Das monotone Brummen einer Abluftanlage ist das einzige Geräusch, das an der Einfahrt zum Salzbergwerk zu hören ist. Sonst ist es an diesem Morgen still unter dem grün-gestrichenen Stahl-Förderturm, der sich aus einem Ensemble von Backstein-Gebäuden in den wolkenverhangenen Himmel reckt.
Die osthessische Salz-Mine Herfa-Neurode liegt nur wenige Kilometer von der hessisch-thüringischen Landesgrenze entfernt. Die Bergwerks-Stollen durchziehen in mehreren hundert Meter Tiefe das Gebiet der 7.300-Einwohner-Stadt Heringen am Ufer der Werra. Der Schacht Herfa-Neurode gehört zum örtlichen Verbundbergwerk des internationalen Bergbaukonzerns "Kali und Salz" – kurz K+S. Das Unternehmen mit Sitz in Kassel verkauft weltweit Kali-Produkte als Düngemittel oder Rohstoffe, etwa für die Chemieindustrie.
Riesiges Labyrinth an Schächten und Salzabbaufeldern
Auf dem Erdboden oberhalb des Bergwerks leben die Menschen in den sieben Ortsteilen der ländlichen Stadt Heringen. Unter der Erde ist das miteinander verbundene Labyrinth der Schächte und Salzabbaufelder jedoch noch weit größer als das Stadtgebiet von Heringen und reicht bis nach Thüringen:
"Wir leben hier Untertage auf einer Fläche, die so groß ist wie München und drum herum", sagt der 34 Jahre alte Politikwissenschaftler Daniel Iliev. Er ist seit zwei Jahren der SPD-Bürgermeister von Heringen. Das Wahrzeichen der Stadt ist der sogenannte "Monte Kali". Das ist eine fast 200 Meter hohe Abraumhalde bestehend aus rund 200 Millionen Tonnen Salz, das hier aus der Erde geholt und nicht verwertet wird.
"Hier werden jeden Tag mehrere tausend Tonnen aufgehaldet auf dem Monte Kali, den man übrigens auch besichtigen kann. Da ist jeder dazu eingeladen".
Auch der Abraum aus dem Schacht Herfa-Neurode wurde hier abgelagert. Die Förderanlagen des Schachtes stehen unauffällig an einer bewaldeten Landstraße ein paar Kilometer außerhalb der Kernstadt von Heringen. Ein einsamer Pförtner deutet am Eingang zum Bergwerk auf das Schild an der Scheibe seiner Loge, das eine durchgestrichene Fotokamera zeigt. Hinter dem geschlossenen Tor ein Hinweis für Lastwagenfahrer: "Deponie".
Es ist der unscheinbare Wegweiser zur größten Untertage-Giftmüll-Deponie der Welt. Seit einem halben Jahrhundert werden im stillgelegten Schacht Herfa-Neurode hochgiftige Industrieabfälle aus Europa und den USA eingelagert- etwa Arsen- oder Cyanidfässer, quecksilberbelastete Erde, Aluminium-Filterstäube. Bisher rund 2,7 Millionen Tonnen giftige Abfälle. Bürgermeister Daniel Iliev:
Es ist der unscheinbare Wegweiser zur größten Untertage-Giftmüll-Deponie der Welt. Seit einem halben Jahrhundert werden im stillgelegten Schacht Herfa-Neurode hochgiftige Industrieabfälle aus Europa und den USA eingelagert- etwa Arsen- oder Cyanidfässer, quecksilberbelastete Erde, Aluminium-Filterstäube. Bisher rund 2,7 Millionen Tonnen giftige Abfälle. Bürgermeister Daniel Iliev:
"Die wurde damals errichtet. Irgendwo müssen ja auch die Sonder- und Giftmüllstoffe hin. Damals gab es eine entsprechende Standortentscheidung, dass dies hier stattfindet. Ich sage mal: Als Stadt oder vielleicht damals noch Gemeinde und als Bürgerinnen und Bürger: Man lebt dann damit. Wir laden auch regelmäßig zu Bürgerversammlungen zusammen mit dem Unternehmen ein. Wenn ich oder meine Bürgermeister-Kollegen an den anderen Standorten Fragen haben, geht man damit offen um. Da bin ich auch sehr froh, weil das auch vielmals eben auch die Angst nimmt."
