Archiv

Welthunger-Index
"Im vergangenen Jahr hungerten knapp 800 Millionen Menschen"

Die Welthungerhilfe hat heute den Welthunger-Index 2016 veröffentlicht. Daraus geht unter anderem hervor, dass vor allem in Südasien und in Afrika südlich der Sahara Hunderte Millionen Menschen hungern. Deutschlandfunk-Wirtschaftsredakteur Günter Hetzke hat sich den Index und die Berechnungsgrundlage angeschaut.

Günter Hetzke im Gespräch mit Doris Simon |
    Flüchtlinge nehmen im Camp Dagahaley im kenianischen Dadaab eine Mahlzeit ein.
    Neu angekommene soamlische Flüchtlinge nehmen im Camp Dagahaley im kenianischen Dadaab eine Mahlzeit ein. (dpa/picture alliance/WFP/Rose Ogola)
    Doris Simon: Die Welthungerhilfe veröffentlicht in Berlin den Welthunger-Index 2016 - gemeinsam mit IFPRI, dem internationalen Forschungsinstitut für Ernährungs- und Entwicklungspolitik. Index heißt, es handelt sich hierbei um eine Zahl. Günter Hetzke aus unserer Wirtschaftsredaktion, wie kann man den Hunger in der Welt anhand einer Zahl abbilden? Wie geht das?
    Günter Hetzke: Das ist tatsächlich ein durchaus kompliziertes und komplexes Unterfangen. Denn natürlich kann man Hunger nicht einfach so messen, wie unseren Strom- oder Wasserverbrauch zum Beispiel. Da brauchen die beteiligten Organisationen Krücken. Sie haben also Kriterien entwickelt und errechnen daraus einen Index. Im vergangenen Jahr lag der bei 21,7. Zur Einordnung: Alles, was zwischen 20 und 35 Punkten liegt, da gilt die Lage als ernst. Und "ernste Lage" ist damit der letzte Stand.
    Simon: Was wird denn als Grundlage herangezogen, um den Hunger zu messen?
    Hetzke: Es sind vier Kriterien. Einmal, wie hoch ist der Anteil der Unterernährten an der Bevölkerung. Die anderen drei beziehen sich auf Kinder, nämlich: Wie hoch ist der Anteil der Kinder, die sterben, bevor sie fünf Jahre alt sind? Und wie hoch ist der Anteil der Kinder unter fünf Jahren, die akut und chronisch unterernährt sind? Chronisch unterernährt heißt, die Kinder weisen eine zu geringe Körpergröße aus, leiden also an einer Verzögerung des Wachstums. Akute Unterernährung bedeutet, sie sind ausgezehrt, haben also ein zu niedriges Gewicht. Das sind die vier Kriterien, die herangezogen und gewichtet werden und aus denen dann der Index gebildet wird.
    Simon: Sind diese Kriterien unumstritten, allgemein anerkannt oder entzündet sich daran auch Kritik?
    Hetzke: Also, es gibt schon vereinzelt kritische Einschätzungen, wie zum Beispiel zur Datenerhebung, also, wie belastbar ist das, was erfasst wird. Hier beziehen sich die Beteiligten auf nationale Statistiken, auf Angaben von UNICEF oder von der Weltgesundheitsorganisation. Und weil die Datenlage oder auch das Netzwerk von Hilfsorganisationen oft nicht vorhanden ist, werden einige Länder gar nicht erfasst. Da gibt es keine Aussagen. Und das wird auch offen kommuniziert. Aber da stellt sich dann schon die Frage: In den Ländern, in denen ein Netzwerk zwar da, aber dünn ist, wie zuverlässig sind da diese Daten? Dann lässt sich auch trefflich darüber streiten, was heißt eigentlich Unterernährung? Hier gilt als minimaler Maßstab rund 1.800 Kilokalorien pro Tag. Das ist niedrig.
    Würde man den Maßstab erhöhen auf die Basis "normaler Lebensstil", wie von der Welternährungsorganisation festgelegt, also auf gut 2000 Kilokalorien, dann hätte man schon ganz andere, höhere Zahlen, was den Hunger in der Welt betrifft. Wird hier also schöngerechnet? Und letztes Beispiel: Ist satt allein ein Kriterium oder müsste nicht stärker als bisher auch auf Mangelernährung, also die Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen, geguckt werden? Aber bei aller Kritik in Einzelpunkten, insgesamt bleibt festzuhalten: Der Hunger-Index ist anerkannt. Und andere Erhebungen stehen ja vor ähnlichen Problemen.
    Simon: Bleibt noch die Frage, wie steht es um den Hunger in der Welt?
    Hetzke: Im vergangenen Jahr hungerten knapp 800 Millionen Menschen, nach den erwähnten Kriterien, vor allem in Südasien und in Afrika südlich der Sahara. Hauptursache dafür sind nicht Hungersnöte, ausgelöst durch Missernten, sondern Kriege oder bewaffnete Konflikte. Und wenn diese verdammten Konflikte nicht wären, dann würde man sehen, dass es durchaus Erfolge bei der Bekämpfung des weltweiten Hungers gibt. Und jede neue Index-Vorlage enthält auch einen besonderen Schwerpunkt und in diesem Jahr ist das ein Motto, nämlich die Verpflichtung den Hunger bis 2030 zu beenden.