Amazonas Moreno, das Abschlusslied eines jeden Spieles in der Arena da Amazônia. Es ist eine Hommage an den mächtigen Fluss, an den Regenwald und an die Weite. 3000 Kilometer liegt die Amazonas-Hauptstadt Manaus von Rio de Janeiro entfernt. Von dort war an diesem Tag der Verein Flamengo angereist. Er spielte gegen ein anderes eingeflogenes Team, denn die Mannschaften der Region kicken maximal in Liga vier. Für Flamengo geht es zum Saisonende der brasilianischen Série A um nichts mehr. Aber nicht nur deshalb ist das Stadion nicht mal halb voll, sagt Flamengo-Fan Renilson Vieira:
"Beim ersten Spiel haben sie uns getäuscht: sie kamen mit einer Reserve, einem B-Team und wir haben die erste Elf erwartet. Alle waren enttäuscht!"
Vier Spiele gab es in der Arena seit dem Ende der Fußball-WM. Dazu drei Kirchenevents, ein Folklorefest und zwei Konzerte – eins demolierte direkt den Rasen teilweise. Zehn Events - aber voll war die Arena nie. 44.000 Menschen würden Platz finden. An diesem Tag sind es gerade 20.000. Das macht einen Umsatz von einer halben Million Euro – Geld, das Flamengo größtenteils mit nach Rio de Janeiro nimmt. Dem staatlichen Arena-Betreiber bleiben umgerechnet 50.000 Euro. Das reicht lange nicht zum Unterhalt des Komplexes. Denn der kostet im Monat mindestens 200.000 Euro, rechnet der Landespolitiker Marcelo Ramos nach.
"Das ist der Wert einer Schule, einer guten Schule und ein Preis, den sich der Bürger Amazoniens nicht leisten kann."
Denn der Staat Amazonien habe absurd-hohe finanzielle Probleme, erzählt Marcelo Ramos, der bei den Gouverneurswahlen im Oktober dem Amtsinhaber unterlag. Nach seiner Rechnung beträgt das Haushalsloch für 2015 fast eine halbe Milliarde Euro. Und der Staat hat noch gar nicht angefangen, die Baukosten für die Arena von umgerechnet über 200 Millionen Euro abzustottern.
"Das ist, als wenn Sie zu einem Fest in Ihrem Haus einladen, ohne Geld dafür zu haben. Sie feiern ein schönes Fest, die Gäste gehen absolut begeistert, aber das Haus ist hinterher ein Chaos und sie haben Schulden, die sie nicht bezahlen können."
Deshalb werde die Regierung alles tun, die Arena loszuwerden. Der Journalist Lucas Reis meint aber, das werde gar nicht so einfach:
"Das Problem ist zunächst erst einmal das Klima. In einem gewissen Teil des Jahres regnet es viel, es ist sehr heiß und die Luftfeuchtigkeit ist hoch. Das beeinträchtigt das Equipment bei Events und stört das Publikum. Und von den großen Zentren des Landes, Rio, São Paulo, Belo Horizonte hierher, ist die Distanz sehr weit. Man fliegt vier bis fünf Stunden."
Deshalb ließ die Regierung schon vor Monaten eine der weltweit angesehensten Beratungsfirmen, „Ernst & Young", eine Machbarkeitsstudie anfertigen. Den Verantwortlichen soll die Studie im Grunde erklären, was sie am sinnvollsten mit der Arena anfangen könnten. Das Ergebnis umfasst 500 Seiten – deren Veröffentlichung wird aber seit August immer wieder verschoben. Vorher müssten aufgetauchte Zweifel ausgeräumt werden, sagt Staatssekretär Airton Claudino. Welche Zweifel das sind, sagt er nicht. Aber die Studie spreche klar dafür, die Nutzungsrechte an der Arena für 25 Jahre an ein privates Unternehmen zu vergeben. Das solle im Gegenzug im Umkreis des Stadions in Parkplätze, Geschäfte und Restaurants investieren:
"Der private Partner muss dafür 200.000 Reais einbringen. Mir erscheint das als gutes Geschäft, eine gute Lösung. Wir wollen den Komplex in ein kommerzielles Zentrum verwandeln, das Arbeit, Einkommen und für den privaten Partner Gewinn schafft."
So solle aus dem weißen- ein goldener Elefant werden. Die Aussichten seien exzellent, sagt der Präsident der staatlichen Stiftung „Vila Olímpica", die die Arena da Amazônia momentan betreibt. Laut Aly Almeida stünden die privaten Agenturen bei ihm Schlange, um Anfang 2015 die Arena zu übernehmen.
"Alle, die hier waren – aus Frankreich und so weiter – haben wir um ein Angebot gebeten. Das kann nur ein Erfolg werden, weil die Veranstalter ihre Events ja schon geplant haben und Erfahrung haben mit Shows von Madonna, Fußball-Shows, großen Events."
Nach exklusiven Informationen des Deutschlandfunk besteht die so genannte Schlange aus drei Unternehmen – ein brasilianisches, ein französisches und ein US-amerikanisches. Bei letzterem dürfte es sich um „AEG Sports" handeln, das über 100 Arenen in 14 Ländern betreibt – darunter das Maracanã in Rio de Janeiro. In Frankreich fällt der Name „Lagardère Unlimited", das auf seiner Internetseite angekündigt hat, Brasilien erobern zu wollen. Außerdem erfuhr der Deutschlandfunk von einer geheimen Reise Ende Oktober: Aly Almeida flog mit einer Delegation um den Bruder des Gouverneurs nach Amsterdam, um den Veranstalter „Stadium Amsterdam" zu treffen, der in Brasilien drei Arenen betreibt. Nachfragen wollte keines der Unternehmen beantworten. Verständlich, schließlich gibt es weder eine Ausschreibung noch eine offizielle Ankündigung. Die Regierung warte auf einen geeigneten Moment, die Privatisierung dem Volk zu erklären, sagt Journalist Lucas Reis:
"Die Ankündigung einer Privatisierung ist keine populäre Maßnahme. Der Staat hat sich mit der Arena übernommen, muss noch die Rechnung dafür bezahlen und übergibt sie schon an eine private Initiative."
Das werde zu massiver Kritik führen. Denn das Geld, so Oppositionspolitiker Marcelo Ramos, werde anderswo viel dringender gebraucht, als für den Bau:
"Das war eine absolut irrationale Entscheidung. Da ist Geld verbrannt worden, ein Luxus, den sich der Amazonas nicht leisten kann!"
Aus sportlicher Sicht seien die beiden kleinen Trainingsstadien für den Staat viel geeigneter. Die wurden parallel zur Arena für über zwölf Millionen Euro umgebaut und bieten bis zu 10.000 Zuschauern Platz. Auch sie werden von der staatlichen Stiftung „Vila Olímpica" verwaltet. Deren Präsident, Aly Almeida, selbst Trainer der brasilianischen Schwimm-Olympiamannschaft bei den Spielen 1992, hat nun Briefe an die nationalen Olympischen Verbände geschrieben und die Stadien als Trainingsorte für Rio2016 angepriesen.
"Unsere Trainingszentren wurden geprüft und bestätigt durch den Fußball-Weltverband FIFA. Und was gut genug ist für die Nationalmannschaften von Italien, England, der Schweiz, Honduras und Portugal, das ist auch gut genug für die olympischen Teams."
Nur einen Schönheitsfehler hat seine Rechnung: Nicht eine einzige Fußball-Nationalmannschaft hat die Trainingszentren zur WM auch genutzt. Stattdessen sind sie so schnell wie möglich wieder abgereist aus der tropischen Hitze Amazoniens.