Eröffnung im Jahr 1972
Die Untertage-Giftmüll-Deponie Herfa-Neurode wird 1972 eröffnet. Gut ein Jahrzehnt vorher wird in Westdeutschland erstmals ein Wasserhaushaltsgesetz verabschiedet. Damit werden die Wasserbehörden verpflichtet, die Gewässer "so zu bewirtschaften, dass jede vermeidbare Beeinträchtigung unterbleibt".
Wohin also mit den Chemieabfällen, wenn sie nicht mehr in die Flüsse eingeleitet werden sollen? Der Heringer Bürgermeister Daniel Iliev lebt seit seiner Kindheit mit der riesigen Giftmüll-Deponie unter seinen Füßen, die als Alternative zur Einleitung in die Flüsse dient:
"Wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft, wo jeder die entsprechenden Stoffe braucht. Wo jeder das neueste, größte und die beste technische Errungenschaft benötigt, dass das aber auch entsprechende Konsequenzen mit sich zieht und irgendwo diese Stoffe eingelagert werden müssen."
Axel Meyer ist Geschäftsführer des Regionalverbandes Südlicher Oberrhein des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland – BUND. Er kritisiert, dass in Untertagedeponien giftige Stoffe gelagert werden, die eigentlich kein Abfall sind, sondern Wertstoffe- etwa Quecksilber:
"Das Problem ist: Die Entsorgung dieser Gifte ist noch zu billig. Es gibt nach unserer Ansicht keine quecksilber-haltigen Abfälle. Quecksilber-haltige Abfälle sollte man nicht deponieren, sondern man sollte sie wiederverwerten. Aber das kommt die Allgemeinheit einfach noch teuer, das kommt den Betreibern zu teuer und deswegen deponiert man diese Stoffe."
"...da sind die Kühe auf der Weide tot umgefallen"
Axel Meyer beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit den Umweltfolgen des Salzbergbaus in der Grenzregion Baden, Schweiz und Elsass, in der der K+S-Konzern früher aktiv war. Auch grundsätzlich denkt er über die Hinterlassenschaften der Industrie des 20. Jahrhunderts nach:
"Wenn ich jetzt zurückschaue, ich bin in der Umweltbewegung seit 1974 aktiv, und ich sehe eigentlich – grob gesagt – zwei Phasen. Das eine war die Phase - in Anführungsstrichen – der guten alten, ehrlichen offenen Umweltverschmutzung. Also ich habe das erlebt: Eine Papierfabrik am Oberrhein, die hat ihre Abwässer zu 100 Prozent ungeklärt in den Rhein geleitet. Die Industrieanlagen hatten keine Filter. Wir haben hier 1975 gegen ein Bleichemiewerk gekämpft in Marckolsheim, es gab in Norddeutschland ein vergleichbares Bleichemiewerk, da sind die Kühe auf der Weide tot umgefallen. Das war noch diese Phase der offenen, sichtbaren, höchstgiftigen Umweltverschmutzung."
Seit Ende der 1960er Jahre beginnt die zweite Phase des Umgangs mit dem Giftmüll. Deponien werden errichtet. Sogenannter "Sondermüll" wird zunehmend auch verbrannt. Axel Meyer vom BUND:
"Man muss das historisch sehen. Als ich vor 40 Jahren begonnen habe, im Umweltschutz aktiv zu werden, war das eine extrem schlechte Lösung, weil die technischen Anlagen damals veraltet waren. Es waren Giftschleudern. Die Menschen wurden krank, es wurden über große Entfernungen Giftstoffe verbreitet. Da muss ich sagen: Der Druck der Umweltbewegung hat da zu Erfolgen geführt. Das heißt, die Anlagen wurden besser, sie wurden sicherer. Und die modernen Giftmüll-Verbrennungsanlagen sind als kleineres Übel zu akzeptieren, aber sie müssen kontrolliert werden. Wir brauchen gute Lösungen, wir brauchen gute Filteranlagen und wenn man sich dann diese Filter aus den Verbrennungsanlagen anschaut, die müssen irgendwann unterirdisch gelagert werden."
