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Weltnaturerbe in Gefahr

Das größte Korallenriff der Erde befindet sich in einem schlechten Zustand. Der Klimawandel, Dünger aus der Landwirtschaft und unzählige Dornenkronen-Seesterne setzen dem Ökosystem Great Barrier Reef stark zu. Die UNESCO könnte dem Riff das Prädikat "Weltnaturerbe" entziehen.

Von Udo Schmidt |
    Richard Kenchington ist Biologe und hat die Beratergruppe geleitet, die für die UNESCO ein Gutachten über den Zustand des Riffs erstellt hat. Richard sitzt am Hafen von Sydney, in einem der schicken italienischen Restaurants, die es inzwischen dort gibt, und versucht ruhig und zurückhaltend zu formulieren:

    "Das Great Barrier Reef als Weltnaturerbe ist nun wirklich das Juwel in der Krone der Meeresschutzzonen, es ist damals als Naturerbe nominiert worden, um auf die wachsenden Herausforderungen hinzuweisen, die es für das Riff gibt, und um die Vielfalt des wohl bedeutendsten Ökosystems zu erhalten."

    Dieses einmalige Ökosystem sieht die Beratergruppe unter Leitung von Richard Kenchington aber nun gefährdet. Daher die Drohung mit dem Entzug des Prädikats "Weltnaturerbe". Für die australische Regierung wäre das ein riesiger Imageverlust und für die Tourismusindustrie würde es wahrscheinlich den Verlust von Milliarden Australischer Dollars bedeuten.

    "Unser Bericht kommt zu dem Schluss, dass die Hauptbedrohung aus dem Klimawandel erwächst. Daraus folgt, dass das Riff von allen weiteren Bedrohungen entlastet werden muss, damit es in der Lage ist, sich immer wieder zu erholen und den Klimawandel zu überstehen. Vor allem die Verschmutzung des Meeres durch die Landwirtschaft muss gestoppt werden."

    Rob McGregor fährt in Townsville Taxi. Townsville ist eine kleine Universitätsstadt in Queensland, ganz nahe am berühmten und gefährdeten Great Barrier Reef. Hier in Townsville sitzen die Korallenexperten, die sich derzeit große Sorgen um das Riff machen, um den größten Naturschatz, den Australien besitzt. Und hier in Townsville fährt Rob Taxi, Rob, der ein bisschen aussieht wie Jack Nicholson mit wenigen Zähnen und der 40 Jahre lang als Fischer zur See gefahren ist. Aber die Fischer, sagt Rob, hätten doch dem Riff nie geschadet, da seien sie nie wirklich nah rangekommen, meint der knapp 70-Jährige: Da wären uns doch sofort die Netze kaputt gegangen:

    "Ja, es gibt schon Probleme mit dem Riff, aber ob das nun von der Rohstoffindustrie oder von uns Fischern kommt? Das ist doch wohl eher einfach die Natur – das Riff ist weit draußen, weg von den Menschen."

    Morgan Pratchett ist Professor an der James Cook University in Townsville und einer der Korallenexperten. Seine Kinder sind noch klein, wie auf dem Foto auf seinem Schreibtisch gut zu erkennen ist, Morgan ist keine 40 Jahre alt. Aber er hat Erfahrung und war an dem Bericht über den Zustand des Great Barrier Reefs beteiligt, der vor Wochen für große Aufregung sorgte.

    "Die durchschnittliche Korallendecke auf dem Riff hat sich in den vergangenen 27 Jahren halbiert. Das ist das Ergebnis der umfangreichen Untersuchung. Das Riff selber ist heil, aber die Korallen verschwinden."

    Das Riff wird kahl, und dafür sind vor allem die Millionen Dornenkronen-Seesterne verantwortlich, die derzeit über die Korallen herfallen, ihren Magen über jede Koralle stülpen und diese ganz einfach verdauen. Ekelhafte Viecher seien das, sagt Morgan Pratchett, der als Taucher die Monster-Seesterne aus nächster Nähe kennt.

    "Die sehen oft wie Außerirdische aus, sie können sehr groß sein, sie haben viele, viele Arme und wenn man ihnen einen Arm abschlägt, dann wird daraus wieder ein neuer Seestern. Sie sind wirklich nicht schön."

    Dass sich diese Seesterne so vermehren, liegt am Dünger, der ins Meer rund um das Riff gelangt - Dünger von den Zuckerrohrfeldern in Queensland. Diesen Dünger liebt das Plankton. Das explosionsartig vermehrte Plankton wird von den Seestern-Larven gefressen, von denen kaum eine stirbt, am Ende gibt es dann Millionen ausgewachsene Seesterne, die sich über das Riff hermachen. Maßnahme eins muss nun sein, diese Seesterne zu bekämpfen, die derzeit das Great Barrier Reef kaputt fressen.

