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Weltagrarkulturerbe
Dattelanbau in den Bergoasen von Gafsa

Seit Jahrhunderten wächst im südtunesischen Gafsa so ziemlich alles: Datteln an den Palmen, Radieschen und Kürbisse unter der Erde. Dank der intelligenten Bewässerungssysteme bietet die Oase eine Vielfalt an Lebensmitteln. Doch die Zukunft des ökologischen Wunderwerks ist in Gefahr.

Von Alexander Göbel |
    Dattelpalme im Gafsa-Oasen-Projekt in Tunesien
    Dattelpalme im Gafsa-Oasen-Projekt in Tunesien (Alexander Göbel)
    Im Schatten riesiger Dattelpalmen steht Oasenbauer Mohamed auf einem schmalen Pfad zwischen zwei Gemüsebeeten. Vorsichtig zieht er ein Radieschen aus der lockeren Erde.
    "Hier wachsen jetzt gerade Radieschen und Kürbis. Erst kommen die Radieschen. Und danach wird der Kürbis geerntet, sodass immer etwas wächst."
    Mohameds Parzellen sind von kleinen Bewässerungskanälen durchzogen und liegen mitten in der Oase von Gafsa, rund 400 Kilometer südlich von Tunis. Seit vielen Hundert Jahren lebt Mohameds Familie hier schon von der Landwirtschaft. In den verschiedenen Stockwerken seiner Felder erntet Mohamed alles, was schon seine Vorfahren hier angebaut haben. Von der Dattel in sechs Metern Höhe bis zum Wurzelgemüse unter der Erde.
    Wasserleitung im Gafsa-Oasen-Projekt in Tunesien: Die alte Bewässerungsanlage ist dringend erneuerungsbedürftig
    Wasserleitung im Gafsa-Oasen-Projekt in Tunesien: Die alte Bewässerungsanlage ist dringend erneuerungsbedürftig (Alexander Göbel)
    "Das ist das Land, auf dem schon unsere Ur-Ur-Urgroßväter gearbeitet haben. Es ist unser Lebensunterhalt, und den geben wir nicht auf. Auch wenn es eine Knochenarbeit ist. Die Oliven zum Beispiel stammen aus der Zeit der Römer. Und diese Bäume geben bis heute Erträge ab."
    Landwirtschaft seit Hunderten von Jahren
    Römer, Byzantiner, Berber – alle waren sie schon in Gafsa, vor den Toren der tunesischen Wüste. Knochenfunde aus der Frühgeschichte belegen, dass sich schon seit Ewigkeiten Menschen für die fruchtbaren Böden in der Oase interessiert haben müssen. Mohamed kommt ins Schwärmen: So sei über unzählige Generationen hinweg nicht nur eine traditionsreiche Handelsstadt am Rande der Oase entstanden, sondern auch eine einzigartige Vielfalt von Kulturpflanzen.
    "Aprikosen, Granatäpfel, Birnen, Oliven, Feigen, Pfirsiche, Trauben - wir haben alles, was man braucht. Gafsa ist bekannt für seine Aprikosen. Und die Birnen sind die besten und teuersten. Wir haben hier zehn Sorten Birnen, die es im Rest des Landes nicht gibt."
    Genau so sei es mit den berühmten Datteln, erklärt Mohamed: Achtzehn verschiedene Sorten gebe es in Gafsa, die meisten davon nur hier – wegen des besonders milden Mikroklimas.