Kriminelle entdecken das Müllgeschäft
Bevor die ersten Salzbergwerke wie Herfa-Neurode als Lagerstätten in Betrieb genommen werden, entdecken Ende der 1960er Jahre auch Kriminelle das Müllgeschäft. Sie entsorgen gefährlichen Industrieabfall illegal in Steinbrüchen oder alten Baggerseen. Bis heute sind noch Tausende dieser wilden Giftmüllkippen unbekannt.
Der 62 Jahre alte Umweltaktivist Axel Meyer erinnert sich daran, wie zwei örtliche Industriebetriebe den Baggersee seiner Heimatgemeinde Teningen in Südbaden in seiner Kindheit zur Kloake machten. Am Ufer seien auch Abfälle so verbrannt worden, dass dabei Dioxine freigesetzt wurden, die bereits in geringen Mengen als krebserregend gelten:
"Was man sich überhaupt nicht mehr vorstellen kann: Man hat im Prinzip diese Industrieabfälle – hochgiftig – in den Baggersee gekippt. Das war hochgiftiges PCB, es hat immer ein lustiges Feuer da draußen gebrannt, es gab Dioxine. Das ist ins Grundwasser gegangen."
Musik: "Giftstaub fällt vom Himmel, auf Mensch und Luft und Tier…"
Es ist der 10. Juli 1976. In der norditalienischen Stadt Seveso wird auf dem Gelände eines Tochterunternehmens des Schweizer Pharmagiganten Hoffmann - La Roche bei einem schweren Chemieunfall hochgiftiges Dioxin freigesetzt. Tausende Tiere auf den umliegenden Weiden sterben, mehrere hundert Menschen erkranken an Chlorakne. Das Dioxin hat seitdem den Beinamen "Sevesogift":
Musik: "Da stirbt die Welt von Seveso, zehn Stunden von hier entfernt, alle Welt schaut auf Seveso – was haben wir draus gelernt?"
Lehren aus der Seveso-Katastrophe
Die Umweltbewegung und die damals gerade gegründete Partei "Die Grünen" lernen aus der Seveso-Katastrophe. Die Aktivisten greifen nach dem Chemieunfall auch die Giftmüllfrage intensiv auf. Man sucht nach Auswegen aus dem wilden Müllkapitalismus, der sich damals entwickelt hatte.
Alte Salzbergwerke werden als vergleichsweise sichere Lagerorte entdeckt - wie Herfa-Neurode in Osthessen. Mitte der 1980er bezeichnet der damalige hessische Umweltminister und spätere deutsche Außenminister Joschka Fischer von den Grünen die osthessische Untertagedeponie als ein "Juwel" für eine staatlich kontrollierte Lösung der Giftmüllfrage.
An der Einfahrt zum Giftmüll-Bergwerk steht heute eine Plakatwand, auf der fünf Männer in blauer Arbeitskleidung mit weißen Schutzhelmen vor dem Förderturm in eine vor ihnen ausgebreitete Landkarte schauen. Darüber der Schriftzug: "Wir investieren 360 Millionen Euro in den Umweltschutz. K+S." Wie diese Investitionen hier unter Tage genau aussehen, dürfen wir uns nicht anschauen. Auf die Bitte des Deutschlandfunks, die weltweit größte Giftmüll-Deponie besichtigen zu dürfen, antwortet K+S-Pressesprecher Ulrich Göbel:
"Die organisatorischen und personellen Freiräume zur Vorbereitung und Durchführung eines Medientermins in der Untertage-Deponie sind derzeit so eng, dass ich Ihnen leider keine Möglichkeit zu einem Besuch und einer ausführlichen Hörfunk-Reportage anbieten kann."
