Das Kunming-Montreal-Abkommen, oder auch Weltnaturvertrag genannt, auf den sich die rund 200 teilnehmenden Staaten des 15. Weltnaturgipfels (COP15) am 19. Dezember 2022 in Montreal verständigten, formuliert 23 Ziele. Sie ersetzen die Aichi-Biodiversitätsziele aus dem Jahr 2010, die als Richtschnur für den Schutz der Artenvielfalt bis 2020 dienen sollten. Keines dieser Ziele wurde erreicht. Auch beim nun geschlossenen Abkommen wird es darauf ankommen, ob und wie auf nationaler Ebene die ehrgeizigen Vorgaben umgesetzt werden, so die einhellige Meinung vieler Experten.
Der 15. Weltnaturgipfel hätte ursprünglich schon 2020 in China stattfinden sollen, wurde aber wegen der anhaltenden angespannten Coronalage dort verschoben und aufgeteilt. Der erste Verhandlungsteil fand im Oktober 2021 organisiert aus der chinesischen Stadt Kunming überwiegend online statt, der zweite nun im Dezember in der ostkanadischen Metropole Montreal.
- Was wurde auf der Weltnaturkonferenz beschlossen?
- Was bedeutet das „30/30-Ziel“?
- Was bedeutet die Vereinbarung für Deutschland?
- Welche Ziele setzt der Weltnaturvertrag wirtschaftlich?
- Wie sieht die Finanzierung aus?
- Welche Lösung wurde im Streit um DSI gefunden?
- Wie wird der Weltnaturvertrag beurteilt?
Was wurde auf der Weltnaturkonferenz beschlossen?
Der jetzt verabschiedete Kunming-Montreal-Weltnaturvertrag beinhaltet Visionen für das Jahr 2050 - wie die weltweit nachhaltige Bewirtschaftung der Natur ohne Raubbau - und 23 sehr konkrete Kurzzeitziele für das Jahr 2030. Darunter ist das salopp formulierte „30/30-Ziel“: Bis zum Jahr 2030 sollen fast ein Drittel der Land- und Meeresfläche geschützt sein. "30/30" ist eine Art Leuchtturm im Weltnaturvertrag: Es soll – so die Hoffnung – eine ähnliche Symbolkraft wie das 1,5-Grad-Ziel im internationalen Klimaschutz erreichen.
Weitere Ziele sind unter anderem:
- 30 Prozent der bereits degradierten Ökosysteme müssen bis 2030 wieder in einen naturnahen Zustand versetzt werden
- die deutliche Reduzierung von Umweltverschmutzung aus allen Quellen (unter anderem Plastik, Pestizide und besonders schädliche Chemikalien, Düngemittel) und die damit verbundenen Risiken
- die Anerkennung indigener Wald- und Landbewirtschaftung als nachweislich biodiversitätsfördernd
- der Abbau umweltschädlicher Subventionen in Höhe von 500 Milliarden Dollar pro Jahr
- die Forderung, die Einfuhr invasiver Tier- und Pflanzenarten in Naturräumen zu vermeiden, weil diese heimische Arten verdrängen bzw. zu deren Aussterben beitragen – eine Bedrohung insbesondere auf Inseln. Beispiel Australien: Die von den Europäern eingeführten Füchse und Katzen sind dort die schlimmsten Feinde der kleineren Beuteltiere
Was bedeutet das „30/30-Ziel“?
Bis zum Jahr 2030 soll global fast ein Drittel der Landflächen und ihrer Süßwasserressourcen sowie fast ein Drittel der Meeresflächen und Küsten geschützt sein. Absehbar ist, dass ein Großteil der geschützten Gebiete im Globalen Süden liegen wird, weil dort die artenreichsten Ökosysteme wie zum Beispiel die Regenwälder zu finden sind. Sie liegen häufig in den Territorien indigener Völker. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass die von indigenen gemanagten Schutzgebiete oft in einem besseren Zustand sind als andere. Unter anderem deshalb stärkt der Weltnaturvertrag die Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinden so stark, wie es noch nie in einem völkerrechtlichen Dokument geschehen ist.
Das sogenannte 30/30-Ziel ist mit Zahlen und damit klaren Indikatoren hinterlegt. Es sind Berichtspflichten und regelmäßige Überprüfungen vereinbart worden, auch Mechanismen, um dieses Ziel zu verschärfen. Deshalb zeigen sich Umweltverbände hier sehr zufrieden. Unklar formuliert bleibt die Frage, wie streng der Schutzstatus sein soll. Bundesumweltministerin Steffi Lemke geht von abgestuften Nutzungskategorien aus. Die gibt es heutzutage bereits in Biosphärenreservaten. In Meeresgebieten befürworten Lemke und viele Wissenschaftler, die Nutzung zeitweise auf Null zu stellen, weil dies den Fischbeständen sehr wirkungsvoll die Möglichkeit einräumt, sich zu erholen.
