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Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen
Von Hannover um die Welt

Die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen hat 100 Millionen Mitglieder und ist weltweit der größte protestantische Verband. Von einer unscheinbaren Büroetage in Hannover aus will sie die Welt grundlegend verändern – und kämpft etwa gegen Rassismus und Nationalismus.

Von Christian Röther |
Geographische Weltkarte, umgedrehte Darstellung
Eine umgedrehte Weltkarte: So hängt sie an den Bürowänden der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen in Hannover (imago images / imagebroker / saurer)
Am weltweiten Hauptsitz der reformierten Kirchen kann man leicht vorbeischlendern, ohne ihn zu bemerken. Zwischen Cafés, Bars und einer Buchhandlung weist nur ein kleines Schild hin auf die World Communion of Reformed Churches – die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen.
Eine unscheinbare Büroetage in Hannover. Doch diese Einfachheit ist gewollt. Sie ist Ausdruck des gelebten reformierten Glaubens, sagt Chris Ferguson. Der kanadische Pastor und Theologe ist Generalsekretär der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen: "Selbst wenn wir uns eine große hierarchische Infrastruktur leisten könnten, würden wir das nicht tun. Wir sind eine der mitgliederstärksten christlichen Gemeinschaften weltweit. Aber wir haben die wenigsten Mitarbeiter und die kleinste Infrastruktur."
"Alles Unnötige weglassen"
In Hannover arbeitet nur ein kleines internationales Team: zehn Männer und Frauen aus Deutschland, Ungarn, den USA, Kanada, Jamaika und Indien.
Ferguson: "Eine unserer wichtigsten theologischen Überzeugungen ist das Priestertum aller Gläubigen. Deshalb brauchen wir keine vermittelnde Instanz, also keinen großen Kirchenapparat. Sondern wir haben eine direkte Beziehung zu Gott. Wir versuchen, alles Unnötige wegzulassen."
Hanns Lessing, Chris Ferguson und Philip Tanis von der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen
Hanns Lessing, Chris Ferguson und Philip Tanis von der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (Deutschlandradio / Christian Röther)
Ein Bilderverbot wie in reformierten Kirchen herrscht in der Geschäftsstelle allerdings nicht. An den Bürowänden hängen zum Beispiel gesüdete Weltkarten. Süden ist also oben und Norden unten. Ein Wechsel der Perspektive – denn 80 Prozent der Mitglieder der reformierten Weltgemeinschaft leben im globalen Süden – also in Südamerika, Afrika und Asien.
"Den weltweiten Zusammenhalt stärken"
Insgesamt hat die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen über 230 Mitgliedskirchen in über 100 Ländern. Zusammen ergibt das laut neusten Angaben rund 100 Millionen Menschen.
Dass die alle miteinander vernetzt werden, das ist der Job von Philip Tannis. Der US-Amerikaner ist im reformierten Hauptsitz zuständig für die Kommunikation: "Wir sind eine weltweite Gemeinschaft, und das bedeutet auch: Wir haben viele verschiedene Sprachen und viele verschiedene Arten, unseren Glauben auszudrücken. Auch die technologischen Level sind sehr unterschiedlich. Und deshalb ist es eine große Herausforderung, sich mit allen auszutauschen. Wir nutzen dafür viele Wege: soziale Netzwerke oder unsere Internetseite. Die gibt es in acht verschiedenen Sprachen, auch in Chinesisch und Arabisch. Aber auch klassische gedruckte Magazine sind wichtig für uns. So wollen wir den weltweiten Zusammenhalt unserer Gemeinschaft stärken."
Die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen entstand durch einen Zusammenschluss im Jahr 2010. Zu ihr gehören ganz verschiedene Kirchen: zum Beispiel auch Presbyterianer, Unierte und Waldenser.
