wird verdriftet, sobald es aus dem Schornstein quillt – abhängig von den meteorologischen Bedingungen. Erfasst wird das Klimagas aber erst dann, wenn es in das Blickfeld einer Messstation gerät. Und das ist vielleicht ganz woanders. Die Modellierer rechnen deshalb sogenannte Rückwärts-Trajektorien, wie Martin Heimann sagt. Sie spulen den Wetter-Film wieder zurück – von der Messstation bis zur Ursprungsquelle:

    "Da braucht man ein numerisches Modell. Das sind Modelle ähnlich wie die Wettervorhersage, sogenannte Zirkulationsmodelle. Die rechnen auf einem Gitter das Wetter aus und den Transport durch den Wind. Die sagen uns, wo diese Schwaden transportiert werden."

    Es sind Schwaden, die man nicht wahrnimmt. Auch nicht jetzt, da sie über ein sechsstöckiges Gebäude in Heidelberg hinwegziehen. Denn Kohlendioxid ist ein unsichtbares Spurengas. Doch hier, im Südwesten Deutschlands, hat man die Mittel, um das CO2 aus Kraftwerks- und Fabrikschloten dennoch sichtbar zu machen. Mit den richtigen Nachweismethoden. Es ist das Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg. Ingeborg Levin und Felix Vogel haben soeben das kiesbedeckte Dach erklommen, rund 30 Meter über dem Erdboden. Beide sind Physiker. Levin leitet die Arbeitsgruppe Kohlenstoff-Kreislauf, Vogel ist Doktorand am Institut. Jetzt steuern sie ein hüfthohes Metallrohr an, mit zylinderförmiger Schutzkappe und einer Zuleitung, die im Boden verschwindet. Vogel:

    "Vor uns steht die Ansaugleitung, mit der wir dann die Luft, die hier in Heidelberg, so am Rand von Heidelberg, unterwegs ist, einsammeln. Das ist ein ganz einfaches Prinzip, daß man ein Edelstahlrohr hat, das im Prinzip bis auf das Dach geführt wird. Und von dort wird es dann angesaugt, die Luft, und in diesem Edelstahlrohr bis runter ins Labor geführt. Mit einem ordentlichen Durchmesser, damit unsere Pumpen auch genug Luftmenge durch dieses Rohr ziehen können."

    Vom Institutsdach aus hat man an diesem sonnigen Herbsttag einen ausgezeichneten Rundblick. Im Nordwesten deutlich zu erkennen: das Mannheimer Kohlekraftwerk. Es spuckt große Wasserdampfwolken aus. Und nicht nur das.

    "Also, wenn wir Wind aus westlicher Richtung haben, können wir ganz deutlich sehen, daß, wenn eine Luftmasse aus Mannheim kommt, ganz viel CO2 aus diesem Groß-Kraftwerk Mannheim eben bei uns ankommt."

    "Wir sehen das dann an den Daten, die unsere Messgeräte erzeugen."

    In Deutschland gibt es Hunderte fossile Kraftwerke, Zementöfen, Stahlschmelzen und andere große Industrieanlagen, die Kohlendioxid in die Luft blasen. Hinzu kommt eine noch viel größere Zahl kleinerer Betriebe mit CO2-Emissionen. Ingeborg Levin:

    "Wir gehen dann jetzt in unser Luftprobennahme-Labor. Das ist eine kleine Kammer, wo die ganzen Pumpen stehen."

    Doch es ist ein Trugschluss anzunehmen, daß die Emissionen der ganzen Anlagen so erfasst werden wie das CO2 im Heidelberger Uni-Institut. Levin:

    "Also, wir haben zunächst aus der atmosphärischen Luft das CO2 extrahiert, chemisch gebunden, angereichert sozusagen in einer Lösung. Und diese Lösung tragen wir jetzt ins Labor. Und dort müssen wir das CO2 aus der Lösung wieder freisetzen. Dort wird dann die Probe weiterverarbeitet."