Elisabeth Mrema, Chefin der UN-Biodiversitätskonvention betont zudem: Auch auf den restlichen 70 Prozent nicht „geschützter“ Flächen muss viel nachhaltiger als heute gewirtschaftet werden. Aus wissenschaftlicher Sicht sind die 30 Prozent intakte Natur jeweils an Land und im Meer auch aufgrund der Klimaerwärmung unverzichtbar. Über die Hälfte der menschengemachten Treibhausgase der letzten zehn Jahre wurden von Landökosystemen und den Meeren absorbiert und hatten damit keinen zusätzlichen erwärmenden Effekt auf unseren Alltag.
Was bedeutet die Vereinbarung für Deutschland?
Der Weltnaturvertrag bedeutet für Deutschland vor allem nachschärfen. Rein in Zahlen ist in Deutschland das 30-Prozent-Schutzziel an Land erreicht. Allerdings schützen Naturparks und Landschaftsschutzgebiete oft gerade einmal das Landschaftsbild, aber nicht die Artenvielfalt oder Ökosysteme. Denn es gibt dort insbesondere für Landwirte fast keine Nutzungsauflagen. Pestizideinsatz ist sogar am Nationalpark erlaubt. Auch beim Abbau klima- und naturschädlicher Subventionen könnte Deutschland Enormes leisten. Da geht es nicht nur um die Neuausrichtung der Agrarsubventionen. Der Straßenverkehr wird mit Pendlerpauschale und Steuervorteilen für Verbrenner-Fahrzeuge gefördert. Stickstoffverbindungen aus Autoabgasen fallen auf Felder, Gewässer und Meere nieder und tragen ebenso wie zu viel Düngereinsatz auf dem Acker zu einer Eutrophierung von Gewässern bei.
Welche Ziele setzt der Weltnaturvertrag wirtschaftlich?
Biodiversitätsverlust ist das notorisch unterschätzte Wirtschaftsthema. Über 50 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes hängt direkt oder indirekt von funktionierenden Ökosystemen beziehungsweise deren Ökosystemleistungen ab. Wenn der Regenwald in Westafrika verschwindet, ändern sich Pflanzengemeinschaften, Regenfälle und damit auch die Produktionsbedingungen für begehrte Güter wie Kaffee oder Kakao. Langfristig planende Investoren fragen sich, wie es um ihre Geldanlage im Nahrungsmittelbereich in 40 Jahren aussieht. Nicht gut, wenn die Klimaerwärmung und der Artenverlust fortschreiten.
Nie waren so viele Investoren, Chemieunternehmen und Düngemittelkonzerne auf einer Weltnaturkonferenz präsent wie diesmal. Ziel 15 des Weltnaturvertrages wendet sich direkt an die Wirtschaft. Eine Pflicht, ihr Risikomanagement in Bezug auf die Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Natur darzustellen, sieht der Weltnaturvertrag nicht vor – obwohl dies ein weltweites Bündnis gefordert hatte. Allerdings sitzen die USA nicht direkt mit am Tisch, weil die Regierung die UN-Biodiversitätskonvention unterschrieben hat. US-Präsident Biden hat jedoch eine starke Unterstützung seiner Regierung für die Inhalte des Weltnaturvertrags bekräftigt. Niemand hindert Regierungen daran, auf nationaler Ebene biodiversitätsbezogene Berichtspflichten für Unternehmen zu erlassen. Grundsätzlich seien aber die Zielformulierungen, die die Geldflüsse der Finanzsektoren in Richtung Biodiversitätsschutz lenken sollen, gut formuliert, lobt Florian Titze vom WWF.
Wie sieht die Finanzierung aus?
Alle Länder sollen eigene Ressourcen mobilisieren (umweltschädliche Subventionen werden fast überall gezahlt) und vor allem diejenigen, die im Wesentlichen aufgrund ihres Überkonsums für die Zerstörung der Ökosysteme verantwortlich sind: die reichen Industrieländer. Rund 700 Milliarden Dollar pro Jahr wären eigentlich weltweit für den Schutz von Ökosystemen und Arten notwendig. Das ist gar nicht so viel, wenn man berücksichtigt, dass die Regierungen pro Jahr 500 Milliarden Dollar an naturschädlichen Subventionen (unter anderem im Agrarbereich) auch positiv umleiten könnten. Deshalb steht als Betrag im Weltnaturvertrag die Summe 200 Milliarden Dollar, die dann aber neben der tansanischen Savanne auch die Moorrenaturierung in Mecklenburg-Vorpommern umfasst. Für den Schnellstart auf internationaler Ebene haben die reichen Länder unter anderem andere Geber ab 2025 rund 20 Milliarden und ab 2030 rund 30 Milliarden Dollar jährlich versprochen.
Welche Lösung wurde im Streit um DSI gefunden?
