Jule Reimer: Es klingt etwas hart, aber es ist wahr. Ob nun im Bodensee Fische schwimmen oder nicht, ist nicht entscheidend dafür, ob die Menschen in der Region satt werden. In anderen Teilen der Welt ist das anders. Ernährungssicherheit schaffen lautet dagegen das Schlüsselwort. Und wie die weltweit herzustellen ist, darum ringen seit einigen Tagen in Rom Experten aus aller Welt beim Treffen des UN-Welternährungsausschusses. Mit dabei ist Marita Wiggerthale für die entwicklungspolitische Organisation Oxfam, denn in diesem Fall haben nicht nur Regierungen, sondern auch manche Hilfsorganisationen Rede- und Verhandlungsrecht. Im Mittelpunkt die Notwendigkeit, die Landwirtschaft nachhaltig zu gestalten. Wenn nämlich 2050 vielleicht neun Milliarden Menschen auf der Erde leben, wird es enger.
- Frau Wiggerthale, wie lauten die Empfehlungen des UN-Welternährungsausschusses für eine nachhaltige Landwirtschaft? Wie sehen die Ergebnisse aus?
Marita Wiggerthale: Die Landwirtschaft soll insgesamt nachhaltiger werden. Das soll gewährleistet werden durch die Förderung von agrarökologischen Ansätzen und nachhaltiger Intensivierung. Zum anderen sollen die Rechte von Frauen in der Landwirtschaft geschützt und gewährleistet werden. Das ist das erste Mal, dass wir das im UN-Welternährungsausschuss erreichen konnten, dass die Frauenrechte geschützt werden. Und als drittes, dass die Viehhaltung von Hirtenvölkern spezifisch geschützt und gefördert wird.
Reimer: Fangen wir mal bei der Agrarökologie an. Da würde ich mir jetzt Biolandwirtschaft vorstellen. Ist das richtig?
Wiggerthale: Genau. Zu den agrarökologischen Ansätzen gehört unter anderem der ökologische Anbau, aber auch Ansätze, wie der Mischanbau, wie der Einsatz von stickstoffarmen Eiweißpflanzen und Agro-Forstsysteme beispielsweise.
Reimer: Frau Wiggerthale, wir hören Sie jetzt gerade relativ schlecht. - Nachhaltige Intensivierung, was fällt denn darunter? Ist das Intensivlandwirtschaft, aber anders?
Wiggerthale: Kann man so sagen. Es wird von Regierungsseite aus immer gesagt, mehr mit weniger Ressourcen produzieren. Im Endeffekt ändern sich dadurch die Anti-Anbau-Verfahren aber nicht, es werden genauso Düngemittel, Pestizide eingesetzt und damit natürlich dann nicht die Bodenfruchtbarkeit verbessert und die biologische Vielfalt erhalten.
Reimer: Sie erwähnen, dass die Hirtenvölker erstmals auch anerkannt werden. Ich würde jetzt aus der Vergangenheit sagen, dass ich mit Hirtenvölkern möglicherweise Abgrasen und Verwüstung in Verbindung gebracht hätte. Gleichzeitig gelten sie jetzt als nachhaltig. Was ist der Unterschied?
Wiggerthale: Viehhaltung bei Hirtenvölkern ist grundsätzlich nachhaltig
Wiggerthale: Die Viehhaltung bei Hirtenvölkern ist grundsätzlich nachhaltig, solange sie die Möglichkeit haben, von einem Ort zum anderen zu wandern. Das Problem ist, dass die Korridore, in denen sich Hirtenvölker bewegen können, in den letzten Jahren immer stärker eingeschränkt wurden. Das heißt, ihnen bleibt weniger Fläche. Und dann kommt es natürlich auch leider zu Überweidungen. Aber grundsätzlich ist das eine sehr nachhaltige Form der Viehhaltung.
Reimer: Auf der anderen Seite heißt Viehhaltung Fleischkonsum. Der wird infrage gestellt, zumindest zum Beispiel von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Und wenn man Menschen mit Fleisch ernähren möchte, muss man deutlich mehr Getreide aufwenden, als wenn die Menschen mehr Getreide als Fleisch essen würden. Ist das thematisiert worden? Oder ist das nicht Aufgabe des UN-Welternährungsausschusses?
Wiggerthale: Der sehr hohe Fleischkonsum insbesondere in Industrieländern, aber auch in einigen Schwellenländern wie Brasilien konnte leider gar nicht thematisiert werden, sondern von Regierungsseite aus wurde sehr stark das Argument gebracht, dass tierische Proteine durch Fleisch ein wesentlicher Bestandteil einer gesunden Ernährung sind. Aber dass wir einen Überkonsum haben, einen viel zu hohen Konsum, wir haben Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Übergewicht, was zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führt, das wurde gar nicht diskutiert.
Reimer: In Rom sprachen wir mit Marita Wiggerthale von der entwicklungspolitischen Organisation Oxfam über die Empfehlungen des UN-Welternährungsausschusses für eine nachhaltige Landwirtschaft. Vielen Dank an Marita Wiggerthale und Ihnen am Radio beziehungsweise am Stream Entschuldigung für die Qualität der Leitung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.