Zurzeit gewährt die Firma den Zugang zu den unterirdischen Stollen also nicht. Es erstrecken sich dort kilometerlange unterirdische Straßen, die zu den früheren Abbaugebieten führen, in denen jetzt die Giftfässer gestapelt sind. Stollen, die in Werkstätten münden, Tunnel mit Förderbändern und Metall-Schleusentoren, die im Notfall bei Giftalarm oder Bränden geschlossen werden können.
"Also die Kapazität der Untertagedeponie Herfa-Neurode, wenn man noch weitere Ablage-Felder hinzunehmen möchte, ist praktisch für unsere chemisch-toxischen Abfälle unbegrenzt."
Sieben Zugänge von der Erdoberfläche
Der Bergbau-Ingenieur Udo Selle leitet das Dezernat Bergaufsicht im Regierungspräsidium Kassel. Diese Behörde ist für die Überwachung der kommerziell betriebenen Giftmüll-Untertagedeponie Herfa-Neurode zuständig. Udo Selle erklärt, dass die Deponie insgesamt nur sieben Zugänge von der Erdoberfläche aus durch wasserundurchlässige Tonschichten hat. Sowie eine weitere Verbindung zu einem benachbarten Grubenfeld, in dem noch Salz abgebaut wird. Wenn ein Grubenfeld mit Giftmüll verfüllt wird, wird es luftdicht abgeschlossen. Udo Selle:
"Diese Zugänge werden dann – wie man so schön sagt – langzeitsicher verschlossen. Die werden vollständig verfüllt und im Bereich des Tons auch wieder mit Ton verschlossen, so dass hier kein Wasser in das Grubengebäude eindringen soll."
Was aber passiert, wenn es in Giftmüll-Deponiefeldern anfängt zu brennen? Wir können uns nicht im Schacht anschauen, wie K+S mit dem unterirdischen Schwelbrand Ende 2016 umgegangen ist, der zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen führte. Diese sind inzwischen eingestellt worden. Doch der Heringer Bürgermeister Daniel Iliev erinnert sich noch gut an den Schrecken, den die Meldung vom Brand in der Giftmülldeponie vor zwei Jahren verursachte, als er gerade sein Amt angetreten hatte:
"Für uns ist das nicht Gang und Gäbe, das kommt auch nicht so oft vor und natürlich hat man da selber als Bürgermeister einen Schrecken und ist froh, wenn es dann tatsächlich auch nur ein Schrecken ist mit Ende. Aber wir haben hier auch ein großes Vertrauen vor Ort."
Großes Vertrauen auch in Bergbauingenieur Udo Selle. Und seine für die Deponie zuständige Aufsichts-Behörde mit Sitz im nahegelegenen Bad Hersfeld
"Es gibt immer Abfälle, die sich entzünden können, wenn sie nicht richtig sortiert worden sind. Das ist in der Tat häufiger schon passiert, auch in der Untertage-Deponie Herfa-Neurode."
"Bei jeder Stichprobe kann mal was durchrutschen"
Das passiert etwa, wenn Giftmüll feucht wird, erklärt Udo Selle. Dann komme es zu chemischen Reaktionen:
"Hier hat die Untertage-Deponie einerseits eine Annahme-Kontrolle, die aber nur stichprobenartig sein kann. Und bei jeder Stichprobe kann mal etwas durchrutschen. Und dann greifen die Notfallkonzepte. Das heißt, die Abfälle werden in bestimmten Stoffgruppen eingelagert, getrennt eingelagert. Und besonders kritische Stoffgruppen werden so eingelagert, dass der Bereich sofort geschlossen werden kann, wenn es hier zu Bränden oder zu ungewöhnlichen Entwicklungen kommen kann."