    Man mag sich vielleicht so etwas denken. Aber es gibt keine Probensammler nach dem Heidelberger Modell im Umfeld von Kohlekraftwerken oder Müllverbrennungsöfen. Ingeborg Levin:

    "Die Proben werden jeden Montag gewechselt. Dann haben wir eine Wochenprobe von Montag bis Montag. Sechs Liter reines CO2."

    Der Kohlendioxid-Ausstoß der Anlagen wird nicht gemessen. Er wird berechnet. Das Gleiche gilt für die Emissionen von Verkehr und Landwirtschaft. In den anderen Industrieländern ist das nicht anders. Sie alle stehen im Kyoto-Klimaschutzprotokoll im Anhang oder Annex I. Das bedeutet: Gemeinsam müssen sie ihren Treibhausgas-Ausstoß schon heute senken, allerdings nur um bescheidene fünf Prozent bis zum Jahr 2012, verglichen mit dem Stand von 1990. Daneben gibt es die Pflicht für jeden einzelnen Vertragsstaat, genau Buch zu führen, wie Jochen Theloke erläutert:

    "Im Rahmen des Kyoto-Abkommens haben sich insbesondere die Annex-I-Staaten verpflichtet, ihre Emissionen jährlich zu berichten. Und da sind auch feste Methoden hinterlegt. Das Ganze basiert auf dem sogenannten Emissionsfaktor-Ansatz, der Aktivitäten mit Emissionsfaktoren verknüpft."

    Als Beispiel für eine solche Aktivität nennt der Stuttgarter Luftreinhaltungsexperte die Erzeugung von Strom in großen Steinkohle-Kraftwerken. Wieviel CO2 die Meiler dabei ausstoßen, lasse sich hochrechnen, wenn man die jährlichen Brennstoff-Bilanzen der Anlagen auswerte:

    "Man hat x Kohlekraftwerke in der Bundesrepublik. Und dafür kann man in der Energiebilanz eine Menge von eingesetzter Steinkohle identifizieren. Es wird noch unterschieden nach unterschiedlichen Steinkohlearten. Und denen kann man dann spezifische Emissionsfaktoren zuordnen."

    Irgendwann haben Prozesstechniker einmal exemplarisch gemessen, wieviel Kohlendioxid entsteht, wenn eine Tonne Kohle im Kraftwerkskessel verbrannt wird. Heute genügt es, sich Brennstoff-Verbräuche anzusehen und die damals ermittelten Emissionsfaktoren anzuwenden. So hält man es auch bei allen anderen Anlagen, die fossile Energieträger einsetzen und deshalb CO2 abgeben. Gefragt ist keine Messtechnik, sondern Statistik. Theloke:

    "Im Prinzip brauche ich erstmal die Energiebilanz. Dann brauche ich die Produktionsstatistik der Grundgüter, also Stahl, Zement für die Produktionsprozesse, weil es ja auch prozessbezogene Emissionen gibt."

    Man braucht des weiteren Daten aus Landwirtschaft und Verkehr, denn auch sie setzen Treibhausgase frei. Aus den Mägen von Kühen entweicht Methan, aus gedüngten Ackerböden Lachgas und aus dem Autoauspuff wie gehabt CO2.

    "Ja, das ist eine Vielzahl von Daten. Und die Annex-I-Staaten, die sind verpflichtet, ein sogenanntes nationales System zu errichten, so daß man eben eine vollständige Treibhausgas-Bilanz für ein ganzes Land kriegt."

    Akribisch listen diese Klima-Kataster Emissionsfaktoren und -mengen für alles Mögliche auf. Regelmäßig werden sie auch noch von externen Experten überprüft. Und dennoch: Die Statistik hat ihre Unsicherheiten. Theloke:

    "Diese Unsicherheiten sind je nach Sektor relativ hoch. Über das gesamte Inventar liegen sie in Deutschland zum Beispiel ungefähr bei plus/minus 13 Prozent. In dem angesprochenen Energiesektor sind sie nicht besonders groß. Da sind sie vielleicht bei ein, zwei, drei Prozent. Aber zum Beispiel Lachgas aus der Landwirtschaft, da liegen die Unsicherheiten dann schon im Bereich von Größenordnungen. Es gibt halt auch Bereiche, die noch sehr unklar sind. Fluorgas-Anwendungen in der Photovoltaik. Oder sogenannte Umwandlungsverluste: Da geht es um CO2, was im Rahmen von chemischen Prozessen entweicht. Man weiß nie, ob man irgendeine Quelle übersehen hat."

