"Deutschland im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft. Das ist eine Riesensensation. Das ist ein echtes Fußballwunder. Ein Wunder, das allerdings auf natürliche Weise zustande kam."
Zum ersten Mal nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durfte Deutschland wieder an einer Weltmeisterschaft teilnehmen. Dass die Rückkehr auf die internationale Fußballbühne so spektakulär-erfolgreich verlaufen würde, damit hatten weder die kühnsten Optimisten noch Radioreporter Herbert Zimmermann gerechnet. In der Vorrunde war die Herberger-Elf noch 3:8 gegen Turnierfavorit Ungarn untergegangen. Und nun, am 4. Juli 1954, das Endspiel in Bern, wieder gegen die ballverliebten Ungarn.
"Ungarn mit Grosics im Tor. Buzansky, Lantos in der Verteidigung. Bozsik, Lorant, Zakarias-"
"Ich habe nur an dieses Spiel gedacht. Ich war völlig fokussiert auf dieses eine Spiel und auf sein Ergebnis."
Jürgen Bertram war damals 14. Fußball war für ihn und viele seiner Altersgenossen eine Möglichkeit, dem von der Gewalt der Kriegsjahre oftmals noch geprägten Alltag zu entfliehen.
"Es gab damals das Phänomen der Straßenmannschaften, die genauso kämpften wie die so genannten "Helden von Bern", mit denen sie sich auch völlig identifizierten. Man war dann Fritz Walter oder Helmut Rahn oder Toni Turek – ich stand ja im Tor – ich war immer Toni Turek. Das war ein Stück Kompensation, Flucht und eben auch ein Stück Freiheit."
Bertrams Vater, Unteroffizier der Wehrmacht, Oberscharführer der SA und 1933 der NSDAP beigetreten, hatte dem Sohn strikt untersagt, Fußball zu spielen, weil es ein Proletensport sei. Für Jürgen Bertram, der seine Kindheit in dem Buch "Torschrei" verarbeitet hat, gab es Schläge und Stubenarrest, wenn er sich dem Verbot widersetzte. Am Tag des Endspiels hangelte er sich dennoch an der Dachrinne aus seinem Zimmer herab und lief ins fünf Kilometer entfernte Schützenhaus, um seine Idole im Fernsehen zu sehen."
"Schuss, Abwehr von Turek. Turek, Du bist ein Teufelskerl! Turek, Du bist ein Fußballgott!"
Mit tollen Paraden rettet Toni Turek den knappen 3:2-Vorsprung bis zum Schlusspfiff. Deutschland ist Weltmeister! Nicht nur im Schützenhaus ist der Jubel grenzenlos. Das ganze Land feiert. Für viele Historiker ist das "Wunder von Bern" das eigentliche Gründungsdatum der Bundesrepublik Deutschland.
"Deutschland war ja zu dieser Zeit am Boden zerstört noch. Deutschland war ja überhaupt nichts."
Nach der Niederlage begannen in Budapest erste Ausschreitungen
Horst Eckel war damals 22; der jüngste Spieler in der deutschen Mannschaft. Neben Hans Schäfer ist Eckel der einzige noch lebende Berner Held.
"Und ich glaube, es hat auch ein bisschen dazu beigetragen, dass wir wieder schneller nach oben gekommen sind. Das haben uns auch die Politiker gesagt, dass sie es jetzt viel leichter haben, irgendwo hinzugehen, wie das früher der Fall war."
Für Jürgen Bertram war die große, unbeschwerte Freude an diesem Jubelsonntag schon bald getrübt. Nach dem Schlusspfiff musste er den schweren Gang zurück ins gefürchtete Elternhaus antreten, wo ihn der Vater bereits erwartete.
"Und er hob auch die Hand, aber die Schläge, die ich vermutet hatte, prasselten nicht auf mich hernieder. Doch sein Blick sagte: 'Mensch, wir sind Weltmeister. Heute lasse ich Dich in Ruhe.' Dank Helmut Rahn und Fritz Walter ging ich straffrei aus."
"Nach dem Siegtor von Rahn schießt Puskás noch ein Tor. Szepesi braucht sehr viel länger, bis er merkt, dass der Linienrichter die Fahne gehoben hat, sehr viel länger als Zimmermann braucht."
György Szepesi kommentierte das Endspiel für den ungarischen Rundfunk. Peter Kasza, in München geborener Sohn eines Exil-Ungarn, hat in seinem Buch "Das Wunder von Bern" das Finale aus ungarischer Sicht analysiert. Dafür befragte er auch Szepesi.
"Danach braucht er 'ne gewisse Zeit, aber er sagt dann, wir gratulieren den Deutschen. Sie haben hervorragend gespielt. Und er sagt diesen Satz, den er - glaube ich -, geistig umnächtigt gesagt hat: Es ist nur ein Fußballspiel. Wir haben nur ein Fußballspiel verloren. Das war natürlich viel mehr als ein Fußballspiel."
Unmittelbar nach der Niederlage der hochfavorisierten Ungarn gibt es in Budapest erste Ausschreitungen. Die Menschen im stalinistisch regierten Satellitenstaat der Sowjetunion wollen ihre Wut und Enttäuschung nicht mehr unterdrücken. So wie der unerwartete Weltmeistertitel das Selbstbewusstsein der deutschen Kriegsverlierer aufwertete, schildert Peter Kasza die ungarische Niederlage als traumatisches Vorspiel für den Volksaufstand von 1956.