Karin Fischer: Um die Zukunft der Vergangenheit ging es beim achten internationalen Treffen aller Universitätspräsidenten in Yale. Das Treffen wurde angeregt von den Vereinten Nationen, weshalb auch UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon dabei war. Und die Vertreter der Hochschulen aus aller Welt hatten ein aktuelles und sehr globales Thema: den besseren Schutz des Kulturerbes. Organisiert und begleitet hat das "Global Colloquium of University Presidents" Stefan Simon, der seit Langem konservatorisch tätig ist und in Yale auch Direktor des "Instituts für die Bewahrung kulturellen Erbes". Ihn habe ich vor der Sendung nach den größten aktuellen Bedrohungen fürs Kulturerbe gefragt.
Stefan Simon: Wenn man Zeitungen liest, könnte man davon ausgehen, dass das Kulturerbe hauptsächlich durch Krieg, durch Naturkatastrophen bedroht ist. Wir hatten im letzten Jahr das Erdbeben in Nepal. Wir haben natürlich die Konfliktszenarien vor allem in Syrien durch den islamischen Staat, aber natürlich auch ganz besonders durch die syrische Regierung. Wir haben aber natürlich auch Landwirtschaft, wirtschaftliche Entwicklung und Tourismus als große Schadensfaktoren. Ein Thema: die Plünderung von antiken Stätten, die inzwischen ein industrielles Ausmaß angenommen hat. Die betrifft natürlich nicht nur, wie der Zeitungsleser vermuten könnte, Syrien und den Irak; die betrifft natürlich auch Libyen, Ägypten, Mali, Nigeria und hier bei uns zuhause in den Staaten auch den amerikanischen Südwesten, wo die Native American Sites auch bedroht sind. Das ist durchaus ein Phänomen, was auch globales Ausmaß hat.
"Die modernen Monuments Men"
Fischer: Gab es für Sie neue wissenschaftliche Erkenntnisse auf Ihrer Tagung, oder sogar konkrete Maßnahmen?
Simon: Ich würde sagen, der Austausch von technischen Verfahren stand jetzt nicht so im Vordergrund. Aber ich habe natürlich auch sehr, sehr viel gelernt. Ich habe gelernt, welche Bedeutung die vierte industrielle Revolution hat für das Kulturerbe, das digitale Zeitalter, was auf der einen Seite Herausforderungen bringt durch die Frage, wie werden eigentlich Daten gesichert, wie werden Kulturdaten auch migriert und wie geht man damit um, dass Formate und ganze Systeme einfach verschwinden werden, auf der anderen Seite aber auch viele Möglichkeiten bietet gerade beim illegalen Kunsthandel. Sie haben eine Milliarde Mobiltelefone in Indien und Sie können damit natürlich viele Fotos machen in Tempeln und damit vielleicht auch das eine oder andere Objekt identifizieren, was wir letztendlich dann in New York oder in München irgendwo in einer Galerie sehen. Das war eigentlich schon ein großer Schwerpunkt. Data-Standards, Protokolle für Datenübertragbarkeit oder Nutzbarkeit zwischen den verschiedenen Nutzern war ein ganz heißes Thema und da habe ich auch viel gelernt.
Ein anderes Thema natürlich auch die Nachhaltigkeit, die soziale Komponente der Nachhaltigkeit, das heißt die Einbindung von den sogenannten Local Communities, die modernen Monuments Men, kann man vielleicht so sagen, vor allem in den Konfliktregionen, dass man natürlich auch als Universität aus diesem Elfenbeinturm ein bisschen rausschauen will und die Hand ausstrecken will zu den Locals, den Menschen vor Ort, die letztendlich die Verantwortung tragen. Wir haben das in Mali gesehen, die Berichterstattung über die Bibliothek von Timbuktu, die zum großen Teil gerettet wurde durch das Engagement der lokalen Bevölkerung, die diese wertvollen Manuskripte der Universität von Timbuktu nach Bamako gebracht haben, im Garten vergraben haben. Ohne das Engagement der lokalen Bevölkerung können Sie kein Kulturerbe dauerhaft erhalten. Das ist kein Thema, was man in Museen und in die akademischen Zirkel abschieben kann.
"Die Erhaltung des Kulturerbes nicht als Orchideenfach ansehen"
Fischer: Stefan Simon, wurde denn auch der geplante Wiederaufbau von Palmyra in Yale diskutiert?
Simon: Ja, natürlich. Wir hatten einen Vortrag des Generaldirektors der Antikenverwaltung, Mamun Abdulkarim, und auch andere Vorträge zu diesem Thema. Vielleicht ganz kurz: Es ist vollkommen normal und auch verständlich, dass die syrischen Kollegen enthusiastisch sind nach der Befreiung und dass sie den Wiederaufbau so schnell wie möglich anstreben. Es ist aber auch ein kompliziertes Unterfangen. Ich glaube, wenn wir in zwei, drei Jahren so weit sind, dass es einen guten Plan gibt für den Baal-Tempel, für die großen Denkmäler, dann haben wir einen Riesenerfolg für das Welterbe, für die Welterbestätte von Palmyra erreicht, und dürfen natürlich auch dabei Aleppo und die anderen Welterbestätten in Syrien nicht vergessen. Aber es wurde sehr intensiv darüber gesprochen und es wird auch bald weitere Meetings und Konferenzen zu dem Thema geben.
Fischer: Welche politische Botschaft geht Ihrer Meinung nach von dem diesjährigen Treffen der Universitätspräsidenten aus in die Welt?
Simon: Ich würde sagen, wir haben eine Hauptbotschaft. Das ist, die Jugend einzubeziehen in die Entwicklung von neuen Maßnahmen, dieses Kulturerbe zu erhalten. Wir haben den Hashtag "Unit for Heritage" der UNESCO angenommen. Die haben 15 Millionen Follower. Wir können die Erhaltung des Kulturerbes nicht als Orchideenfach irgendwie ansehen, sondern wir brauchen wirklich die Unterstützung der Jugend, und das haben wir. Wir haben die Jugend der Welt, die Studenten bei uns möchten irgendwann mal Leaders oft the World werden und werden das sicherlich auch, und wenn die unsere Hochschulen durchlaufen und müssen nicht Konservierungswissenschaftler werden wie ich und müssen nicht Denkmalpfleger werden, aber wenn die dabei lernen, dass die Erhaltung des kulturellen Erbes eine zentrale Bedeutung hat für Wohlstand, für Frieden und für die Entwicklung dieser Welt, dann sind wir sehr, sehr glücklich, und ich glaube, das ist das Ziel unserer Tagung gewesen.
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