    David Wachenfeld leitet die Reef Marine Park Authority, auch in Townsville, und er hat einen Plan, der allerdings schwer umzusetzen sein dürfte:

    "Wir bereiten gerade in begrenztem Umfang vor, den Seesternen ein Sulfat zu spritzen, das sie tötet, aber für die sonstige Umwelt ungefährlich ist. Wir versuchen, die Technik so zu verbessern, dass wir das in größerem Umfang hinbekommen."

    Millionen Dornenkronen-Seesterne, und jeder soll seine Spritze bekommen, allzu Erfolg versprechend klingt das nicht! Also muss daran gearbeitet werden, den Düngereintrag ins Meer zu unterbinden. Das wissen Morgan Pratchett und David Wachenfeld in Townsville.

    "Unser Augenmerk liegt natürlich darauf, den Farmern zu vermitteln, dass sie nicht so viel Dünger verwenden dürfen, dass sie also ihre Methoden verbessern müssen. Das ist eine Win-win-Situation. Ganz offensichtlich ist es gut für das Riff, aber auch für die Farmer, für die es keinen Sinn macht, dass so viel teurer Dünger ins Meer gespült wird."

    Das weiß auch Russel Debeatsman in Mossman, einem 2000-Einwohner Städtchen in Queensland. Mossman ist ein wenig die Hauptstadt des Zuckerrohrs und daher nicht ganz das Ende der Welt, aber einen Eindruck davon, wie es da sein könnte, erhält man in Mossman schon. Russel repariert in Mossman die Fahrzeuge einer Zuckerrohrmühle – und kennt sich aus. Ja, sagt er, es ändert sich doch schon etwas beim Einsatz von Dünger auf den Feldern:

    "Das geschieht natürlich eher aus ökonomischen Gründen. Der Dünger wird immer teurer, also schauen alle nach Alternativen und nutzen wenig vom teuren Dünger. Eine Alternative sind beispielsweise die Rückstände der Zuckerrohrproduktion, die wir zum Düngen nutzen."

    Nicht weit entfernt von Mossman liegt Port Douglas. Hier starten die Touristenboote mit Schnorchlern und Tauchern an Bord zum Riff-Erlebnis, solange es das noch gibt.

    Auf einem dieser Boote arbeitet Amy Hadcock. Sie führt die Hobby-Taucher vorsichtig an das Riff und seine Schönheiten heran – und sie erzählt auch von den Gefahren. Den Dornenkronen-Seestern etwa kennt auch sie aus nächster Nähe:

    "Die sind wirklich gespenstisch, ganz in rote Fäden gehüllt. Sie sind nachtaktiv, so dass man häufig tagsüber keinen dieser Seesterne sieht. Und man will ja auch nicht in die Riffspalten greifen und dabei vielleicht noch eine Koralle abbrechen."

    Amy ist nicht nur Touristenführerin, Amy ist jede Woche mit einem Protokoll wichtiger Beobachtungen am Riff unterwegs, sie notiert die Zahl der Tiere, die sie innerhalb einer Stunde sieht, sie misst die Sicht unter Wasser und so weiter - ein kleines Stück Rettung des Riffs:

    "Das ist Teil der ganzen, wöchentlich aktualisierten Untersuchung. Wir schicken dann die Daten zur Marine Park Authority, zur Behörde, die das Riff verwaltet, dort wird dann immer der aktuelle Zustandsbericht erstellt."

    Richard Partridge kommt aus den USA, er ist begeisterter Taucher. Seine Tochter hat ihm den Trip zum Great Barrier Reef geschenkt. Denn hier war Richard, der erfahrene Taucher, noch nie. Entsprechend gespannt sitzt er mit anderen Unterwasser-Fans in der Kabine, in der das Briefing stattfindet. Also die Einführung in den Ablauf des Tauchgangs:

    "Ich hoffe, viele bunte Fische zu sehen und viele neue Erfahrungen zu machen, die ich in der Karibik, wo ich sonst immer getaucht bin, noch nicht gemacht habe."