    Im Heidelberger Institut für Umweltphysik steckt der Glaskolben mit dem Kohlendioxid mittlerweile in der "Austreib-Apparatur". Ein Elektromotor sorgt dafür, daß sich das Gefäß ständig langsam dreht. Das CO2 ist zunächst in Natronlauge gelöst. So kommt es aus dem Pumpenlabor im 5. Stock. Nun setzt Assistentin Sabine Kühr zwei Stockwerke tiefer Säure zu, damit das Treibhausgas wieder frei wird.

    "Jetzt muss ich drauf achten, daß der Druck nicht so hoch steigt."

    Sowie das CO2 "ausgetrieben" ist, wird es abgesaugt und eingefroren, mit Hilfe von flüssigem Stickstoff. Es landet in einer sogenannten Bombe im eiskalten Isoliergefäß. Ingeborg Levin:

    "Also, bei minus 196 Grad Flüssigstickstoff-Temperatur friert CO2 dann dort an. Und dadurch habe ich einen ständigen Druckgradienten. Hier erzeuge ich CO2, hier friere ich es ein. Und so fließt praktisch die ganze Probe langsam, aber sicher da rüber in die Bombe."

    Für Ingeborg Levin ist es bereits Probe Nr. 1031, die sie im Labor aufbereiten läßt. Die Heidelberger Umweltphysikerin hat ihre Spurengas-Messungen schon vor über 30 Jahren begonnen, als der Treibhauseffekt noch kein Thema war. Ursprünglich ging es einmal darum, den radioaktiven Fallout oberirdischer Kernwaffentests im Auge zu behalten. Dazu überprüften die Heidelberger Forscher den Anteil von C14 in der Atmosphäre. Das ist eines von drei Kohlenstoff-Isotopen, die in der Natur vorkommen - also auch in CO2-Molekülen. C12 und C13 sind stabil. C14 dagegen ist radioaktiv und zerfällt mit einer relativ kurzen Halbwertszeit von 5730 Jahren. Es ist das Isotop, das auch für die Altersbestimmung nach der bekannten Radiokarbon- oder C14-Methode benutzt wird. Heute versetzt das Verfahren Ingeborg Levin in die Lage, Kohlendioxid aus der Verbrennung fossiler Energieträger nachzuweisen:

    "Der Trick ist eigentlich ganz einfach. Kohle, Erdöl, Erdgas sind teilweise Hunderte von Millionen Jahren alt, das heißt sie enthalten keinen Radio-Kohlenstoff. Der ist zerfallen. Sie haben jetzt ein bestimmtes C14- zu C12-Verhältnis in der Reinluft-Atmosphäre. Und jetzt gebe ich, sagen wir mal, zehn Prozent CO2 aus der Verbrennung von Kohle oder Öl dazu. Dann gebe ich praktisch nur C12-CO2-Moleküle dazu, aber kein C14. Ich verdünne praktisch das C14-zu-C12-Verhältnis um zehn Prozent. Und das ist das Messsignal."

    Mit ihren Dauerbeobachtungen deckt Ingeborg Levin jetzt Ungereimtheiten in den offiziellen Emissionsstatistiken auf. Ihr Institut misst neben Kohlendioxid auch noch andere Treibhausgase. Darunter Schwefelhexafluorid. Die Verbindung mit der chemischen Formel SF6 wird vor allem als Schutzgas in Transformatoren und elektrischen Schaltkreisen eingesetzt. Einmal freigesetzt, ist SF6 äußerst langlebig in der Atmosphäre. Levin:

    "SF6 ist eines der effektivsten Treibhausgase in der Atmosphäre. Die Konzentration ist noch sehr, sehr gering. Aber es ist ein Kyoto-Gas. Und die Emissionen müssen auch reported werden von allen Staaten, die das Kyoto-Protokoll unterschrieben haben. Und wenn man sich die Zahlen anschaut, dann ist die Bilanz nicht geschlossen."

