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Weltliteratur vom Bauernhof: "Es muss flutschen!"

Margitt Lehbert hat sich mit ihrem Ein-Frau-Verlag Edition Rugerup einen Namen gemacht. Vom heimischen Notebook in Schweden arbeitet sie zwischen Kindern und Hühnerstall und ist insbesondere bekannt als Übersetzerin der Gedichte des Australiers Les Murray - auf dessen Wunsch.

    Über den ochsenblutrot gestrichenen Häusern, die sich knapp 50 Kilometer von Ystad entfernt zwischen sanfte Hügel schmiegen, steht die Morgensonne. Es ist Neun, als Margitt Lehbert vom Kontrollgang ins Hühnerhaus zurückkommt und sich, in der Hand eine Tasse mit noch viel zu heißem Kaffee, endlich an den Schreibtisch setzt. Wach war sie schon lange bevor sie die Kinder geweckt, Frühstücksbrote geschmiert, Schultaschen kontrolliert und Maja und Gabriel mit dem alten Mazda Kombi in die einige Kilometer entfernte Grundschule gefahren hat. Nun – endlich! – sitzt sie am Notebook. Pflicht und Kür: Bis Mittag müssen Klappentexte entworfen und Coverbilder für die deutsche Auslieferung auf den Weg gebracht sein. Dann, mit einem Kopfsprung, in die Übersetzungs-Arbeit.

    "Man braucht sich gar nicht Gedanken zu machen, wie man einen Tag strukturiert, wenn man kleine Kinder hat. Denn die müssen morgens aufstehen, und dann müssen sie zur Schule, und irgendwann sind sie zurück. Und in dem Zeitraum, wo sie weg sind, muss man arbeiten – sonst geht das nicht. Dafür bin ich auch sehr dankbar. Denn das Schlimmste beim Ganz-alleine-Arbeiten ist, dass man die Disziplin braucht, das dann auch wirklich zu TUN – und nicht nur darüber zu reden. Ich konnte hier auch richtig lektorieren und arbeiten, als oben der Fußboden verlegt wurde. Unter einem Wahnsinns-Gehämmer und Gesäge. Oder als die Kinder hier Windpocken hatten und auf diesen Sesseln rumlungerten und mich tausendmal fragten, was das bedeutet und jenes bedeutet. Weil sie versuchten, zu lesen. Ich war dann abends fertig, das muss man schon sagen. Also, da war ich richtig kaputt! Aber aus irgend einem Grund kann ich das tatsächlich machen. Und das hat bestimmt auch mit dem Mutterdasein zu tun. Denn wenn man überhaupt noch einen klaren Gedanken fassen will, mit kleinen Kindern, dann lernt man, ihn trotz der Kinder zu fassen. Und nicht irgendwie anders. Es geht ja gar nicht anders."

    2005 hob Margitt Lehbert, die vor allem als Übersetzerin der Gedichte des Australiers Les Murray bekannt wurde, unterm Dach des von ihrem Mann betriebenen Nimrod Förlags die Edition Rugerup aus der Taufe. In sorgfältig edierten zweisprachigen Ausgaben stellt die Reihe internationale Dichtung in deutscher Übersetzung vor: Mit Bänden von Don Coles, Robin Fulton, Gabriel Rosenstock und immer wieder Les Murray avancierte das Ein-Frau-Unternehmen zum Geheimtipp für Lyrik-Begeisterte. Hätte man Lehbert vor 13 Jahren prophezeit, dass sie mit knapp 50 in einem südschwedischen Weiler einen Independent-Verlag gründen würde – sie hätte vermutlich nur gelacht. Damals war sie Stipendiatin des Schriftsteller- und Übersetzerzentrums im gotländischen Wisby und verliebte sich in einen Kollegen: Stefan Borg, ehemaliger Kampfpilot der schwedischen Luftwaffe, veröffentlicht die von ihm übersetzten Werke Sören Kierkegaards, der bis dahin auf schwedisch nur in Auszügen erhältlich ist, in seiner Heimat im eigenen Kleinverlag. Für einige Jahre lebte und arbeitete das Übersetzer-Paar in der deutschen Hauptstadt. Bald nach der Geburt der Kinder siedelte die Familie nach Schweden über.

    Der Rugeruper Dreiseithof bietet reichlich Raum zum Übersetzen und Verlegen. In der alten Scheune stapeln sich, neben allerlei verstaubtem landwirtschaftlichem Gerät, einem rostigen Volvo-Oldtimer und Schnäppchen-Käufen der leidenschaftlichen Flohmarktbesucherin Margitt Lehbert, die Kartons voller Bücher. Mit der Idee, einen eigenen Verlag zu gründen, trug sich Lehbert schon lange vor ihrem Schweden-Abenteuer.

    "Es ging mir hauptsächlich darum, dass ich über viele, viele Jahre Lieblingsdichter hatte, die ich unbedingt auf Deutsch vorstellen wollte. Und die kein Verlag wagte zu bringen. Weil die Namen nicht groß genug waren, und weil einfach das Geld fehlte. Und dann hatte ich ja gearbeitet für dieses International Writing Programm in Iowa, da hatte ich Dichter aus aller Welt kennen gelernt. Und hab' auch seit 25 Jahren eine freundschaftliche Beziehung zu Peter Jay von Anvil Press Poetry in London. Der macht fantastisches internationales Programm – Dichter aus aller Herren Länder! Auch Celan, Hölderlin. Und da dachte ich: ja, so ein Verlag! Das wär's! Auf Deutsch internationale Poesie vorzustellen! Also richtig die Sachen, die von überallher die besten sind, die man dann finden müsste. Und dann geschah ein kleines Wunder; ich ging nämlich nach Stockholm, um dort Les Murray zu treffen. Der machte da Lesungen, und ich wollte mit ihm die Endphase von einem Buch, was ich gerade übersetzte von ihm, durchsprechen. Und ihn auch einfach sehen, wir sind seit 15 Jahren befreundet. Und da fragte er mich da: 'Hast Du nicht mal Lust, meine Bücher von jetzt an zu verlegen?' Huch! Und da dacht' ich so: Jetzt geht es! Denn Les Murray ist als Dichter bekannt... Ich wollte eben Lyrik machen, und ich sah keine Möglichkeit, da richtig einzusteigen. Wie denn? Aber mit Les Murray, mit dem Namen, und mit dem Hintergrund, den ich mit ihm hab', müsste es eigentlich gehen. Und da hab' ich gesagt: 'Ja, machen wir!' Und seit dem existiert praktisch der Verlag."