    18 unterschiedliche Dattelsorten
    Die Idylle trügt. Mohameds Geschäfte liefen schon mal besser. Schädlinge fressen seine Ernten auf, von seinen kostbaren Pistazienbäumen sind Gerademal zwanzig übrig. Aber Chemie-Keulen kann und will er als Bio-Bauer nicht einsetzen. Außerdem hat er niemanden mehr, der seine Dattelpalmen pflegen und bestäuben kann, viele Bäume verrotten, samt Früchten am Baum. Viele junge Leute haben der traditionellen Oasen-Landwirtschaft den Rücken gekehrt und die Stadt Gafsa verlassen. Die Oase, rund 700 Fußballfelder groß, ist nicht mehr rentabel und dadurch extrem bedroht. Langfristig sterben Arten aus, kostbares Wissen geht verloren. Das größte Problem: Der Grundwasserspiegel ist dramatisch gesunken. Lahzar Cherif, Präsident des Vereins für die Rettung der Medina von Gafsa:
    "Der Oasenbewohner kommt nicht mehr über die Runden. Die Quellen in der Oase sind versiegt, das Wasser reicht nicht mehr für die Parzellen, die Bauern müssen Wasser teuer kaufen und von außerhalb pumpen lassen. Also, wer hier in der Oase seine Felder bewirtschaften will, ist in einer wenn nicht unmöglichen so doch unfassbar schwierigen Situation."
    Lahzar Cherif: Präsident der ASM Gafsa - Association pour le Sauvegarde de la Médina de Gafsa. Cherif und sein Team sind enge Partner der FAO und sozusagen Durchführungsorganisation beim Schutz der Oase von Gafsa als Weltagrarkulturerbe. Hier hält Cherif stolz die Urkunde in Händen.
    Lahzar Cherif: Präsident der ASM Gafsa - Association pour le Sauvegarde de la Médina de Gafsa (Alexander Göbel)
    Bio-Agrarwirtschaft statt Chemie-Keule
    Die alte Oase von Gafsa ist umzingelt von privat angelegten Dattelplantagen großer Konzerne, in denen es nicht um Biodiversität geht, sondern um Masse. Diese Plantagen konkurrieren mit der Oase um das kostbare Wasser. Aber das wird wiederum zu Millionen Hektolitern vor allem von der Industrie gebraucht, zur Phosphat-Produktion in den Minen vor den Toren der Stadt. Lahzar Cherifs Kollege Slah Ben Amor vom Verein für die Rettung der Medina macht sich Sorgen, dass der Schaden für die Oase bald zu groß sein könnte, um sie zu erhalten.
    "Eine solche Oase kann man nicht von heute auf morgen wieder aufbauen – dagegen braucht es nur ein paar Jahre, um große Teile von ihr zu zerstören!"
    Zur Zerstörung trägt nicht zuletzt die Stadt selbst bei. Denn korrupte und überforderte Verwaltungsbeamte lassen es zu, dass die Oase schon an vielen Stellen zur trostlosen Müllkippe geworden ist, dass sich Schrott und Abfallberge zwischen den Streuobstwiesen türmen. Außerdem vergeben die Behörden illegal Lizenzen zum Bau von Häusern samt Stromversorgung - mitten in der Oase. Ein Skandal, sagt Abdelhamid Kidar, eigentlich Hautarzt, aber leidenschaftlicher Landwirt und in der Oase geboren:
    "Für mich ist die Oase ist wie eine Lunge – wie ein Herz, das schlägt, damit wir leben können. Wir müssen diese Oase retten und erhalten. Eins ist klar: Der Staat wird uns dabei nicht helfen. Wir selbst müssen endlich etwas tun."
    Gafsa-Oasen-Projekt in Tunesien
    Gafsa-Oasen-Projekt in Tunesien (Alexander Göbel)
    Lahzar Cherif und sein Kulturverein wollen dem Verfall der Oase von Gafsa gegensteuern. Sie sind froh, dass dieser besondere Ort nun zum Weltagrarkulturerbe der Vereinten Nationen gehört. Der Titel, so hofft Cherif, werde das Interesse der Biobauern wieder wecken, die Oase schützen und ihr wieder die große Bedeutung zurückgeben, die sie einmal hatte – viele Jahrhunderte lang.
    "Der Ertrag der Dattelernte ist eben immer geringer geworden und dadurch wird der Dattelanbau immer unattraktiver für die Bauern. Mit Unterstützung der Europäischen Union versuchen wir gerade, die Herstellung von lokalen Dattelprodukten anzukurbeln – also Dattelsirup, -paste und –pulver. Wir hoffen, dass wir damit einen Markt für gute Bio-Produkte schaffen und junge Leute begeistern können – nur mit ihrer Hilfe können wir die Oase erhalten."