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Weltkriegsgedenken
"Gewaltverdichtung und Mythos zeichnen Verdun aus"

Die Schlacht von Verdun vor 100 Jahren stehe für eine "sehr singuläre Verdichtung von Gewalt im Ersten Weltkrieg", sagte der Historiker Jörn Leonhard im DLF. In Deutschland und Frankreich gingen die Menschen mit der Erinnerung an das Ereignis aber völlig unterschiedlich um - und das sei auch wichtig. Die zunehmende Europäisierung des Ereignisses berge Gefahren.

Jörn Leonhard im Gespräch mit Michael Köhler | 29.05.2016
    Vor dem Jahrestag anlässlich von 100 Jahren Erster Weltkrieg (1914 - 1918) - Schlacht von Verdun. Ein Mann und ein Junge durchstreifen die Gedenkkreuze für die gefallenen Soldaten. Anlässlich der Hundertjahrfeier der Schlacht von Verdun soll das neue "Verdun Memorial" eröffnet werden.
    Der Historiker Jörn Leonhard warnte im DLF vor einer zunehmenden Europäisierung der Geschichtserinnerung. (picture alliance / dpa / MAXPPP)
    Innerhalb von rund 300 Tagen wurden bei der Schlacht von Verdun mehr als 300.000 Menschen getötet. In Frankreich betrachte man die Schlacht in einem positiven Licht - als Verteidigung gegen deutsche Invasoren, so Leonhard. In Deutschland stünden dagegen negative Begriffe wie "Blutmühle" und "Verheizen" im Vordergrund. "Gewaltverdichtung und Mythos sind die beiden Elemente, die Verdun auszeichnen", sagte der Historiker der Universität Freiburg.
    Zudem nehme die Schlacht in beiden Ländern einen völlig unterschiedlichen Stellenwert in der Geschichtsbetrachtung des vergangenen Jahrhunderts ein. "Das sind Unterschiede in Gedächtniskulturen, die man auch durch betonte Europäisierung nicht wegbekommt", sagte Leonhard. Es sei wichtig, diese Unterschiede zu betonen.
    Der Freiburger Historiker Jörn Leonhard, aufgenommen am Donnerstag (08.07.2010) in Stuttgart.
    Der Historiker Jörn Leonhard. (dpa / Marijan Murat )
    Dass die Erinnerung an die Schlacht zunehmend europäisiert werde, berge auch eine Gefahr. Das "provoziert den Gedanken, dass man mit dieser Geschichtserinnerung allein die Antworten auf die Probleme Europas in der Gegenwart hat". Auch mit inszenierten Versöhnungsgesten vor Ort sollten die Politiker vorsichtig sein, weil die Menschen sehr genau wüssten, was echt und was gestellt sei.