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Weltraumschrott
Satellit soll Müllabfuhr im All spielen

Im Erdorbit wird es immer enger: Mehr als 1.800 aktive Satelliten kreisen derzeit um die Erde – Tendenz steigend. Und das, obwohl Weltraumschrott schon heute eines der drängendsten Probleme der Raumfahrt geworden ist. Unter anderem soll nun ein fliegendes Fangnetz für Abhilfe sorgen.

Von Karl Urban |
    Der Satellit RemoveDebris soll Weltraumschrott einfangen
    Der Satellit RemoveDebris soll Weltraumschrott einfangen (Airbus)
    Ende September driftet ein winziger Satellit scheinbar hilflos durchs All und rotiert dabei extrem schnell um seine Achse. Doch dann schiebt sich ein Ungetüm ins Bild, ein Netz in Form eines sechsstrahligen Sternes, der sich innerhalb einer Sekunde auseinanderfaltet und auf den taumelnden Winzling zufliegt. Der kleine Satellit verfängt sich wie eine zappelnde Fliege in einem Spinnennetz, das ihn fest einschließt; er hört auf zu rotieren und ist gefangen.
    "Wir haben das schon mal innerhalb der Station ausprobiert gehabt, aber das draußen jetzt das erste Mal so zu machen, das ist schon eine Herausforderung", sagt Oliver Juckenhöfel. Er leitet den Airbus-Standort in Bremen. Dort wurde der Satellit RemoveDebris gebaut, der das Netz im Orbit ausgeworfen hat. RemoveDebris ist eine komplexe Testmission, mit der Forscher und Firmen aus verschiedenen europäischen Ländern das Einfangen von Weltraumschrott erproben wollen. Der taumelnde Kleinsatellit war allerdings noch kein echter Weltraummüll. Ihn hatte RemoveDebris zuvor selbst ausgesetzt.
    Jagd auf ausgediente Satelliten
    Oliver Juckenhöfel: "Ob das eine Serienreife erlangen wird und ob man auf diese Art und Weise in Zukunft den Weltraummüll dort oben entsorgen kann, das muss man noch sehen. Wir überprüfen verschiedene Technologien, die möglich wären."
    Mit an Bord befinden sich auch ein Segel, um Satelliten am Ende ihrer Lebenszeit abzusenken, damit sie schneller verglühen, und eine Harpune. Die soll Anfang 2019 testweise auf eine ausgefahrene Zielscheibe geschossen werden.
    "Mit der Harpune könnte man zum Beispiel größere, sich drehende Gegenstände, nicht einfangen, sondern... auch nicht abschießen, sondern... sichern, also mit einer Leine sichern. Das ist beinahe so ähnlich wie beim Walfang damals", erläutert Oliver Juckenhöfel.
    Das Foto zeigt ein Standbild aus dem Video, in dem der Satellit erfolgreich mit einem Netz ein Probestück Weltraummülle einfängt.
    Das Foto zeigt ein Standbild aus dem Video, in dem der Satellit erfolgreich mit einem Netz ein Probestück Weltraummülle einfängt. (Screenshot Youtube Surrey Nanosats SSC Mission Delivery Team )
    Es wird eng im Orbit
    Nicht nur bei den Begrifflichkeiten betreten erfahrene Raumfahrtingenieure wie Oliver Juckenhöfel Neuland. Doch führt wohl kein Weg an solchen waghalsigen Versuchen vorbei: Riesige Schwärme von Satelliten sollen in den nächsten Jahren in den Erdorbit geschickt werden, um beispielsweise global einen Zugang zum Internet zu ermöglichen.
    Das sorgt Holger Krag, der das Büro für Raumfahrtrückstände bei der Europäischen Raumfahrtagentur leitet: "Wenn man diese Pläne zusammenzählt, dann sind das 7000 bis 8000 Satelliten. Das entspricht ungefähr dem, was die gesamte Menschheit in der Geschichte der Raumfahrt bisher gestartet hat. Das wird jetzt in wenigen Jahren gestartet, unter Konkurrenzdruck und natürlich dementsprechend mit Kostendruck."
    Viele dieser Satelliten dürften auf recht hohe Bahnen starten, von denen der Weltraummüll wegen fehlender Luftreibung nicht von selbst absinken und verglühen kann. Wenn die Betreiber ihre Satelliten also nicht gezielt in die Erdatmosphäre beschleunigen, kurz bevor ihr Treibstoff verbraucht ist, dürfte der Bedarf für Aufräumsatelliten zunehmen. Doch das wird teuer: Allein die Testmission RemoveDebris kostet fünf Millionen Euro und wird von der Europäischen Union bezahlt.
    Ein Weltraumgesetz könnte Kosten gerecht verteilen
    Oliver Juckenhöfel: "Wir bei Airbus probieren es auch aus, nicht nur, weil wir sehr sehr viele Satelliten starten und deswegen glauben, dass wir die Verantwortung haben, uns auch darum zu kümmern. Sondern weil wir durchaus auch sehen, dass sich aus dieser Notwendigkeit heraus auch neue Geschäftsfelder ergeben können."
    Derzeit arbeiten die Regierungen vieler Raumfahrt betreibender Staaten inklusive Deutschland an neuen Weltraumgesetzen, um auch kommerzielle Anbieter zur Müllbeseitigung zu verpflichten. Dennoch dürften die Regierungen selbst wohl den Löwenanteil des Großreinemachens im All bezahlen: Denn einen großen Teil des aktuellen Weltraumschrotts haben staatliche Raumfahrtagenturen hinterlassen.