"Ich hab am letzten Freitag die Milchstraße mit bloßem Auge gesehen, was man, wenn man hier in Heidelberg ist, relativ selten tut."
Ausgerechnet Heidelberg ist Sitz des Astronomischen Recheninstituts, wo Forscher wie Stefan Jordan Sterne vermessen, wenn auch nicht direkt aus der Stadt: Ihr Instrument ist das Weltraumteleskop Gaia. Und das kreist 1,5 Millionen Kilometer über der Erde am Lagrangepunkt-2, wo es fern vom Erdschatten in gleichmäßiger Kühle arbeiten kann. Seit zwei Jahren ist Gaia im All, um eine Milliarde Sterne der Milchstraße zu vermessen.
"Tatsächlich es so, dass wir nun sehr nahe daran sind, einen Katalog mit den Gaia-Sternen zu produzieren. Und einen ersten Blick habe ich auf die Gaia-Sterne schon geworfen."
Allein der Weg zu diesem ersten Teil Sternenkatalogs war eine schweißtreibende Angelegenheit für Astrophysiker und Ingenieure. Denn Gaia vermisst die Position aller für das Teleskop erkennbaren Lichtpunkte am Himmel, dazu ihre Entfernung, Temperatur, Zusammensetzung und Masse. Die dafür Mitte der neunziger Jahre gewählte Interferometrie erwies sich bald als zu ungenau: Dabei sollten die Lichtwellen der Sterne aus mehreren Einzelteleskopen überlagert werden.
Nur zwei Teleskope und Gaia wackelt leicht
Gaia besitzt nun lediglich zwei Teleskope und dazu die genauste Digitalkamera, die jemals ins All gestartet ist. Und die lichtet eine Milliarde Sterne einmal pro Monat ab, wieder und wieder und das mindestens fünf Jahre lang. Dabei dürfen die Forscher keinesfalls einzelne Sterne verwechseln. Sie müssen ständig wissen, wohin das Teleskop blickt. Und es stellte sich ein weiteres Problem ein - Gaia wackelt ganz leicht.
"Man hat gedacht, dass Mikrometeoriten in viel größerer Zahl auf Gaia einschlagen und dadurch die Drehung von Gaia beeinflussen. Man hat inzwischen festgestellt, dass diese kleinen Verschiebungen, die wir in den Daten sehen, daher kommen, dass da kleine thermische Instabilitäten eine Rolle spielen."
Noch eine weitere Hürde mussten die Physiker nehmen: Das Licht unserer Sonne darf die Messungen keinesfalls stören. Dafür kreist Gaia als viereinhalb Meter langer Zylinders durchs All – mit einer über zehn Meter breiten Krempe, die jedes noch so schwache Streulicht von den Teleskopen fernhalten soll.
Das Streulicht Problem
Allerdings stehen versehentlich feine Glasfasern aus der Krempe hervor und streuen ungewollt ein wenig Licht zu den beiden Teleskopen.
"Das Streulicht-Problem ist inzwischen besser verstanden, aber es ist auch nicht wegzubekommen. Das ist einfach da. Damit müssen wir leben. Und das ist eines der Dinge, das die Datenauswertung am Ende auch komplizieren wird."
Die Forscher glauben Gaia in den vergangenen zwei Jahren ausreichend verstanden zu haben, um sicher sagen zu können: Der Sternenkatalog kann kommen. Bis es so weit ist, müssen die Physiker ihre Daten allerdings noch verarbeiten. Denn aus den scheinbar chaotisch tanzenden Lichtpünktchen entsteht im Rechner die Bewegung einer ganzen Galaxie: Unsere Milchstraße, die um ihr Zentrum rotiert. Und das zu berechnen, dauert.
"Wenn man für jeden Stern nur eine Sekunde brauchen würde, würden wir erst in 30 Jahren fertig werden."
Astronomische Überraschungen?
Zwar geht es im Zeitalter von Supercomputern deutlich schneller: Aber die Rechner werden wohl etwas länger als die geplanten sechs Jahre brauchen, um auch den Effekt des Streulichts und der thermischen Spannungen herauszurechnen. Schon im nächsten Sommer sollen immerhin die Daten von 2,5 Millionen Sternen veröffentlicht werden, gut zwei Tausendstel des geplanten Gesamtkatalogs.
Ob darin auch schon astronomische Überraschungen wie neue Asteroiden und Exoplaneten schlummern, kann aber selbst Stefan Jordan noch nicht sagen. Denn dem Missionsteam ist es bis zur Veröffentlichung streng verboten, den Katalog wissenschaftlich auszuwerten. Die Forschungsarbeit mit Gaias Daten kann also erst in Kürze beginnen.