    Details will die Physikerin im Moment noch nicht verraten. Ihre Studie zu SF6 sei noch nicht veröffentlicht, sagt sie. Aber auch andere haben inzwischen unerklärlich viel SF6 in der Außenluft gemessen. So etwa die Nationale Behörde für Ozean und Atmosphäre in den USA. Sie unterhält ein weltweites Messnetz für Spurengasmessungen. Chef-Wissenschaftler in der zuständigen Abteilung ist der gebürtige Niederländer Pieter Tans:

    "Die Rate der globalen SF6-Emissionen hat zuletzt zugenommen. Und das, obwohl die Industrieländer in ihren Berichten erklären, sie gehe zurück. Das ist ein klarer Widerspruch! Wenn man die gemeldeten SF6-Mengen zusammenrechnet, kommt man allenfalls auf 30 Prozent der Emissionen, die es alles in allem geben muss."

    Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Für Ingeborg Levin zeigt der Fall SF6, daß es neben den Meldungen der Länder auch Messungen der Forscher geben sollte:

    "Es muss im Prinzip für CO2, für Methan, für N2O - für alle diese Treibhausgase muss das möglich sein. Wir brauchen diese unabhängigen Überwachungen, um dann auch wirklich sicher zu sein."

    Die Heidelberger CO2-Probe mit der laufenden Nummer 1031 hat nun fast alle Stationen im Institutsgebäude durchlaufen – vom Dach bis in den Keller.

    "Wir sind fast am Ende hier, wo nämlich die C14-Aktivität bestimmt wird."

    Bernd Kromer ist Physiker und Leiter des Radiokohlenstoff-Labors. In dem Kellerraum, den er soeben betreten hat, stehen vier große Quader aus unzähligen, grau-schimmernden Ziegeln. Man könnte sie glatt für Sarkophage halten.

    "Große Bleiburgen. Das sind viele Tonnen Blei. Sehr radioaktivitätsarm. Und dahinter sind unsere Detektoren dann aufgestellt, die die C14-Aktivität in dem CO2-Gas, was wir da aufgefangen haben, messen."

    "Zählrohre" nennen sich die abgeschirmten Messsensoren mit der Gestalt von großen Ballpumpen. Zwischen ihrer Außenhülle und einem Draht im Innern liegt eine Hochspannung an. Zerfällt ein C14-Atom aus einem CO2-Molekül in dem Kupferrohr, werden Elektronen frei. Da sie geladen sind, bewegen sie sich im elektrischen Feld, sausen auf den Draht zu und lösen einen Impuls aus. Kromer:

    "Wir haben hier 19 Zählrohre insgesamt. Und alle laufen rund um die Uhr eine ganze Woche lang für die Präzision, die uns die Frau Levin abverlangt."

    Levin:

    "Für mich fällt dann tatsächlich die C14-Aktivität der Proben ab. Und das ist der Wert, den ich dann verwende, um die fossile CO2-Konzentration auszurechnen."

    Kohlendioxid-Messungen in der Atmosphäre gibt es schon länger. Als Treibhausgas blockiert CO2 die nächtliche Wärmerückstrahlung der Erde. Das läßt sich messtechnisch ausnutzen. Der US-Forscher Charles Keeling tat das als Erster. Schon vor über 50 Jahren startete er seine berühmte CO2-Messreihe auf dem Mauna Loa auf Hawaii. Sie dokumentiert, daß das Klimagas seit Jahrzehnten in der Atmosphäre zunimmt. Doch Keelings Datensatz liefert nur die Gesamtkonzentration von CO2. Der anthropogene Anteil aus der Öl-, Gas- und Kohlenutzung läßt sich daraus nicht separat ablesen. Das klappt nur mit der viel aufwändigeren C14-Methode. Doch Ingeborg Levin sieht darin kein Problem:

