Susanne Kuhlmann: Das Loblied auf das Fahrrad wird oft gesungen, nicht nur in Konstanz, wo der Oberbürgermeister nun aufs Rad statt in den Dienstwagen steigt. Radfahren hält fit und belastet werden weder die Stadtluft, noch das Klima. Allerdings gestaltet sich der Umstieg in der Praxis oft schwierig. Auf vielen Straßen ist kaum Platz für Radfahrer. Viele Radwege ähneln Marterstrecken und es fehlt an sicheren Abstellmöglichkeiten.
Heute zum ersten UN-Weltfahrradtag fordert der Fahrradverband ADFC ein fahrradfreundliches Mobilitätsgesetz. Gestern schon mit Nachdruck und rund 90.000 Radfahrern, die bei der traditionellen Sternfahrt zur Siegessäule in Berlin radelten.
Kurz vor dieser Sendung habe ich mit Burkhard Stork gesprochen, dem Bundesgeschäftsführer des ADFC. Ich fragte ihn zunächst, wie er sich ein solches Gesetz vorstellt.
Burkhard Stork: Wir brauchen den Systembruch. Das bisherige Straßenverkehrsrecht, die Kombination aus Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung, setzt den fließenden Kfz-Verkehr als den Normalfall voraus und will, dass der möglichst gut abgewickelt ist, und alles andere muss dahinter zurückstehen. Deswegen ist es gut, wenn in der Straßenverkehrsordnung jetzt erste Änderungen gemacht werden. Viel wichtiger wäre aber, dass wir auch ans Straßenverkehrsgesetz herangehen und da wirklich die Zielrichtung umdrehen.
Verkehrssicherheit als zentrales Ziel
Kuhlmann: Wie könnte das gehen?
Stork: Indem man zum Beispiel ganz deutlich sagt, wir haben andere Ziele als den möglichst flüssigen Kfz-Verkehr. Wir haben zum Beispiel die Verkehrssicherheit als ein viel zentraleres Ziel, die "Vision Zero". Die Idee, dass im Verkehr niemand mehr umkommt, soll vorne angestellt sein, so dass wir dahin kommen, dass Verkehr so organisiert werden muss, dass er möglichst sicher ist und für alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer möglichst sicher abgewickelt wird.
Kuhlmann: Bei unserem westlichen Nachbarn in den Niederlanden sind ja viel mehr Leute auf dem Rad unterwegs. Wie könnten wir uns dem annähern?
Stork: Im Grunde gibt es eine Voraussetzung, ohne die es nicht geht, und das ist ein Netz von qualitativ hochwertiger Radverkehrsinfrastruktur: Gute Radwege, die an Kreuzungen und Einmündungen und Kreisverkehren weitergeführt werden, auf denen man sicher und getrennt vom Kfz-Verkehr an sein Ziel kommt, und dieses Netz brauchen wir wirklich annähernd flächendeckend. Es kann nicht sein, dass die ersten 500 oder die letzten 500 Meter dann immer nicht so richtig funktionieren.
Auch dazu brauchen wir dringend eine Änderung in der Straßenverkehrsordnung. Die Straßenverkehrsordnung geht immer noch davon aus, dass die Straße, der Verkehrsraum dem Auto gehört, und hat deswegen eine ganz merkwürdige Konstruktion: Platz wegnehmen zum Beispiel für das Fahrrad vom Straßenraum darf man nur, wenn nachgewiesen ist, dass es eine besondere Gefahrenlage gibt. Das heißt auf Deutsch: Es muss schon ein paarmal an einer Stelle was passiert sein, damit ich da überhaupt eine Radverkehrsanlage hinplanen kann als Stadt.
Das muss genau umgedreht sein aus unserer Sicht. Aus unserer Sicht muss es der Normalfall sein, dass außerhalb von Wohnstraßen es gute Radverkehrsanlagen gibt und wir eher einen Begründungszwang brauchen, wenn es die nicht gibt.
"Auto wirkt häufig wie gute Alternative"
Kuhlmann: Es gibt ja eine Reihe von Statistiken, die besagen, dass viele Autofahrten – die Rede ist von etwa der Hälfte der Autofahrten – sehr kurz sind, man praktisch mit dem Auto genauso lange unterwegs ist, wie man mit dem Fahrrad unterwegs wäre. Was müsste sich denn in den Köpfen der Autofahrer ändern?
Stork: Wir haben für die Autofahrer 60, 70 Jahre lang nicht den Himmel auf Erden gebaut, aber wir haben doch ihnen immer mehr Angebote gemacht, damit es ganz einfach geht. Es ist selbstverständlich, dass das Auto heute direkt vor dem Ein-Familien-Haus parkt oder direkt vor dem Wohnhaus parkt, und es ist selbstverständlich, dass es beim Bäcker 300 Meter weiter direkt davor einen Parkplatz gibt. Und dann wirkt das Auto häufig wie eine gute Alternative, wenn ich aus meiner Haustür herausgehe, ins Auto steige und direkt vorm Bäcker wieder aus dem Auto herausfalle.
Dass es in Wirklichkeit aber gar keine sinnvolle Alternative ist, weil, wie Sie gerade schon gesagt haben, zu Fuß gehen viel schneller wäre oder schnell aufs Fahrrad zu steigen, dass wir an vielen Stellen ja große Einbußen haben, weil wir überall Parkplätze hinbauen, dass wir die Städte nicht richtig mit einer guten Lebensqualität mehr hinkriegen, das wird dabei überhaupt nicht gesehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.