    Rund sechs Milliarden australische Dollar erwirtschaftet das Great Barrier Reef jedes Jahr, rechnet man zusammen, was die Touristen in Queensland ausgeben und wer alles von ihnen lebt. Damit ist das Riff nicht weniger wichtig als das Rohstoffgeschäft, dem Australien zwar seinen derzeitigen Wohlstand verdankt , das aber das Riff zusätzlich und mittlerweile vor allem zukünftig gefährdet, wie etwa Larissa Waters meint, die Grünen-Politikerin aus Queensland:

    "Wir verdienen eigentlich viel Geld mit dem Riff, mit dem Tourismus, mit Fischfang, es muss also keinen Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie bestehen. Es besteht ein Konflikt zwischen den Interessen der Minengesellschaften und dem notwendigen Schutz des Riffs. Das Riff muss sich genügend Herausforderungen stellen, da braucht es nun nicht auch noch den Hafenausbau, das Baggern, und den Ausbau der Schifffahrtsrouten durch das Riff zu Autobahnen."

    Georgina Wood ist Aktivistin bei Greenpeace Australia. Sie plant und leitet die Kampagnen, mit denen Greenpeace den Erhalt des Great Barrier Reefs unterstützen will:

    "Wenn Sie in Queensland herumfragen, dann treffen Sie immer mehr Menschen, die sagen, dass die Dinge aus dem Gleichgewicht sind. Der Abbau von Kohle kann keine Perspektive mehr sein, denn man kann Kohle nicht ohne Klimawandel haben und der Klimawandel ist auch für das Riff hier die auf lange Sicht größte Gefahr."

    Greenpeace hat sich in Sydney einen Betonkasten, fast einen Bunker als Standort ausgesucht, ganz in der Nähe des Geschäftsviertels. In das Büro von Georgina kommt man nur mittels eines dunklen Lastenfahrstuhls - nichts für Menschen, die unter Platzangst leiden. Ja, sagt Georgina und stimmt darin, wenig überraschend, der Grünen Larissa Waters zu, das Riff stehe unter Druck. Der Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie, den viele am Riff symbolisiert sehen, sei so eindeutig aber nicht:

    "Das ist eine schwierige und komplexe Geschichte. Australiens rohstoff- und ressourcengestützte Wirtschaft ist natürlich von den Bergwerken abhängig. Aber gleichzeitig wird viel mit dem Tourismus verdient. Der Erfolg der Minen treibt den australischen Dollar in die Höhe, was wiederum den Tourismus erschwert. Insgesamt bestimmen die Rohstoffunternehmen die Landschaft, symbolisch die politische Landschaft und auch ganz konkret die Umwelt."

    Georgina Wood lebt ihre Aufgabe. Nein, sagt sie, privat, also praktisch im Urlaub, sei sie noch nie am Great Barrier Reef gewesen. Dafür habe sie keine Zeit. Und es seien ja genug Reisende und Bewunderer des Riffs da:

    "Die Menschen hier lieben und schätzen das Great Barrier Reef, unser Weltnaturerbe. Viele Reisende aus aller Welt kommen hierher, um das Riff zu sehen. Der Konflikt um den Erhalt des Riffs und den Ausbau der Minenindustrie muss gelöst werden."

    Große Hafenprojekte etwa bei Gladstone an der Küste von Queensland sind geplant und auch schon genehmigt. Stündlich wird dann ein Schiff dort unterwegs sein und durch das Riff steuern. Solange alles gut geht, ist das kein Problem. Aber eben nur, solange alles gut geht.

    Im Hotel Jupiters in Surfers Paradise, einem Ort an der Goldcoast, einem von Touristen frequentierten Küstenabschnitt in Queensland, ist die Zahl kräftiger, vielfach tätowierter Männer in mittleren Jahren plötzlich drastisch angestiegen.

    Im Jupiters ist Gewerkschaftskongress. Mehrere hundert Mitglieder der Minenarbeitergewerkschaft aus Queensland sind gekommen, viele drängen sich beim Bier an der Bar. Ab morgen wird diskutiert, über Löhne, Zulagen und ein bisschen auch über nachhaltige, zukunftsfähige Strategien der Bergwerkunternehmen. Heute aber wird erst mal gefeiert – Wiedersehen oder irgendetwas anderes. Mit dem Great Barrier Reef haben viele nicht so viel zu tun, sie arbeiten im Outback, im Hinterland, wie es hier auch heißt. Mitch etwa, noch jung, Mitte dreißig, hat mit Wasser nichts am Hut:

    "Da sind eine Menge Gesellen unterwegs, die schneller sind als ich. Denen gehe ich lieber aus dem Weg. Ich vermeide es eher, ins Wasser zu gehen, ich bin auch nicht so oft an der Küste."

