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Weltausstellungen
Wege in die Moderne

Die Nähmaschine wurde auf der Weltausstellung 1862 in London präsentiert, das Telefon 1876 in Philadelphia. Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg widmet sich jetzt in einer Sonderschau dem Thema Weltausstellung. Zeigen wollen die Ausstellungsmacher dabei, wie diese den Grundstein der heutigen multimedialen Gesellschaft legten.

Von Barbara Bogen | 30.03.2014
    Wer die neue Sonderausstellung im Germanischen Nationalmuseum betritt, mag zunächst erstaunt sein, wie düster sie auf Anhieb wirkt, eher erweckt sie den Anschein einer dunklen Wunderkammer, als dass von hier aus wirklich Wege in die Moderne führen könnten. Doch die dunkle Gruft voller kurioser Exponate aus dem Fundus des 19. Jahrhunderts spürt den Fundamenten des globalen digitalen Kommunikationszeitalters nach.
    Weltausstellungen, ihr erstes Kapitel, betrachtet Orte und Waren, Besucher und Aussteller, ihre Identität und den Reiz des Fremden und Exotischen, den sie widerspiegelten. Eine signifikante Skurrilität wie ein chinesischer Faltfächer mit Bambusgestänge etwa weist in winziger Schrift ein englisch-chinesisches Wörterbuch auf, mittels dessen Konversation ermöglicht werden sollte. Weltausstellungen öffneten dem wachsenden Fernweh der Menschen die Fenster zur Welt und waren die ersten Massenveranstaltungen, nicht zuletzt durch die rasanten Entwicklungen der transnationalen Infrastruktur. 1851 verzeichnete die Ausstellung in Paris annähernd sechs Millionen Besucher, im Jahr 1900 reisten bereits zehn Millionen an, um sensationshungrig die opulenten Inszenierungen technischer und kultureller Innovationen zu erleben. Für die Schau in Paris 1878 wurde eigens ein neuer Bahnhof errichtet. Es waren frühe Orte des Massentourismus und der Event-Kultur. Foto- und Filmaufnahmen dokumentieren Bilder der Ausstellung 1893 in Chicago (auf der übrigens auch der erste elektrische Stuhl gezeigt wurde) mit einer künstlichen Alpenformation, einem javanischen Dorf oder dem Nachbau von Altwien.
    Grandiose Kulissen, gigantische Vorläufer von Disneyland, die allerdings dem Vergnügen und der Belehrung dienen sollten und am Ende der Schauen schnell wieder abgerissen wurden. Ephemer wurde die Welt, flüchtig, künstlich, unwirklich und vor allem immer schneller. Jutta Zander-Seidel, Kuratorin der Abteilung Medien.
    "Diese Kurznachrichten, diese Endformalisierung und Beschleunigung der Kommunikation, die natürlich ihren Grund hatte, weil die Zeit schneller geworden, schnelllebiger geworden ist, weil geschäftliche Verbindungen schneller funktionieren mussten als mit formalisierten Briefen, also das hat in der ganzen gesellschaftlichen Entwicklung natürlich seinen Hintergrund und ich denke, diese Sachen haben einfach den Grund gelegt für die moderne Kommunikationsgesellschaft."
    Telegraf und Telefon revolutionieren die Kommunikation des 19. Jahrhunderts. Kurznachrichten per Postkarte ersetzen den elegant formulierten Brief, und Kulturkritiker der Stunde warnen vor dem Verfall der Sprachkultur. Die Presselandschaft profitiert. Die Erfindung der Autotypie mit der Möglichkeit, Text und Bild zeitgleich zu drucken, gilt als Revolution.
    Die Aktualität von Nachrichten wird zum Gradmesser der Moderne und vom Untergang der Titanic etwa wissen per Medien schnell alle. Zum putzigen Grundstein der globalisierten Unterhaltungs- und Freizeitindustrie gerät die Laterna Magica. Ein Bild in der Ausstellung zeigt eine große neugierige Gruppe von Menschen, versammelt um einen Guckkasten, also das frühe Fernsehen. Ein französischer Graphiker hat dazu ein Motto geprägt, das zum Motto der Zeit wurde: "Man muss den Menschen wohl Bilder zeigen", heißt es da, "die Wirklichkeit langweilt ihn".
    "Und ich finde diesen Satz für die Zeit eigentlich faszinierend, wenn wir denken heute diese ganzen virtuellen Zweitwelten, Nebenwelten, Second Life, also das Spiel mit der Illusion, dass man Welten schafft, in denen was auch immer anders ist als in der Gegenwart, das ist doch ein Phänomen, das im 19. Jahrhundert eingesetzt hat, natürlich durch den Film und durch die Illusionsmedien weiter befeuert worden ist, was aber heutzutage ich denke mehr denn je geht."
    Das dritte und letzte Kapitel widmet sich dem Thema Musikkultur, zeigt, wie dank Phonograph und Grammophon die "heilige Musik" plötzlich aus der Konserve kam, jederzeit und für jedermann abrufbar. Durch Passagen verbunden, "vernetzt" kann der Besucher auf eintausend Quadratmetern flanieren durch die drei klar gegliederten Sektionen der 500 Exponate umfassenden Schau, die fast alle aus den eigenen Depots des Hauses stammen, kann selbst Verbindungen herstellen, Wegen nachgehen, wie im 19. Jahrhundert die Vernetzung der Welt begann, die Welt zusammenwuchs und das "global village" explodierte.
    "Wege in die Moderne" ist zweifellos eine große Erzählung, in die man sich vertiefen muss, um ihre Magie zu erleben und die nicht zuletzt auch davon handelt, aus welchen mitunter kurios und absurd scheinenden Wurzeln das 21. Jahrhundert sich nährt und gewachsen ist. Etwas weniger Düsterkeit in der Präsentation und mehr Frische auf den Wegen in die Moderne hätten der Schau allerdings mit Sicherheit gut getan.