Ortswechsel. Wenige Kilometer weiter östlich – das alte Fachwerkdorf Dankmarshausen auf der thüringischen Seite des Kalireviers an der Werra. Hier lebt der pensionierte Diplom-Ingenieur Klaus Reinhardt, Sprecher der bundesländer-übergreifenden Bürgerinitiative "Für ein lebenswertes Werratal". Den rund 160 aktiven Mitgliedern der Initiative bereitet die weltweit größte unterirdische Giftmüll-Deponie im nahen Herfa-Neurode weiterhin Sorgen. Klaus Reinhardt erzählt in seinem Wintergarten: Die Gruppe habe nach dem letzten Brand in der Giftmüll-Deponie Ende 2016 die Behörden gefragt , ob für die Bewohner auf der Oberfläche Gesundheitsgefahr bestanden hätte:
"Bei diesem letzten Brand 2016 sind garantiert auch Dämpfe durch den Schacht, durch den Wetterschacht nach außen gedrungen. Hundertprozentig. Wo sollen sie auch hin? Die ersten ein, zwei Tage denke ich. Dann hat man ja den Schacht zugemauert und hat das vor sich hin kokeln lassen. Aber es sind garantiert auch Dämpfe an die Oberfläche gekommen. Wir haben die Frage gestellt: Sind Luftmessungen durchgeführt worden? Ist nicht gemacht worden. Da wird immer gesagt: Grenzwerte, das sind Durchschnittswerte. Vielleicht sind da mal ein, zwei Tage giftige Dämpfe entwichen, aber das hat keinen Einfluss auf die Umwelt an sich, gell. So wird das meistens dann auch beantwortet."
Eindringendes Wasser wäre der Supergau
Noch mehr als mögliche Brände in der irgendwann luftdicht verschlossenen Giftmüll-Deponie unter Tage, fürchtet Klaus Reinhardt mögliche unbeobachtete Wassereinbrüche in Herfa-Neurode. Er denkt dabei vor allem an das Trinkwasser künftiger Generationen:
"Wir haben ein Wasserproblem hier in unserer Region. Der Schacht Herfa-Neurode ist zwar abgetrennt zu den anderen Schächten…"
Der Schacht, in dessen Grubenfeldern der Giftmüll liegt, ist durch eine rund hundert Meter breite Gesteinsschicht von den anderen Bereichen des Kali-und Salzbergwerkes Werra getrennt, in denen noch abgebaut wird:
"Aber man weiß ja nicht, was in hundert Jahren ist. Der Supergau wäre, wenn dort Wasser eindringen würde. Dann könnte man diesen Prozess natürlich nicht mehr beherrschen."
Bergbauingenieur Udo Selle von der staatlichen Aufsichtsbehörde in Bad Hersfeld sieht aufgrund der örtlichen Geologie jedoch keine Gefahr, dass in die luftdicht abgeschlossenen und mit Ton versiegelten Deponiebereiche des stillgelegten Salzbergwerks irgendwann Wasser eindringen könnte. Doch Klaus Reinhardt von der Bürgerinitiative "Für ein lebenswertes Werratal" beruhigt das nicht. Er erzählt vom nahegelegenen K+S-Grubenfeld Springen in Thüringen:
"In der ehemaligen Grube Springen, die jetzt geschlossen ist, gibt es einen Süßwasser-Eintritt. Den kann man auch nicht stoppen. Und man weiß auch gar nicht, wo das Süßwasser herkommt. Und Süßwasser ist gefährlich. Süßwasser löst die Pfeiler."
Denn die Grubenfelder der Salzbergwerke werden von Steinsalz-Pfeilern getragen, die beim Abbau bewusst stehen gelassen wurden. Von diesen Pfeilern hängt die Stabilität der Gruben in der Region ab. Klaus Reinhardt:
"Was da in 300 oder 400 Metern Tiefe passiert, kann man nicht immer hundertprozentig immer voraussehen, prognostizieren. Und man hat immer das ungute Gefühl, weil hier einige Gruben miteinander verbunden sind, das sich Wasser durch unterirdische Verwerfungen auch in diesen Gruben breitmachen könnte."
