Wieder einmal hängt alles an einer Konferenz: Im Dezember will die Staatengemeinschaft bei einem Gipfel in Paris einen neuen Anlauf für den Klimaschutz nehmen: Zum ersten Mal soll ein Abkommen geschlossen werden, das alle Staaten der Welt verbindlich in die Pflicht nimmt. Für den Journalisten Nick Reimer ist es die "Schlusskonferenz", so der Titel seines Buches.
"Paris ist damit die letzte Chance der Klimadiplomatie. Auf dem Spiel steht mehr als nur die Stabilisierung des Weltklimas. Die COP21 in Paris wird auch darüber entscheiden, ob die Demokratie in der Lage ist, Menschheitsprobleme des 21. Jahrhunderts zu lösen."
Chronik der wichtigsten Ereignisse
COP21 heißt der Pariser Gipfel im Diplomatenjargon, denn es gab zuvor schon 20 solche Konferenzen über weltweiten Klimaschutz. Nick Reimer bringt eine Chronik der wichtigsten Ereignisse und hat zum Ergebnis jeder bisherigen Klimakonferenz wenigstens ein paar Zeilen übrig. Was nicht so einfach ist: Oft gab es Resultate nur im Detail, die Veranstaltungen der vergangenen drei Jahre zum Beispiel dienten vor allem der Vorbereitung des nun bevorstehenden Gipfels von Paris.
Es ist bedrückend zu lesen, wie wenig die Staaten der Welt bisher zustande gebracht haben. Größere Bedeutung hat nur das Kyoto-Protokoll von 1997, das die teilnehmenden Industrieländer zu einer leichten Verringerung ihres Treibhausgas-Ausstoßes verpflichtete. Die meisten Unterzeichner hielten ihre Zusagen auch ein. Trotzdem werden heute 60 Prozent mehr Treibhausgase emittiert als im Jahr 1990.
Das erscheint paradox, doch der Anstieg geht vor allem auf das Konto der Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien mit ihren schnell wachsenden Volkswirtschaften. Diese Staaten brauchten sich als Entwicklungsländer im Kyoto-Protokoll zu nichts zu verpflichten. Reimer benennt gleichermaßen klar Erfolge und Misserfolge - und er analysiert ausführlich das Scheitern des Gipfels von Kopenhagen im Jahr 2009, der mit ähnlichen Erwartungen befrachtet war wie der in Paris in diesem Jahr.
Dänemarks Regierungschef Lars Lökke Rasmussen habe damals durch ungeschicktes Verhandeln viel verspielt, resümiert er - doch wichtiger sei eine andere Frage gewesen, die damals offenblieb:
Dänemarks Regierungschef Lars Lökke Rasmussen habe damals durch ungeschicktes Verhandeln viel verspielt, resümiert er - doch wichtiger sei eine andere Frage gewesen, die damals offenblieb:
"Wie wird der internationale Klimaschutz nach dem Auslaufen der ersten Reduktionsperiode des Kyoto-Protokolls 2012 organisiert? Völlig unklar blieb auf der Kopenhagen-Konferenz, was eigentlich das Ergebnis der Verhandlungen werden sollte - der zweite Grund des Scheiterns."
Künftige Abkommen
Im zweiten Teil des Buches geht Reimer auf Fragen ein, die in einem künftigen Abkommen geregelt werden sollen - vom Schadensersatz für Klimakatastrophen bis hin zum Waldschutz.
Manches klingt nicht nur für Außenstehende absurd: zu Beispiel der Umgang mit dem Phänomen "Heiße Luft". Darunter werden Rechte zum Ausstoß von Treibhausgasen verstanden, die einige Länder Osteuropas aus der Zeit Anfang der 1990er-Jahre in den Büchern stehen haben. Damals brachen mit dem Kommunismus auch große Teile der Industrie dort zusammen, als Nebenwirkung wurden weniger klimaschädliche Treibhausgase ausgestoßen - Staaten wie Polen, Russland und die Ukraine sparten viel mehr CO2 ein als sie mussten. Heute würden sie diese Emissionsrechte gern an andere Länder verkaufen und damit Milliarden verdienen, schreibt Nick Reimer.
"Für den internationalen Klimaschutz sind solche Deals der Horror. Zwar verbessern sie die Klimabilanz der einkaufenden Länder. Aber natürlich nur auf dem Papier. Treibhausgase wurden keine eingespart, weil die dem eigenen Konto gutgeschriebene Reduktion ja bereits in einem anderen Land erbracht worden war."
Reimer führt den Leser durch die komplizierten Details von Klimaschäden und Interessengruppen, die bei dem Thema eine wichtige Rolle spielen. Er tut das mit leichter Hand - gespickt mit Anekdoten eines Beobachters, der bei Klimakonferenzen seit 20 Jahren dabei ist - in wechselnden Rollen als Zeitungsreporter der "taz" und für das Internetportal Klimaretter. Verdienstvoll dabei: Er weiß trotzdem, was seine Leser nicht wissen und was folglich erläutert werden muss. Ihm ist ein angesichts des Themas überraschend kurzweiliges Buch mit Exkursen und vielen Reportage-Elemente gelungen - Klimaschutz kann auch unterhaltsam sein.
Pariser Gipfel und die Zukunft der Demokratie
Doch wie wichtig ist eigentlich die Klimadiplomatie, wenn es um den Klimaschutz geht? Für Nick Reimer ist sie sehr wichtig - seiner Ansicht nach entscheidet der Pariser Gipfel sogar über die Zukunft der Demokratie. Sollte er schief gehen, dann seien die Aussichten düster:
"Scheitern die Delegierten, kommt das, was am Ende einer jeden Epoche auf die Spezies zukam: Verteilungskämpfe, Überlebenskämpfe, kriegerische Auseinandersetzungen oder Weltkrieg. Unvorstellbar, was ein Scheitern bedeutet."
Auch wenn die Teilnehmer eines Klimagipfels manchmal wie in einem Paralleluniversum um sich selbst zu kreisen scheinen - der Blick auf die Welt draußen ist wichtig, bei Nick Reimer kommt er leider etwas zu kurz. So wüsste man gern mehr über die Gründe, die hinter der höheren Bereitschaft zum Klimaschutz stecken: drastisch gesunkene Kosten für Windräder und Solaranlagen etwa oder die gewachsene Kenntnis der Folgen des menschengemachten Klimawandels.
Für alle, die den Klimagipfel Ende des Jahres in Paris verfolgen wollen, liefert Nick Reimer trotzdem wichtiges Rüstzeug und Hintergrundwissen. Möglicherweise ist die Beschränkung auf Gipfelthemen im engeren Sinne auch sinnvoll. Sonst wäre er kaum mit gut 200 Seiten ausgekommen - und allzu viel Zeit bleibt nicht für die Lektüre: Mitte Dezember, wenn der Pariser Gipfel vorbei ist, ist das Werk überholt.
Nick Reimer: "Schlusskonferenz - Geschichte und Zukunft der Klimadiplomatie"
Oekom Verlag, München, 2015, 208 Seiten
ISBN: 978-3-86581-746-4
Oekom Verlag, München, 2015, 208 Seiten
ISBN: 978-3-86581-746-4