"Sklaverei, Apartheid und Kolonialismus"
Da bleiben Diskussionen und Konflikte nicht aus, sagt Hans Lessing. Der Missionswissenschaftler ist in der reformierten Geschäftsstelle Referent für Kommunion und Theologie: "Das ist eine unglaubliche interessante Herausforderung, eine globale Gemeinschaft zu sein. Eben auch eine theologische und kirchliche Herausforderung, denn wir lernen von unseren Mitgliedern im globalen Süden, dass es nicht einfach ist, gleichzeitig afrikanisch und reformiert, asiatisch und reformiert und so weiter zu sein, sondern dass da verhandelt werden muss, wegen der sehr komplexen und teilweise auch problematischen Traditionen, die damit auch verbunden sind."
Leicht zu übersehen - der Hauptsitz der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen in Hannover
Leicht zu übersehen - der Hauptsitz der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen in Hannover (Deutschlandradio / Christian Röther)
Die Arbeit der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen ist geprägt durch einen kritischen Blick auf die eigene Geschichte.
Lessing: "Die reformierte Tradition ist eben auch verbunden mit Bewegungen wie Sklaverei, wie Apartheid, wie Kolonialismus. Und das ist eine Realität, die die meisten unserer Mitglieder in ihrem Leben alltäglich spüren."
Mit Religion gegen autoritäre Herrschaft
Das vergangene Unrecht kann sie nicht wiedergutmachen. Aber die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen versucht, gegen das von ihr erkannte Unrecht in der Welt anzukämpfen. Aktueller Schwerpunkt ist zum Beispiel ein Programm gegen Rassismus, Nationalismus und autoritäre Herrschaft, so Hanns Lessing:
"Weil wir feststellen: In vielen Gegenden der Welt kippen Länder, die vorher demokratisch verfasst waren, in eine mehr autoritäre Herrschaftsstruktur. Und wir erleben, dass Religion dabei eine Rolle spielt, um das zu rechtfertigen und zu begründen."
Bei ihren politischen Projekten verliert die reformierte Weltgemeinschaft also nie die Religion aus dem Blick. Deshalb setzt sie bei ihren Kampagnen auch auf die Zusammenarbeit mit anderen Kirchen – also auf die Ökumene. Und auch auf die Zusammenarbeit mit anderen Religionen.
"Genauso, wie Religion benutzt wird, um Rassismus und Nationalismus zu rechtfertigen, gibt es in allen Religionen auch Gegenbewegungen. Und da nehmen wir Kontakte auf und versuchen, zusammenzuarbeiten."
Die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen ist weltweit vernetzt, hat ihren Arbeitsschwerpunkt auf der Südhalbkugel. Stellt sich die Frage: Warum ist der Hauptsitz dann ausgerechnet in Hannover? 2014 ist die Geschäftsstelle hierhin umgezogen. Vorher war sie in Genf in der Schweiz – doch das wurde einfach zu teuer, erklärt der Generalsekretär Chris Ferguson – zumal die meisten Mitgliedskirchen ums finanzielle Überleben kämpfen würden.
"Die Kirche reformieren, um die Welt zu verändern"
Auf der Suche nach einer günstigeren Alternative setzte sich Hannover gegen andere mögliche Standorte durch. Auch die Südhalbkugel sei eine Option gewesen, letztendlich habe Europa aber viele logistische Vorteile. Und die deutschen evangelischen Kirchen haben der reformierten Weltgemeinschaft ein gutes Angebot gemacht, um sie nach Hannover zu holen. Eine Win-Win-Situation, meint Ferguson.
So verfolgt das kleine Team nun also von Hannover aus seine zahlreichen ambitionierten Projekte. Die Reformation sei eben niemals abgeschlossen, sagt Chris Ferguson, und es gebe immer eine Menge zu verbessern: "Frauen werden noch nicht in allen unseren Mitgliedskirchen ordiniert. Geschlechtergerechtigkeit ist also ein Thema für uns. Wir wollen auch indigene Menschen besser einbeziehen. Und auch Rassismus beschäftigt uns nach wie vor. Also: Die Kirche muss reformiert werden, immer weiter reformiert werden, damit sich die Welt verändert."
Die Transformation der Welt, die die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen anstrebt, soll gewissermaßen die Verhältnisse auf den Kopf stellen – auch vom Hauptsitz in Hannover aus, wo bei den Weltkarten der Süden oben ist.