Die Bundesregierung habe "nicht die Absicht", den Weg wie in Frankreich zu gehen: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich während eines Besuchs im Robert Koch-Institut gegen eine Impfpflicht für Beschäftigte in bestimmten Berufsgruppen wie dem Gesundheitswesen und der Altenpflege ausgesprochen. Frankreich hatte angekündigt, dass Beschäftigte aus diesen Bereichen mit einer Suspendierung rechnen müssten, wenn sie sich bis Mitte September nicht wenigstes ein erstes Mal impfen lassen. Die Nachfrage nach Impfterminen war daraufhin stark angestiegen.
Impfplicht auch für Lehrer und Erzieher?
Frank Ulrich Montgomery, Präsident des Weltärztebundes, sagte im Deutschlandfunk, wer in diesen Bereichen Vakzine partout ablehne, der müsse sich im Gesundheitsbereich eine andere Beschäftigung ohne direkten Patienten-Kontakt suchen, wo keine Ansteckung anderer drohe. Angela Merkel sei eine hochpragmatische Frau und werde einer Impfpflicht bei nicht ausreichender Impfbereitschaft in der Bevölkerung am Ende zustimmen.
Auch den Vorschlag von Wolfram Henn vom Deutschen Ethikrat begrüßte Montgomery. Dieser hatte eine Impfpflicht für Lehrerinnen und Lehrer sowie für Erzieherinnen und Erzieher ins Spiel gebracht. Diese könnten das Virus an Kinder und Jugendliche weitergeben, die dann wiederum ihre Eltern infizieren könnten.
Das Interview im Wortlaut:
Dirk-Oliver Heckmann: Herr Montgomery, die Politik räumt die Debatte um eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen also ab, vorerst zumindest, Frankreich und Griechenland sehen das anders. Sind die auf dem Holzweg?
Frank-Ulrich Montgomery: Ach, Holzweg oder nicht, sie haben Angst vor Wahlkampfzeiten, an eine solidarische Verpflichtung in einer Gesellschaft zu erinnern. Das ist, glaube ich, bei uns in Deutschland das Problem. Verantwortungsvolle Medizin heißt, dass ich auch meine Patienten schützen will. Deswegen sind ja auch 90 Prozent der Mitarbeiter in Krankenhäusern geimpft, aber die letzten 10 Prozent hätten wir auch gerne, oder aber sie müssten sich eben eine andere Beschäftigung im Gesundheitsbereich suchen, wo man nicht direkten Kontakt mit Corona-Patienten oder aber Menschen hat, die vielleicht COVID-infiziert sind. Ich glaube, man muss das etwas weniger emotional sehen, und früher oder später müssen wir erreichen, dass möglichst alle Menschen in Deutschland geimpft sind.
"Wir haben mit der Pflicht ja gute Erfahrungen"
Heckmann: Die Impfquote beim medizinischen Personal liegt bei 84 Prozent bezogen auf die Erstimpfung und 64 Prozent bei der Zweitimpfung, das sind die aktuellen Zahlen des RKI von Mitte Juni. Das sind hohe Zahlen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, aber müssten es nicht eigentlich schon längst 100 Prozent des medizinischen Personals sein, das geimpft ist?
Montgomery: Da bin ich bei Ihnen. Am Anfang war die Priorisierung ein bisschen davor, weil nicht alle medizinischen Mitarbeiter zur ersten Prioritätengruppe gehörten. Das erklärt vielleicht, dass es etwas spät angefangen hat. Aber ich teile Ihre Äußerung eben oder Ihre Einschätzung, dass eigentlich längst alle im medizinischen Bereich geimpft sein sollten, und ich meine sogar noch mehr als nur der direkte medizinische Bereich, also niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser, auch die Altenpflege spielt hier eine Rolle, und bei der sind die Impfquoten deutlich schlechter. Also wir müssen dafür sorgen, dass alle Menschen, die Verantwortung für Patienten tragen, die theoretisch diese Patienten anstecken könnten, selber so gut geschützt sind wie nur irgend möglich, damit sie das Virus nicht weitertragen.
Heckmann: Aus Ihrer Sicht dann auch letztendlich mit einer Pflicht?
Montgomery: Wir haben mit der Pflicht ja gute Erfahrungen – im Beitrag eben wurde es ja erwähnt, wir haben die Pocken ausgerottet mit dieser Pflicht. Das ist eine riesige Leistung der Medizin. Wir haben diese Pflichten zum Beispiel bei der Bundeswehr. Sie können nicht Soldat werden, ohne sich gegen bestimmte Erkrankungen impfen zu lassen. Und ich halte es für einen Arzt für selbstverständlich, gegen Hepatitis geimpft zu sein, damit er diese Erkrankung nicht an seine Patienten weiterträgt. Manchmal hilft so eine Pflicht ja als gute Erinnerung, wie es bei der Masern-Impfpflicht ist, und deshalb bin ich dafür, dass man das einführt.
Heckmann: Aber das setzt die Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern, im Pflegebereich auch unter Druck – diejenigen, die es halt einfach nicht wollen, sich impfen zu lassen –, und die Grundrechtseinschränkung ist erheblich.