Die UN-Biodiversitätskonvention besagt, dass Tiere, Pflanzen und ihre genetischen Ressourcen sowie das Wissen um deren Eigenschaften und Nutzungsmöglichkeiten den jeweiligen Herkunftsländern gehören. Allerdings gilt auch das Nagoya-Protokoll der UN-Biodiversitätskonvention, welches einen völkerrechtlichen Rahmen für den Zugang zu genetischen Ressourcen und gerechten Vorteilsausgleich regelt. Der Chef der Weltnaturunion, Bruno Oberle, erklärt das Prinzip wie folgt: "Wir lassen euch rein in unser Land. Ihr könnt die Spezies bekommen, ihr könnt sie benutzen, aber wir wollen die vertragliche Garantie, dass das, was ihr daraus macht, der Profit, der daraus entsteht, mit uns geteilt wird.“
In Montreal wurde nun darum gestritten, ob die Digitale Sequenzinformationen zu genetischen Ressourcen (DSI) automatisch auch unter das Nagoya-Protokoll fällt oder ob es keinen Bezug gibt – womit auch die Pflicht zum Vorteilsausgleich womöglich weggefallen wäre. Gleichzeitig plädierten Wissenschaftler aus aller Welt eindringlich dafür, im Interesse von Forschung und Entwicklung den Zugang zu den genetischen Informationen offen zu halten. Die Lösung soll jetzt ein noch aufzusetzender neuer Fonds sein, in den Nutzer einen Gewinnausgleich einzahlen. Je mehr DSI-Daten eines Landes dort eingestellt würden, desto höher könnte dann der Anteil dieses Landes an den Auszahlungen des Fonds ausfallen. Mit dieser Lösung wäre die Hoffnung verbunden, langfristig eine sichere Finanzierungsquelle für den Schutz und Wiederstellung von Biodiversität zu etablieren.
Wie wird der Weltnaturvertrag beurteilt?
Viele Experten schätzen die gesetzten Ziele im Abkommen als ehrgeizig und gut ein, verweisen aber zugleich darauf, dass es nun auf die Umsetzung ankomme. So wertet auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) das geschlossene Abkommen als Erfolg. Für sie sei eines der wichtigsten Verhandlungsziele gewesen, klare Ziele auch mit Zahlen festzulegen. Die Schwierigkeit und die Hausaufgabe der Nationalstaaten sei es nun, die vereinbarten Ziele umzusetzen.
Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, zeigte sich positiv überrascht vom Konferenzergebnis, da sich dies bei Vorbereitungstreffen nicht abgezeichnet habe. So habe zum Beispiel das Abkommen das Potenzial, die Entwaldung zu stoppen, aber auch hier komme es nun auf die nationale Ebene an. Außerdem betonte er, dass derzeit nicht nur eine Verbesserung des Zustandes als Ziel angestrebt werden. Er ist überzeugt, dass es neben einer „grundsätzlichen Transformationen in unseren Lebensweisen“ zudem eine andere Wirtschaftsordnung benötigt werde, in der die Verschmutzung der Umwelt mit eingerechnet werde.
Enttäuscht reagierten Umweltverbände auf das zehnte Ziel des Abkommens, in dem der Druck für einen Wechsel zu einer biodiversitätsfreundlichen Landwirtschaft deutlich abgeschwächt wurde. Dabei dürften wesentliche Interessen der großen Agrarexporteurländer wie Brasilien, Argentinien, Australien, USA - aber auch in Teilen der EU - eine Rolle gespielt haben. Nach Ansicht von Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbundes NABU, hinterfragt der Weltnaturvertrag die herrschenden Produktions- und Konsummuster nicht ausreichend. Diese seien jedoch die Ursache der Natur- und Klimakrise.
Das Global Youth Biodiversity Network (GYBN) begleitete auf Einladung der UN und der teilnehmenden Regierungen den Prozess zu einem Weltnaturvertrag. Beim GYBN handelt es sich um ein internationales Netzwerk von Jugendorganisationen und Einzelpersonen, deren gemeinsames Ziel es ist, den Verlust der Artenvielfalt zu verhindern. Josefa Tauli vom Netzwerk lobte den neuen Weltnaturvertrag: Er fördere die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und Generationen, stärke das Recht der Jüngeren mitzuentscheiden. Er mache die Achtung der Menschenrechte und Respekt vor indigenen Völkern zur Grundlage von Entscheidungen.
Allerdings enthalte er noch eine ganze Reihe Elemente, die Arten und Natur weiter gefährdeten. Dazu zählt ihre Mitstreiterin Mirna Fernandez die vorgesehenen Kompensationskonzepte nach dem Motto: „Man zerstört Natur hier und kann dies durch Pflege von Natur an anderer Stelle ausgleichen“. Das seien veraltete Konzepte aus den 1970er-Jahren und nichts, um die Zukunft zu sichern.