Birgid Becker: Mitgehört hat der Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Rolf Langhammer. Guten Tag.
Rolf Langhammer: Hallo, Frau Becker.
Becker: Herr Professor Langhammer, der rote Faden in diesem Positionspapier, die Sorge, dass sich Protektionismus lähmend auf den Welthandel legt, diese Sorge teilen Sie. Immerhin hat ja der IWF schon im vergangenen Jahr davon gesprochen, dass der Welthandel in eine andauernde Schwächephase rutschen könnte.
Langhammer: Ja, diese Sorge kann man trotzdem teilen. Wir wissen seit vielen Jahren, dass die handelsbeschränkenden Maßnahmen Oberhand gewinnen vor den handelsliberalisierenden Maßnahmen. Die Welthandelsrunde, die ja zur Liberalisierung beitragen sollte, die Doha-Runde, befindet sich seit vielen, vielen Jahren praktisch im Wachkoma. Wir kommen da nicht weiter. Die Bereitschaft zur Liberalisierung hat abgenommen. Aber was viel wichtiger ist, ist auch das, was erwähnt wurde, ist, dass die technologischen Voraussetzungen heute natürlich sehr viel stärker den Welthandel bestimmen als, sagen wir mal, die Liberalisierung. Wir stehen vor großen Herausforderungen in der digitalen Wirtschaft und das kann eine ganze Menge Arbeitsplätze natürlich auch kosten, ohne dass der Handel etwas direkt damit zu tun hat.
"Wir brauchen sehr aktive Arbeitsmarktpolitiken"
Becker: Trotzdem wird der Handel verantwortlich gemacht - es war ja eben im Beitrag zu hören: Es gibt auch im Kreis von IWF, von Weltbank, von WTO durchaus Verständnis für diese Angst vor Globalisierung, diese Angst, abgehängt zu werden. Präzise sind ja auch die USA als Ort für diese Sorgen formuliert worden. Wie kriegt man da argumentativ in Ihrem Sinne, nach Ihrer Ansicht die Situation verändert?
Langhammer: Ein bisschen kommt die Sorge zu spät, denn die treibenden Kräfte gegen, sagen wir, die Erhaltung von Arbeitsplätzen, die kommen heute von der Technologie nicht mehr so stark wie vom Welthandel. Der Welthandel ist ja in den letzten Jahren deutlich langsamer gewachsen als noch, sagen wir mal, vor der großen Wirtschaftskrise 2008/2009, und das bedeutet natürlich, dass heute die technologischen Voraussetzungen - das ist ja auch genannt worden - viel, viel wichtiger für den Handel sind als, sagen wir mal, die Liberalisierung.
Wie kriegt man das hier nun in den Griff? Das ist alles genannt worden. Wir brauchen sehr aktive Arbeitsmarktpolitiken. Wir müssen den jungen Leuten sehr schnell beibringen, nicht so sehr was man lernt als wie man lernt, weil natürlich Lerninhalte sehr schnell veralten, und das kommt weniger natürlich vom Handel her als tatsächlich von der Technologie. Da sind vor allem die Entwicklungs- und Schwellenländer besonders gefährdet, weil sie natürlich besonders viele Arbeitsplätze haben, die von der Technologie verdrängt werden können. Das sind einfache arbeitsintensive Jobs und hier muss besonders angesetzt werden, vielleicht sogar noch stärker als in den Industriestaaten.
Becker: Sie haben es gesagt: Bis zum Beginn der Finanzkrise ist der weltweite Handel zwei Jahrzehnte lang doppelt so stark gewachsen wie das Welt-Bruttoinlandsprodukt, also bis zu den Jahren 2007 und 2008. Da war von Donald Trump noch längst nicht die Rede. Muss man eigentlich sagen, vor Trump, weit vor Trump hat der Welthandel schon seine besten Tage hinter sich gehabt?
"Welthandel verschiebt sich vom Güterhandel zum Dienstleistungshandel"
Langhammer: Das möchte ich so nicht sagen. Der Welthandel verschiebt sich vom Handel mit Gütern - und das sehen wir, das ist physisch anfassbar, wenn man so will - zum Handel mit Dienstleistungen, und Dienstleistungen können wir viel, viel schwerer messen und erfassen. Wir unterschätzen also das wahre Ausmaß des Handels, weil wir den Handel mit Dienstleistungen, die ja übers Netz gehen, aber die auch mit Personenbewegungen zu tun haben, mit Kapitalbewegungen, dass wir die nicht richtig erfassen. Meine These wäre eher, der Welthandel verschiebt sich vom Güterhandel zum Dienstleistungshandel, und wir haben, wenn man so will, einen großen Schattenbereich von Handel, den wir nicht richtig messen, der aber trotzdem stattfindet, und das ist der Handel der Zukunft, nämlich der Handel mit Dienstleistungen.
Becker: Früher hat man, um die Verhältnisse in Deutschland darzustellen, immer kritisch eingewandt, dass Dienstleistung alleine nicht reicht, um Wohlstand zu sichern. Man hat dann vielleicht überpointiert gesagt, wir können uns ja nicht alle gegenseitig die Haare schneiden. Gilt das in der weltweiten Dimension nicht?