    Verlegen, davon ist Margitt Lehbert überzeugt, heißt vorlegen – auch wenn ihre wunderbaren Bücher es mitunter schwer haben, zu den Lesern vorzudringen. Lange Zeit haben Amazon oder große deutsche Barsortimente ihre Briefe nicht einmal beantwortet. Seit diesem Sommer bringt eine kleine Berliner Auslieferung das Rugerup-Programm in den deutschsprachigen Buchhandel. Bis es soweit war, kümmerte sich die Verlegerin auf eigene Faust um den Bücher-Export.

    "Das schwedische Porto ist wahnsinnig hoch. Und es gibt kein Buchporto! Und gerade diese Sache mit dem Buchporto: Ich meine, kein Mensch schreibt wirklich 350 Seiten Briefe heutzutage! Also, im Prinzip sind dann diese sehr teuren Briefe ab 200 Gramm eigentlich nur interessant für Verlage und Leute, die ihr Tagebuch durch die Weltgeschichte schicken. Und das ist ein richtiges Problem: denn wenn ich eine Bestellung kriege für zwei Bücher, und das Porto ist 14 Euro, dann geht das natürlich nicht. Aber es kommt hier einmal in der Woche nach Hörby ein Bäcker, der nimmt Bücher mit, die ich schon fertig frankiert habe, und schmeißt die dann auf Rügen in den Postkasten... Und solange die Verkäufe so klein sind, ist es für mich tatsächlich günstiger, wenn ich's selber mache. Und es ist für mich eigentlich auch ganz schön: Also, wenn ich hier sitze und habe genug übersetzt und Mails beantwortet und überlegt, dann stehe ich auf und drucke ein paar Rechnungen und packe ein paar Bücher ein. Dann ist das so wie – ich trinke leider am Tag nur eine Tasse Kaffee, weil ich sonst zu hibbelig werde – dann ist das meine Kaffeepause. Also, ich mache es eigentlich gerne, weil es so ein Moment ist, wo die Finger was tun, und der Kopf gar nichts."

    Margitt Lehbert ist in vier Ländern, mit vier Sprachen aufgewachsen, die längste Zeit ihrer Kindheit - immerhin elf Jahre – hat sie in den Vereinigten Staaten gelebt, in die es sie später immer wieder zog. Übersetzerin ist sie geworden, weil sie, als Tochter deutscher Eltern auf einer deutschen Schule lernend, die Kluft zum Englischen überwinden wollte. Muss sie sich heute, in einem abgelegenen Winkel Südschwedens für deutschsprachige Leser arbeitend, nicht dennoch ein wenig wie Robinson Crusoe fühlen?

    "Durch die E-Mail vor allem ist es an und für sich nicht mehr so. Denn jeder Übersetzer sitzt auf einer Insel, wenn er arbeitet. Denn sonst geht das nicht. Und ob ich jetzt diese Insel im vierten Stock in Wilmersdorf habe oder hier in Rugerup, das bleibt sich ungefähr gleich. Ich muss sagen, ich fühle mich eigentlich hier weniger einsam als in Berlin. Weil dann die Kontakte, die ich habe, intensiver sind. Und auch die gedanklichen Kontakte mit den Büchern, die ich verlege. Ob ich sie jetzt selber übersetze oder die Übersetzungen zwei, dreimal lektoriere. Ich bin furchtbar, furchtbar pingelig beim Lektorat. Und mach' das dann gleich zwei oder dreimal. Und dann kriegen die armen Leute wieder 20 oder 30 E-Mails: Wie ist es denn hier? Und willst Du nicht das ändern? Und das ist eine intensive Auseinandersetzung, die ich so eigentlich vorher selten erlebt habe."

    Seit die Familie das Dachgeschoss des Wohnhauses ausgebaut hat, bleibt der Dialog mit Kollegen und alten Freunden nicht auf Internet und Telefon beschränkt. In diesem Sommer waren Hans-Christian Oeser, Co-Übersetzer des neuen Buchs von John Montague, und Dorothea Grünzweig, die eine 2009 erscheinende Gerard Manley Hopkins-Ausgabe vorbereitet, in Rugerup zu Gast. Gemeinsame Arbeit und Momente, in denen das Herz weit wird: mit Lajka, der Hündin, über die Felder laufen. Den Safran-Fisch in die Backröhre schieben. Einen Schluck vom selbst angesetzten Johannisbeer-Schnaps. Was braucht es jetzt noch, um Margitt Lehbert so etwas wie Glück spüren zu lassen?

    "Es muss flutschen! Es gibt Tage, wirklich, da arbeitet man an einem Gedicht herum und hat das Gefühl, überall knirscht und quietscht es. Und egal, wo man das Öl hinträufelt, knirscht und quietscht es woanders dann trotzdem weiter. Und es gibt wirklich Tage, da übersetzt man sechs Gedichte. Und denkt: Also, wenn ich die morgen ankucke, dann klingen die immer noch gut. Und das ist natürlich phantastisch."