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Weltpoliotag
Ukraine droht Kinderlähmungs-Epidemie

Neugeborene in der Ukraine werden immer seltener gegen Polio geimpft; zwei akute Fälle sind bereits aufgetreten. Patientenschützer machen Misswirtschaft und Korruption in der Gesundheitsbürokratie verantwortlich. Der aus Georgien stammende Gesundheitsminister gilt zwar als guter Experte, aber als administrativer Totalausfall.

Von Jan Pallokat |
    Ein Junge bekommt eine Polio-Impfstoff in einer Klinik in Kiew (Ukraine)
    Ein Junge bekommt eine Polio-Impfstoff in einer Klinik in Kiew (Ukraine) (picture-alliance/dpa/epa/Roman Pilipey)
    Angeblich haben letzte Woche nun doch Massenimpfungen in der Ukraine begonnen, in einer ersten Impfrunde sollen knapp drei Millionen Kleinkinder und Säuglinge gegen Polio immunisiert werden, informiert das UN-Kinderhilfswerk UNICEF. Allein, einigen fehlt aus Erfahrung der Glaube – zum Beispiel Olga Stefanischina von der Kiewer Nicht-Regierungsorganisation "Patienten der Ukraine". Schließlich sind die Impfdosen, kofinanziert von Kanada, bereits seit dem Frühling im Land – nur geimpft wurde monatelange niemand damit.
    "Seit Mai sind die Impfstoffe in der Ukraine. Inzwischen haben wir Oktober. Soweit ich höre und lese, haben die Schluckimpfungen letzte Woche begonnen, aber ich bin mir nicht sicher, ehrlich gesagt, und ich bekomme immer noch Emails von Müttern, die beklagen, dass bei Ihnen immer noch kein Impfstoff zu erhalten sei."
    Kinderlähmung in Europa eigentlich ausgerottet
    Schon länger warnen Experten angesichts niedriger Impfraten in der Ukraine vor einem Ausbruch der in Europa eigentlich ausgerotteten Erkrankung, die schwere Schädigungen auslösen kann und oft tödlich endet. Der Krieg in der Ost-Ukraine, das Durcheinander der Revolution und angebliche Geldnot im Ministerium führte dann zuletzt dazu, dass praktisch überhaupt keine Impfstoffe mehr im staatlichen, eigentlich kostenlosen Gesundheitssystem mehr aufzufinden waren, sehr wohl aber in privaten Kliniken, wie Patienten-Fürsprecherin Stefanischina weiß.
    "Ich bin selbst Mutter. Und ich habe meine Kinder privat impfen lassen. Aber das kostet relativ viel Geld. Und die Menschen auf dem Land haben das nicht, denn es beträgt die Hälfte ihres monatlichen Gehalts."
    Die Impfquote sank so in diesem Jahr bei Neugeborenen auf zuletzt nur noch 14 Prozent, so Unicef, nach auch nur noch 50 Prozent im Vorjahr. Und so kam es, wie es kommen musste: Anfang September wurden zwei Polio-Ausbrüche in den Karpaten in der West-Ukraine aktenkundig, zu denen es bereits im Frühsommer gekommen war. Doch während internationale Regeln dann eine Massenimpfung binnen zwei Wochen vorsehen, tat sich in der Ukraine weiterhin nichts, blieben Genehmigungen und entsprechende Schritte aus, ob aus Unfähigkeit oder weil sich Gesundheitsbürokraten den lukrativen Schwarzhandel mit Impfstoffen nicht kaputt machen wollten, ist nicht ganz klar. Der öffentliche Gesundheitssektor in der Ukraine ist schwer krank; die unbestrittene Diagnose laut hemmungslose Korruption. Oftmals gibt es Behandlungen in den staatlichen Krankenhäusern nur gegen Bares, teure Medikamente und Impfstoffe verschwinden. Der Gesundheitsminister, aus Georgien als Reformer ins Land geholt, gab sich nach einigen Monaten geschlagen und reichte seinen Rücktritt ein, den das Parlament ihm aber verweigerte, nun macht er irgendwie weiter. Er kämpft dabei an zwei Fronten gleichzeitig: gegen Korruption und Misswirtschaft im System, aber auch gegen das Misstrauen der Patienten dagegen, etwa auch gegen staatliche Impfprogramme. Berichte, die Polio-Impfstoffe seien falsch gelagert und zweifach eingefroren worden, sabotieren nun auch das angelaufene Polio-Impfprogramm und irritieren Eltern. Minister Kwitaschwili sah sich gezwungen, zu beteuern:
    Zwei akut gemeldete Fälle
    "Dieser Impfstoff ist von höchster Qualität. Ich bin sogar bereit, meinen eigenen Sohn vor den Kameras impfen zu lassen, um zu zeigen, dass alles in Ordnung ist."
    Vor diesem Hintergrund nennen es Gesundheitsexperten ein großes Glück, dass es bislang bei den zwei akuten gemeldeten Fällen geblieben es, die beiden Kinder, ein Vierjähriger und ein Baby von zehn Monaten, sollen wieder gesund sein. Allerdings wird davon ausgegangen, dass mehrere hundert Kinder den aktivierten Virus in sich tragen. Denn die wilde Variante der Kinderlähmung bleibt auch in der Ukraine ausgerottet. Bei den fraglichen Fällen handelte es sich um ungeimpfte Kinder, die sich an Ausscheidungen von Impfstoffen angesteckt haben dürften, die unter Umständen wieder aktiv werden können. Deswegen gilt ein umfassender Impfschutz von so vielen Kindern wie nur möglich, wie er in den EU-Staaten durchgesetzt ist, als so wichtig.