Bisher keine Auswirkungen durch Gebirgsschläge
In den Giftmüll-Gruben von Herfa-Neurode nämlich. Mögliche plötzliche Erdbewegungen mit sogenanntem "Gebirgsschlag" im unter Spannung stehenden, durchlöcherten Salzgestein sind ein weiteres Problem, mahnt Klaus Reinhardt. Udo Selle von der Bergaufsichtsbehörde wiederspricht:
"Der letzte Gebirgsschlag 1989 in Völkershausen hatte keine Auswirkungen auf die sogenannten wassersperrenden Schichten, die sich recht gutwillig plastisch verformen. Diese Schichten sind ungefähr 50 Meter dick. Sodass auch durch einen Gebirgsschlag bisher keine Auswirkungen auf die Salzlagerstätte und damit auch keine Auswirkungen auf die Untertagedeponie Herfa-Neurode eingetreten sind."
Axel Meyer vom Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland BUND berichtet in seinem Freiburger Büro über den Brand in der elsässischen Untertage-Giftmüll-Deponie Stocamine im Elsass vor einigen Jahren. Wie in Herfa-Neurode waren auch dort eigentlich nur Stoffe eingelagert, die als nicht brennbar gelten. Das Feuer führte letztendlich zur sehr kostspieligen Räumung eines Großteils der französischen Untertage-Deponie. Ein Teil des Giftmülls aus dem Elsass wurde nach Thüringen transportiert, weil die französischen Behörden den Giftmüll im Salzstollen als zu gefährlich für die Umwelt einstuften. Axel Meyer vom BUND. hält Giftmülltransporte über Ländergrenzen hinweg grundsätzlich für problematisch. Genau wie den Umgang mit dem Brand in der elsässischen Untertagedeponie:
"Der Brand wurde erst gar nicht bemerkt. Man muss sich vorstellen, da unten im elsässischen Kalibecken, da gibt es Tunnel und Klüfte und Spalten. Und es gab einige Kilometer entfernt ein Nachbarbergwerk, wo noch Kali abgebaut wurde. Und in diesem Nachbar-Kalibergwerk haben die Leute gearbeitet und auf einmal kam giftiger Gestank aus Ritzen. Und die mussten das Bergwerk schließen, die haben das fluchtartig verlassen und die Arbeiten wurden dann dauerhaft eingestellt. Da brennt der nicht-brennbare Giftmüll und die Betreiber merken das gar nicht. Im benachbarten Bergwerk merkt man das und da werden die Leute evakuiert. Man kann sich das nicht ansatzweise vorstellen."
Kommunen nicht mit den Langzeitfolgen alleinlassen
Im osthessischen Kali-Revier befindet sich noch für einige Jahrzehnte genug Rohstoff unter der Erde, um weiter abzubauen. Doch der Heringer Politikwissenschaftler und jetzige Bürgermeister Daniel Iliev weiß: Es wird die Zeit kommen, in der der Konzern K+S nicht mehr in der Region aktiv sein wird. Dann dürfe man die Kommunen nicht mit den Langzeitfolgen des Bergbaus sowie der Kontrolle der größten Giftmüll-Untertagedeponie der Welt alleine lassen, fordert Iliev:
"Was passiert irgendwann dann eben mit den möglichen Bergschäden? Mit den entsprechenden Kosten, die übernommen werden müssen? Da muss die Politik, wie es eben im Ruhrgebiet auch einen Schwur gab, da muss sich das Land hier vor Ort auch etwas einfallen lassen. Weil die Kommunen kann man hier vor Ort damit nicht alleine lassen."
Die staatliche Bergaufsicht in Bad Hersfeld plant jedoch nicht, die größte unterirdische Giftmüll-Deponie der Welt nach ihrer endgültigen Versiegelung durch meterdicke Tonpfropfen an den acht Öffnungen noch länger zu beobachten. Udo Selle vertraut auf das Salz, das die toxischen Abfälle für immer in sich aufnehmen soll:
"Langfristig wird aber durch die Fließeigenschaften des Salzes der Abfall vollständig umschlossen werden. So dass auch ein späteres Monitoring eigentlich nicht notwendig ist. Weil das Verhalten des Salzes bekannt ist, da braucht man nicht ständig zu gucke