    Ja, einen Ausgleich zwischen Great Barrier Reef und den Interessen der Industrie, das müsste man schon hinbekommen, meint Mitch. Und das meint auch Greg, der mindestens zehn Jahre älter ist, 50 Kilo schwerer und der das Gespräch auch buchstäblich mit einem Handstreich beenden könnte.

    "Man muss die technischen Möglichkeiten nutzen und man muss es wollen. Die Unternehmen dürfen eben nicht den ganzen Profit einstecken, sondern sie müssen ihn investieren. Da geht es ja auch um die Lebensumstände der Arbeiter."

    Und dann wird Greg doch noch einmal grundsätzlich. Man dürfe das mit der Umwelt natürlich nicht zu einseitig sehen, meint er:

    "Man muss das Ganze sehen und nicht nur an die Umwelt denken. Es geht auch um die Frage, wie wir leben können. Wenn es keine Kohletransporte durch das Riff mehr geben darf, wollen wir dann alle mit einer Kerze im Zelt sitzen?"

    Stephen Smyth, Bezirksvorsitzender der Gewerkschaft, sitzt derweil in einem kleinen, ruhigen Hinterzimmer und nimmt sich Zeit für seine Antworten. Natürlich, sagt Stephen, wisse er um die Sorgen um das Überleben des Great Barrier Reefs. Ein Problem seien die vielen Schiffe, die natürlich von den geplanten, neuen Häfen angezogen würden:

    "Der Rohstoff-Boom übt ganz offensichtlich Druck auf das Riff aus, gerade durch den neuen Hafen in Gladstone etwa. Da gibt es Risiken, die gemanagt werden müssen. Und das muss so geschehen, dass die Interessen der Rohstoffindustrie und die des Riffs Hand in Hand gehen, also beide zu ihrem Recht kommen. Manche werden sagen, das ist doch verrückt, wie soll das gehen? Auf jeden Fall muss der Schwerpunkt darauf liegen, das Risiko von Schiffsunfällen im Riff zu minimieren."

    Morgan Pratchett, der Korallenexperte aus Townsville, will sich mit den Minenarbeitern nicht direkt anlegen. Das Verhältnis ist sowieso nicht sonderlich gut. Die Jobs seien natürlich wichtig, sagt er, aber die geradezu dramatische Zunahme des Schiffsverkehrs stelle eine zu große Gefahr dar, die eben nicht sicher zu managen sei.

    "Das Problem ist die Aussicht, dass es in den kommenden Jahren einen Ausbau der Hafeninfrastruktur an der Küste Queenslands geben wird. Die Zahl der Schiffe, die durch das Great Barrier Reef fahren, soll sich, so die Annahme, bis zum Jahr 2030 verdoppeln. Und damit nimmt das Risiko von Schiffsunfällen zu und ganz allgemein die Lärmbelästigung für viele sehr empfindliche Korallenfische."

    Richard Kenchington, der UNESCO-Berater, der sich wie viele andere große Sorgen um das Riff macht, verweist auf die Historie – ein wenig zur Beruhigung. Die Schifffahrt rund um das Riff habe seit der Besiedelung durch die Briten immer eine große Rolle gespielt, weiß er:

    "Die Schifffahrt war schon immer wichtig. Als James Cook im 17. Jahrhundert nach Australien kam, da suchte er nach Siedlungsräumen und er sah sich mit seinem Schiff vor der großen Barriere, die nicht leicht zu überwinden war. Ein riesiges Labyrinth von Korallen, so hat er es damals genannt. Die Schifffahrt war für die Menschen in Queensland immer überlebenswichtig, auch für den Export ihrer Waren."

    Jetzt aber, so der Biologe, komme es darauf an, dass nicht schon beim Ausbau der Häfen alles kaputtgehe. Größere Schiffe brauchen tiefere Fahrrinnen, die ausgebaggert werden müssen, da wird dann es gefährlich. So sieht es auch Korallenexperte Pratchett. Allein der Auf- und Ausbau der Häfen, das Ausbaggern, werde dem Riff massiv schaden, sagt er:

    "Es wird eine Menge Störungen geben, das Riff wird stark unter Druck kommen. Wenn alles wie geplant stattfindet, dann können wir uns schon bald von einem weiteren großen Teil des Riffs verabschieden."

    Das Great Barrier Reef - alle in Australien beteuern, es zu lieben und zu schätzen – die Zukunft dieses unvergleichlichen Stücks Natur ist jedoch weiter unsicher und wird es wohl noch lange bleiben. Wegen der neuen Häfen, der Stürme, am Ende allein schon wegen des Dornenkronen-Seesterns.