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Welthandelskonferenz in Kenia
"Die Position der USA und der EU ist total zynisch"

Dass die USA und die EU den Entwicklungsländern bei der Welthandelskonferenz keine Schutzmechanismen für deren Heimatmärkte zugestehen wollen, sei zynisch, sagte Marita Wiggerthale von Oxfam Deutschland im DLF. Schließlich nutzten die Wirtschaftsmächte diese Schutzmöglichkeit immer wieder selbst. Für eine Lösung des Konflikts gebe es wenig Chancen.

Marita Wiggerthale im Gespräch mit Frederik Rother |
    Undatiertes Foto eines Oxfam-Ladens.
    Die Hilfsorganisation Oxfam prangert die Position der großen Insdustrieregionen USA und EU bei der Welthandelskonferenz an. (picture alliance / dpa/ Tim Ockenden/PA )
    Frederik Rother: In Nairobi beginnt zur Stunde die Welthandelskonferenz. Bis Freitag treffen sich dort die Handelsminister der 162 WTO-Staaten. Auf der Tagesordnung steht vor allem die sogenannte Doha-Welthandelsrunde, mit der der Welthandel liberalisiert und die Ungleichheiten bestehender WTO-Abkommen korrigiert werden sollen. Soweit die Theorie, denn bis heute ist nicht viel passiert. Im Gegenteil: Die Fronten zwischen den reichen und den armen Ländern scheinen, sich eher zu verhärten. Ein großer Streitpunkt dabei: die Ernährungspolitik. Die Industriestaaten schotten ihre Märkte nach wie vor ab und subventionieren die heimischen Landwirte mit hohen Milliarden-Zahlungen. Die Entwicklungsländer wiederum wollen ihre Lebensmittelmärkte unterstützen, dürfen das aber nur in begrenztem Rahmen. Über die globale Ernährungspolitik habe ich mit Marita Wiggerthale gesprochen, bei Oxfam Deutschland für Ernährung zuständig und zurzeit in Nairobi bei der WTO-Konferenz. Ich habe sie gefragt, mit welcher Situation wir es zu Beginn der Konferenz denn überhaupt zu tun haben.
    Marita Wiggerthale: Das Problem der Position von den USA und der Europäischen Union ist insbesondere, dass sie der Mehrheit der Entwicklungsländer nicht zugestehen wollen, dass sie ihre Märkte in besonderen Situationen, nämlich dann, wenn viele Importe ins Land kommen und damit die einheimischen Preise zu Lasten der Kleinbauern unter Druck geraten, dass sie den Entwicklungsländern diese Regelung, diesen Schutz der Märkte nicht ermöglichen wollen. Und das ist total zynisch, weil die Industrieländer diese Regelung, diese Schutzmöglichkeit seit 1995 immer wieder in Anspruch nehmen.
    Rother: Mit welchem Argument halten die dagegen, die Industrieländer?
    Wiggerthale: Die Industrieländer haben natürlich vor allen Dingen ein Interesse daran, den Marktzugang für ihre Agrarunternehmen, Lebensmittelkonzerne zu verbessern. Deswegen ist natürlich jede Möglichkeit von den Entwicklungsländern, ihre Märkte zu schützen und damit auch keine Produkte in solchen Ausnahmesituationen aus der EU und aus den USA in ihr Land zu lassen, ihnen natürlich ein Dorn im Auge.
    Rother: Mit welchen Argumenten gehen denn die Entwicklungsländer in die WTO-Konferenz?
    Wiggerthale: Die Entwicklungsländer drängen darauf, dass die USA und EU ihr Entwicklungsversprechen einlösen und die Ungleichheiten, die es insbesondere im WTO-Agrarabkommen gibt, dass die endlich ausgeglichen werden. Dazu gehört der substanzielle Abbau der handelsverzehrenden Agrarsubventionen, dazu gehört ein verbesserter Marktzugang, insbesondere auch der Abbau der Zolleskalation und auch die Schutzmöglichkeiten für die Entwicklungsländer, sowohl was den Schutz ihrer Märkte in solchen Ausnahmesituationen, wenn ihre Märkte überschwemmt werden, angeht, aber auch, dass sie ihre Landwirtschaft und auch die kleinbäuerliche Landwirtschaft unterstützen können, um die einheimische Grundnahrungsmittel-Produktion zu verbessern und den Hunger zu bekämpfen.
    "Ich glaube, dass insgesamt alle erst mal relativ geringe Erwartungen haben"
    Rother: Jetzt lassen Sie uns noch mal kurz auf die praktische Ebene gehen. Wie könnte man denn die Ausgangslage verbessern? Was kann denn die Politik da machen?
    Wiggerthale: Ich glaube, die Industrieländer müssen einfach auch ihre eigenen Ziele, die sie sich selbst im Kontext der Vereinten Nationen gesetzt haben, nämlich den Hunger bis 2030 zu beenden, die extreme Armut zu beenden und vieles mehr, und das heißt natürlich, dass, wenn man diese Ziele erreichen will, wir auch eine Handelspolitik auf internationaler Ebene brauchen, die auch diese Ziele unterstützt.
    Rother: Jetzt sind ja Subventionen auch entwicklungsfreundlich, zumindest für die eigene Landwirtschaft. Ist denn der Schutz der Landwirte und günstige Nahrungsmittel etwas, was auch in den Industrieländern immer noch notwendig ist?
    Wiggerthale: Die Position von Oxfam ist nicht, dass die Subventionen insgesamt abgeschafft werden. Wenn wir in der Europäischen Union eine Agrarwende hinbekommen wollen, also eine sozial-ökologisch nachhaltige Landwirtschaft, dann brauchen wir auch die Subventionen als einen Anreiz dafür. Aber es ist natürlich wichtig, dass die Kriterien insbesondere für die Direktzahlungen, die auch einen großen Anteil jetzt in der Europäischen Union ausmachen, an strikte und soziale Kriterien gebunden werden, und das ist auch im Namen der letzten Agrarreform nicht geschehen.
    Rother: Jetzt kam es ja am Wochenende in Paris zu einer wahrscheinlich fast schon historischen Einigung, bezogen auf das Klima. Was ist denn Ihrer Einschätzung nach in Nairobi zu erwarten bei der WTO-Konferenz?
    Wiggerthale: Ich glaube, dass insgesamt alle erst mal relativ geringe Erwartungen haben und auch relativ pessimistisch sind, weil einfach die Differenzen sehr groß sind. Sie haben auf der einen Seite die EU und die USA, die USA noch mal mehr, die unbedingt auch den Marktzugang für ihre Produkte verbessern wollen, und Sie haben auf der anderen Seite die Entwicklungsländer, die darauf beharren, dass ihre Entwicklungsanliegen gemäß dem Entwicklungsmandat der WTO in der Verhandlungsrunde auch wirklich eingehalten wird. Von daher sind im Moment Differenzen erst mal unüberbrückbar und es muss sich zeigen, inwieweit da in den nächsten Tagen noch Fortschritte erreicht werden können.
    Rother: Marita Wiggerthale von Oxfam Deutschland war das über die schwierigen WTO-Verhandlungen in Nairobi.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.