    "In Indien werden Messnetze aufgebaut, in China, auch in Russland, Sibirien. Man kann an vielen Stationen einfach nur Luftproben nehmen einmal in der Woche. Und dann die Proben an Labors schicken zur Analyse, um die Überwachung zu machen. Und die Amerikaner haben zum Beispiel jetzt gesagt, sie wollen Nordamerika mit C14-Meßstationen sozusagen abdecken und 5000 Proben pro Jahr analysieren."

    Aufzustocken wären aber nicht nur Labor-Kapazitäten. Auch die Zahl von CO2-Messstationen ist heute noch viel zu klein. In Europa wünschen sich Wissenschaftler wie Han Dolman ein kontinentweites Netzwerk aus Messtürmen:

    "Es gibt Pläne für ein Integriertes Kohlenstoff-Überwachungssystem in Europa. Es nennt sich Icos und sieht eine Zahl von 30 bis 40 Messtürmen vor. So viele braucht man, um sagen zu können: Diese oder jene Region erfüllt ihre Verpflichtungen zur CO2-Reduktion, oder sie erfüllt sie nicht."

    Martin Heimann am Max-Planck-Institut für Biogeochemie spricht sogar von 50 Messtürmen oder noch mehr für ganz Europa. Bisher gibt es erst acht. Nicht immer handelt es sich dabei um eigens errichtete Messmasten. Zum Teil wurden die Sensoren auch auf Fernsehtürmen installiert wie auf dem des Bayrischen Rundfunks am Ochsenkopf im Fichtelgebirge. Heimann:

    "In Deutschland möchten wir sechs bis acht Türme hinstellen. Dabei möchten wir zum Beispiel rund um Berlin zwei Türme oder drei Türme betreiben, um beispielsweise den Großraum Berlin abzudecken. Aus den Unterschieden der Türme kann man dann ausrechnen: Was sind die aktuellen Emissionen von Berlin?"

    Icos ist inzwischen offiziell als Europäische Wissenschafts-Infrastruktur anerkannt. Genauso wie zum Beispiel der große Teilchenbeschleuniger am Cern in Genf. Heimann:

    "Und jetzt müssen die Länder nachziehen und letztlich das finanzieren. Die EU hilft auch. In einer preparatory phase, in einer Vorbereitungsphase, hilft sie uns, praktisch das ganze Projekt in die Wege zu leiten. Wir werden sicher ein Kernnetz von Stationen haben, das hoffentlich in zwei bis drei Jahren mit der operationellen Phase in Betrieb genommen werden kann. Und dann dazu - je nach dem Willen der entsprechenden Länder, wie weit sie das unterstützen wollen – eine Art sekundäre Netze, die dann gekoppelt sind an Icos, um das Ganze dann so dicht zu machen, daß wir wirklich belastbare Aussagen treffen können."

    Darmstadt. Ein ganz normaler Missionstag im Europäischen Satelliten-Kontrollzentrum ESOC.

    "Envisat, 33 seconds, thank you."

    Die Europäische Raumfahrtagentur Esa hat eine Reihe von Erdbeobachtungssatelliten im All. In ein paar Sekunden wird einer von ihnen die Bodenstation im nordschwedischen Kiruna überfliegen und Messdaten zur Erde funken. Sein Name: Envisat. Es ist der größte Umweltsatellit, der jemals gebaut wurde.

    "Envisat, I confirm EOS."

    Schon seit sieben Jahren kreist Envisat in 800 Kilometern Höhe um die Erde. Und misst dabei auch CO2. Allerdings nur als eines von vielen Spurengasen. Der französische Raumfahrtingenieur Daniel Mesples:

    "Die Instrumente an Bord von Envisat messen alles Mögliche. Keines von ihnen ist daher das Beste auf seinem Gebiet. Mit dem CO2-Sensor kann man sicher kein einzelnes Kohle-Kraftwerk am Boden lokalisieren. Doch immerhin reicht seine Auflösung, um erhöhte CO2-Konzentrationen über Industrieregionen zu erfassen. Insofern kann man Envisat als nützliche Vorstufe künftiger CO2-Satelliten ansehen."