Langhammer: Nein, das gilt nicht, denn viele Dienstleistungen sind ja durch die technologischen Innovationen, durch die Telekommunikationsindustrie erst entstanden. Wenn die Menschen heute ihr monatliches Budget ausgeben, dann geht das vorwiegend, weit überwiegend für Dienstleistungen drauf und gar nicht so sehr für Güter. Güter sind deutlich preiswerter geworden, aber Dienstleistungen nehmen wir täglich in Anspruch, über Banken, Versicherungen, über Tourismus, über Unterhaltung, über Bildung und so weiter. All das wird durchaus durchs Internet auch handelbar. Da kommen auch Länder mit ihren Angeboten bei uns auf den Markt und wir selber können mit unseren Angeboten auf den Markt gehen, und von da aus ist dieser Pessimismus, dass wir uns nicht gegenseitig die Haare schneiden können, das ist der falsche Weg. Wie gesagt: Dienstleistungen sind die Handelsebene der Zukunft.
Becker: Dass aber protektionistische Tendenzen ansteigen, das ist ja nicht einfach nur so gefühlte Wahrnehmung, das lässt sich auch statistisch festmachen, etwa an Verfahren, die vor der Welthandelsorganisation anhängig sind. Sind das jetzt alles Rückzugsgefechte?
"Wir haben eine Fülle von Handelsbarrieren"
Langhammer: Nein, das ist natürlich gerade im Güterbereich immer noch da. Wir denken an den Stahlbereich, wir denken an die Klagen gegen Dumping-Exporte aus China. Wir haben eine Fülle von nichttarifären Handelshemmnissen, also Hemmnissen, die nichts mit Zöllen zu tun haben, sondern mit unterschiedlichen Regulierungen. Daran ist ja auch, wenn man so will, das transatlantische Abkommen bisher nicht gerade gescheitert, aber es ist doch in einer sehr, sehr schwierigen Phase. Das heißt, wir haben eine Fülle von Handelsbarrieren, und es ist so, als ob man glaubt, man hat eine Handelsbarriere nun überwunden, da steht schon wieder eine neue da, von der wir noch gar nichts wussten. Von da aus ist es natürlich so, dass wir immer noch in diesem Bereich sehr, sehr viel zu tun haben, weil diese Regulierungen gerade im Kleingedruckten so wichtig sind. Da werden ausländische Anbieter gegenüber einheimischen Konkurrenten benachteiligt. Da verwehrt man Banken den Zugang zum Markt. Das tut China beispielsweise. Da gibt es noch sehr, sehr viel zu tun. Gerade die Schwellenländer sind gerade bei der Liberalisierung des Dienstleistungshandels sehr, sehr zurückhaltend. Sie wollen im Wesentlichen ihre Arbeitskräfte exportieren und da wiederum haben die Industrieländer etwas dagegen. Das sind die Streitfelder der Zukunft.
Becker: Zuweilen hat man aber auch den Eindruck, dass Protektionismus immer dann von Übel ist, wenn die anderen protektionistisch sind. Wenn die EU-Strafzölle verhängt gegen chinesische Stahlprodukte, weil sie sagt, das sei nun wieder Dumping, dann haben wir, hat Deutschland, hat die EU gegen diese Art von Protektionismus auf einmal wenig einzuwenden. Ein bisschen Scheinheiligkeit herrscht da schon, oder?
Langhammer: Ja, das ist völlig richtig, Frau Becker. Das ist Merkantilismus. Jeder möchte gerne exportieren und keiner möchte gerne importieren. Jeder glaubt, Importe kosten Arbeitsplätze, aber Exporte seien per se gut für die Arbeitsplätze. Das ist eine ökonomisch falsche Sicht, aber sie beherrscht die Handelspolitik seit vielen Jahren. Insofern ist der Vorwurf der Scheinheiligkeit, wir würden sagen des merkantilistischen Denkens, durchaus sehr ausgeprägt.
Asiatische Wirtschaftsräume: "Das sind keine Freihandelszonen"
Becker: Wenn wir/Europa/Deutschland als Exportnation die Wahrnehmung hegen, dass der freie Handel sich zumindest verlangsamt, wenn Sie schon sagen, er kommt nicht zum Erliegen, er verlangsamt sich, stimmt diese europäische Wahrnehmung eigentlich? In den Ländern Asiens gibt es ja einen deutlichen Trend hin zu größeren Wirtschaftsräumen. Im November vergangenen Jahres, da schlossen sich zehn asiatische Länder zusammen zur Asean Economics Community. 630 Millionen Menschen umfasst diese Organisation, also mehr, als in der EU leben.
Langhammer: Ja, das sind aber noch Gemeinschaften in den Anfängen begriffen. Das sind noch nicht mal Freihandelszonen, geschweige denn gemeinsame Märkte oder Zollunionen. Vieles steht auf dem Papier und vieles im Grunde genommen wird noch nicht richtig umgesetzt. Der Handel in Asien hat im Wesentlichen praktisch profitiert vom Wirtschaftswachstum insgesamt der Märkte, aber nicht so sehr vom Abbau von Zöllen oder vom freien Kapitalverkehr oder von sogar einer gemeinsamen Handelspolitik über Dritte, als es eine Zollunion hätte. Das gibt es alles in Asien nicht, das ist in den Anfängen und die Länder sind sehr, sehr unterschiedlich in ihren Größen, in ihren Interessen, auch in ihren politischen Rivalitäten. Das heißt, da müssen wir noch lange warten, und gerade die asiatischen Entwicklungs- und Schwellenländer befinden sich in einer schwierigen Situation. Viele haben sich in Dollars verschuldet. Der Dollar ist relativ stark und die Rohstoffpreise sind niedrig. Das ist eine ganz schlechte Kombination. Deswegen ist auch das Wirtschaftswachstum und auch das Handelswachstum in den asiatischen Ländern bei weitem nicht mehr so hoch wie noch vor der Krise 2007/2008.
Becker: Danke! Rolf Langhammer war das, der Vizepräsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Einen schönen Abend wünsche ich.
Langhammer: Danke Ihnen, Frau Becker.
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