Archiv

Weltalphabetisierungstag
Texte übersetzen für Menschen mit Leseschwäche

Behördentexte oder Verträge sind oft kompliziert - vor allem für Menschen, die nicht so gut lesen und schreiben können. Damit auch sie eine Chance haben, Alltagstexte zu verstehen, hat die Lebenshilfe Bremen vor zehn Jahren das Büro für Leichte Sprache gegründet.

Von Franziska Rattei | 08.09.2014
    Das Wort "Alphabet", zusammengesetzt aus Buchstaben-Nudeln
    Um sich selbstständig im Alltag bewegen zu können, ist es wichtig, Sprache und Texte zu verstehen. (picture alliance / Universität Jena)
    "So, Oli, hast Du Zeit zum Besprechen?"
    "Mhm."
    "Gut, dann sag mal, was du schwer fandest bei dem Text."
    Judith Nieder und Oliver Pagel sitzen über einem Text zum Thema Analphabetismus. Ein Ausdruck einer Interseite. Die Übersetzerin für Leichte Sprache möchte wissen, über welche Wörter und Sätze der Prüfer so gestolpert ist beim ersten Lesen. Es geht schon bei der Überschrift los:
    "Analpha, Analphabetismus..."
    "Kennst du das Wort?"
    "Analphabetismus?''
    "Hab ich schon mal gehört."
    "Weißt du, was das bedeutet?''
    "Welche, die nicht lesen können, die überhaupt nicht lesen können."
    "Ja, genau."
    Oliver Pagel kann sehr wohl lesen. Er hat einen erweiterten Hauptschulabschluss. Aber ganz so flüssig und schnell wie die meisten Erwachsenen kommt er nicht voran. Bei langen Sätzen und Fremdwörtern bleibt er hängen.
    "Oralität."
    "Das ist auch ein Fremdwort, das geht in der Leichten Sprache gar nicht."
    "Nee, das geht nicht."
    "Nein, das würden wir nicht nehmen."
    Schwierigkeiten mit dem Gesamtzusammenhang
    Manchmal hat der 35-Jährige bei Texten auch Schwierigkeiten mit dem Gesamtzusammenhang. Er liest zwar allgemeinsprachliche Texte, beispielsweise kauft Pagel sich regelmäßig eine Wissenszeitschrift und eine Wirtschaftswochenzeitung, aber die sogenannte Leichte Sprache gefällt ihm doch besser. Denn beim Alltagsdeutsch, der sogenannten "Schweren Sprache" braucht er ab und zu Rat:
    "Manchmal, ich hab ja auch zweimal die Woche Betreuung - wenn, so, wenn ich Briefe bekomme, gehe ich zu meinen Betreuern hin, und die helfen mir dann, wenn ich Post bekomme, Briefe von Ämtern, Behörden."
    Im Büro für Leichte Sprache ist Pagel derjenige, der um Rat gefragt wird. Die Texte, die Judith Nieder und ihre vier Kollegen aus der "schweren" in die Leichte Sprache übersetzt haben, prüft er auf Verständlichkeit. Der zurückhaltende Mann hat die Stelle seit einem knappen Jahr. Vorher arbeitete er in einer Werkstatt an Maschinen.
    Judith Nieder: "Herr Pagel liest sich das in Ruhe durch und hat einen Textmarker, mit dem er alles anstreicht, was er zu schwer findet. Und dann besprechen wir. Das heißt: Wir gehen noch mal alles durch, besonders natürlich die Stellen, die er angestrichen hat. Dadurch haben wir dann ne gute Rückmeldung und ne Einschätzung und dann haben wir auch ein gutes Gewissen, das zu unseren Auftraggebern zurückzugeben als einen Text in Leichter Sprache."
    Zusammenarbeit mit Institutionen, Behörden und Ämtern
    Das Büro für Leichte Sprache der Lebenshilfe Bremen arbeitet häufig für Institutionen, Behörden, Ämter, Vereine oder Kultureinrichtungen. Deren Ziel: ihren Klienten leicht verständliche Texte zur Verfügung stellen; das können Verträge, Informationsbroschüren oder Anweisungen sein.
    Judith Nieder: "Es sollten immer kurze Sätze sein, eine Regel ist: maximal ein Komma pro Satz, maximal eigentlich auch eine Aussage pro Satz. Ein Satz sollte nur eine Zeile sein. Also, wir haben da schon ein recht striktes Regelwerk, an das wir uns halten müssen, denn sonst könnte man ganz schnell behaupten: jaja, das ist ja schon leicht."
    Wichtiges Hilfsmittel in der Leichten Sprache sind Bilder. Die können eine Idee oft schneller vermitteln als ein Text. Rein formale Vorgaben gibt es außerdem: einen schnörkellosen, großen Schrifttyp wählen zum Beispiel; und genügend Abstand zwischen den Zeilen lassen. Je weniger dieser Regeln eingehalten werden, desto schwieriger wird es für diejenigen, die Probleme mit dem Lesen haben. Eng gedruckte Fahrpläne etwa können schwierig sein; oder kursiv gedruckte Speisekarten.
    "... erstmal das markieren."
    Während Oliver Pagel den nächsten Text bearbeitet und komplizierte Wörter anstreicht, lächelt er ein bisschen; und ganz schüchtern gibt er zu, dass er durch die Arbeit als Prüfer auch ein bisschen Selbstbewusstsein gewonnen hat:
    "Bisschen mehr Mut vielleicht, bisschen mehr Mut. Ja, es gefällt mir eigentlich sehr gut im Büro."