    Martin Heimann bekräftigt noch einmal: Satelliten seien nötig, um die weißen Flecken auf der Weltkarte zu schließen – dort, wo auch in Zukunft keine CO2-Messtürme in der Nähe sein werden:

    "Nach Kopenhagen, wenn wir da ein neues Abkommen haben, das verpflichtende Emissionsreduktionen festlegt, dann wird der Ruf nach weiteren Satelliten-Missionen massiv ansteigen."

    Doch fürs erste gibt es keine verlässlichen CO2-Wächter im All. Das Kohlenstoff-Observatorium der Nasa ist abgestürzt, eine Ersatz-Mission weiterhin fraglich. Und auch Europa steht mit leeren Händen da. Es existiert zwar ein Konzept für einen europäischen CO2-Satelliten, entwickelt von Experten der Universität Bremen und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Doch die Esa hat das Projekt vorerst zurückgestellt, bedauert Han Dolman:

    "Das war ein Vorschlag für einen aktiven Sensor an Bord eines Satelliten. Für seine Messungen wäre er nicht auf das Sonnenlicht angewiesen. Stattdessen würde er einen Laser-Messstrahl ausschicken und so CO2 aktiv messen, wie wir sagen, und nicht bloß passiv. Das ginge sogar nachts und während des Nordwinters. Es hieß jedoch, die Technologie sei nicht ausgereift. Ich bin aber sicher, daß ihre Zeit noch kommt. Denn wenn man Emissionsreduktionen wie nach dem Kyoto-Protokoll überprüfen will, dann liefert Ihnen ein aktiver Sensor einfach viel mehr Informationen."

    Ansonsten hat nur Japan seit diesem Frühjahr einen CO2-Satelliten namens Gosat im All. Doch Max-Planck-Physiker Heimann warnt davor, sich zu viel von dieser Mission zu versprechen:

    "Das japanische System ist nicht gedacht für langfristiges Monitoring, sondern das ist letztlich ein Forschungssatellit. Wenn GOSAT nicht das liefert, was er sagt, dann haben wir nichts."

    17 Jahre sind inzwischen vergangen, seit die Klima-Rahmenkonvention von Rio verabschiedet wurde. Zwölf Jahre ist das Kyoto-Protokoll bereits alt. Doch noch immer wird der Treibhausgas-Ausstoß der Vertragsstaaten nur auf dem Papier bilanziert. Man verlässt sich auf Anlagenkataster, Emissionsfaktoren und Verbrauchsstatistiken. Diese Klimagas-Bilanzen haben jedoch Mängel, wie man weiß. Das steht zwar nicht in den internationalen Klimaschutzverträgen. Dafür aber etwas anderes. Ingeborg Levin:

    "Es steht drin, daß es eine unabhängige Validierung geben soll. Und wie soll das gehen, wenn nicht über atmosphärische Messungen? Wir haben jetzt ja gerade gesehen, daß es beim SF6 nicht zusammenpasst."

    Heimann:

    "Und auch für die wissenschaftlichen Fragestellungen: Es gibt da verschiedene Bereiche, wo wir beobachten müssen, was passiert, wenn sich das Klima ändert in den nächsten Jahrzehnten. Was passiert eben in den Hot Sports des Kohlenstoff-Kreislaufs? Also jetzt zum Beispiel in der Taiga mit dem Permafrost: Was passiert mit dem, wenn es wärmer wird? Wir müssen das auch langfristig begleiten mit Messungen."


    Kromer:

    "Jetzt muss ich aber gerade mal ’was tun. Ich muss die Zählrohre wieder starten. Sonst kommen wir gar nicht zu unseren Messungen."