Montgomery: Das sehe ich nicht ganz so, weil man kann auch im Krankenhaus in Bereichen arbeiten, wo man keinerlei Kontakte mit Patienten hat. Man kann im Krankenhaus auch in Bereichen arbeiten, in denen das Risiko, jemand anderen anzustecken, ausgesprochen gering ist. Und ich finde, gewisse Risiken muss man auch solidarisch in einer Gesellschaft auch in einem Beruf mit ertragen und muss auch zum Schutz der einem anbefohlenen Patienten sich vorsichtig verhalten gegenüber der Zukunft. Also wer als Arzt wissenschaftlich ausgebildet ist und dann noch große Ressentiments gegen diese Impfung hat, den kann ich teilweise nur schwerlich verstehen.
"Wir werden eine Verschärfung der Debatte um das Impfen bekommen"
Heckmann: Können Sie schwerlich verstehen, insofern ist das eine falsche Entscheidung gewesen jetzt von Angela Merkel und auch dem Gesundheitsminister, zu sagen, nein, wir bleiben dabei, es wird keine Impfpflicht geben, auch nicht für bestimmte Berufsgruppen, derzeit jedenfalls nicht.
Montgomery: Ich halte das für eine politisch getriebene Entscheidung. Ich persönlich halte sie für falsch, aber wir haben ja noch viel Zeit, solche Dinge zu ändern. Wenn vor allem jetzt die Impfbereitschaft in der Bevölkerung weiter nachlässt, könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass die Politik noch einmal nachdenkt. Angela Merkel ist eine hoch pragmatische Frau, die wird dann schon auch zur reinen Vernunft kommen und wird sicherlich auch sich für eine Impfpflicht aussprechen.
Heckmann: Also das Thema ist für Sie aus Ihrer Sicht nicht abgehakt?
Montgomery: Das Thema ist überhaupt nicht abgeräumt. Wir werden eine Verschärfung der Debatte um das Impfen bekommen, denn wir sind jetzt so im Bereich derjenigen – wir haben jetzt alle Geimpfte, die sich schnell impfen lassen wollten, und wir müssen jetzt all die anderen überzeugen, die als Impfskeptiker da sind. Und wir müssen auch auf die zugehen, von denen wir bisher wissen, dass sie sich möglichst gegen gar nichts impfen lassen wollen. Allem muss man mit Argumenten begegnen und muss versuchen, sie dazu zu bekommen, sich impfen zu lassen. Wo alle Argumente nicht mehr helfen, hilft dann manchmal auch eine gesellschaftliche Pflicht. Wir müssen weniger auch manchmal an uns selber denken und mehr an die Menschen um uns herum und an die Menschen, zu deren Betreuung wir verpflichtet sind und uns verpflichtet haben, zum Beispiel durch einen hippokratischen Eid.
Heckmann: 84 Prozent sind erstgeimpft im medizinischen Bereich, ich hab’s gerade eben genannt, die Zahl des RKI, das heißt im Umkehrschluss, 16 Prozent sind ungeimpft. Was ist aus Ihrer Sicht – Sie haben es gerade gesagt, Sie können es schwer nachvollziehen –, aber was ist aus Ihrer Sicht und Ihrer Erfahrung heraus der Grund dafür?
Montgomery: Da gibt es in meinen Augen verschiedene Gründe. Ein Grund ist mit Sicherheit auch, dass die Priorisierung am Anfang, die Debatte um die Termine und Ähnliches schwierig war, überhaupt einen Termin zu bekommen, und auch im medizinischen Bereich gibt es ja Menschen, die derartige staatlich verordneten Termine nicht sofort wahrnehmen. Das Zweite ist, es gibt durchaus auch Menschen, die Ängste vor Langfristwirkungen haben. Wir können nicht sagen, was langfristige Auswirkungen dieser Impfungen sind, wir können nur sagen, dass nach allem, was wir heute wissen, keine versteckten Gefahren in diesen Impfstoffen lauern. Aber auch unter Ärzten und unter Krankenschwestern gibt es ängstliche Menschen. Und dann gibt es auch Menschen, die aus grundsätzlichen Überlegungen all diese staatlichen Eingriffe ablehnen, die in so einer Art Fundamentaloppositionismus gerne all so etwas von sich weisen möchten. Das ist eine verantwortungslose Position in meinen Augen, und denen muss man ein kleines bisschen vielleicht mit einer Impfpflicht dann nachhelfen.
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Heckmann: Weiten wir vielleicht ein bisschen den Blick, Herr Montgomery: Wolfram Henn vom Deutschen Ethikrat, der hatte am Montag ja auch eine Impfpflicht für Lehrerinnen und Lehrer, für Erzieherinnen und Erzieher ins Spiel gebracht, denn die können das Virus an Kinder und Jugendliche weitergeben, die dann wiederum ihre Eltern infizieren könnten. Er hat auch das Beispiel genannt Krebspatienten dann zu Hause, die nicht geimpft werden könnten. Brauchen wir auch in diesem Bereich aus Ihrer Sicht eine Impfpflicht?
Montgomery: Ja, ich fand den Vorstoß von Herrn Henn ausgesprochen gut. Wir reden ja von einer berufsbezogenen Impfpflicht, also nur da, wo in einer Berufsausübung mit dem Kontakt mit anderen Menschen die Gefahr besteht, andere zu infizieren. Ich halte das für vernünftig, habe ich dann sehr über die Auslassungen von Frau Buyx gewundert, die Vorsitzende des Ethikrates, denn Ethik hängt doch nicht von Impfquoten, die wir schon haben, ab, sondern die grundsätzliche ethische Verpflichtung aus einer sozialen Verpflichtung heraus, die anempfohlenen Patienten dadurch zu schützen, dass ich mich selber impfen lasse, die ist unabhängig von der erreichten Impfquote, das ist eine grundsätzliche Verpflichtung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.