Uli Blumenthal: Normale Verkehrsflugzeuge fliegen in rund 10 Kilometer Höhe. Das ist an der Grenze der Troposphäre, die untere Atmosphärenschicht, in der sich unser Wetter abspielt. Darüber beginnt die Stratosphäre, und nur selten steigen Flugzeuge bis dort hinauf.
In der vergangenen Woche kamen allerdings beeindruckende Meldungen aus Argentinien. Dort sind Piloten mit einem Segelflugzeug namens "Perlan 2" gleich mehrfach bis hinauf in die Stratosphäre geflogen, so hoch wie kein Segelflieger zuvor. Da fragt man sich natürlich, wie kann so etwas gehen, ganz ohne Antrieb? Um mir das einmal erklären zu lassen, habe ich meinen Luftfahrt-erfahrenen Kollegen Lucian Haas ins Studio geladen.
Wie hoch hat es Perlan 2 denn überhaupt geschafft?
Lucian Haas: Die Perlan 2 hat gleich drei Rekorde innerhalb von acht Tagen aufgestellt. Am 26. August erreichte sie 19,2 Kilometer. Am 28. August waren es 20 Kilometer und zuletzt am 2. September sogar 23, 2 Kilometer. Höher hinaus hat es bisher nur das US-Spionageflugzeug SR-71 geschafft. Dessen Rekord liegt bei fast 26 Kilometer. Aber dafür hatte es auch zwei kräftige Düsentriebwerke, während Perlan 2 gar keinen eigenen Antrieb besitzt.
Uli Blumenthal: Wie kann ein Segelflugzeug überhaupt in die Stratosphäre aufsteigen? Gibt es dort noch Thermik?
Wellenreiten in der Stratosphäre
Lucian Haas: Nein. Mit thermischen Aufwinden hat das nichts mehr zu tun. Stattdessen mit einer Art Wellenreiten. Wenn starker Wind auf ein Hindernis wie ein Gebirgszug trifft – in Argentinien sind das die Anden –, dann wird die Strömung nach oben abgelenkt. Dieser Impuls kann die gesamte Luftsäule darüber auch nach oben drücken und die Atmosphäre so in Schwingungen versetzen. Das setzt sich dann wellenartig hinter dem Gebirge fort. In der Stratosphäre gibt es auch starke Winde, und die werden dann nicht mehr durch die Berge, aber durch die davon ausgelösten Wellen nach oben abgelenkt, um dann hinter der Welle wieder abzufallen.
Die Kunst des Wellenflugs besteht darin, solche Wellen zu finden und auf der passenden Seite, dort wo es die Luft nach oben drückt, im Aufwind hin und her zu fliegen. Das hat der Pilot Jim Payne bei seinen Rekordflügen mit wechselnden Co-Piloten in der Perlan 2 offensichtlich gut getroffen.
Uli Blumenthal: Wie habe ich mir die Perlan 2 denn vorzustellen? Ist das ein normales Segelflugzeug?
Spezialanfertigung mit Druckkabine
Lucian Haas: Es ist eine Spezial-Anfertigung. Von außen sieht die Perlan 2 fast so aus wie ein klassisches Segelflugzeug. Nur hat es vorne keine durchsichtige Haube über dem Cockpit, sondern nur ein paar kleinere Bullaugen. Das hängt damit zusammen, dass die Perlan 2 eine Druckkabine besitzt, damit die Piloten überhaupt in der dünnen Höhenluft überleben können. Immerhin haben sie bei den Rekordflügen die sogenannte Armstrong-Grenze überschritten!
Uli Blumenthal: Das hat aber nichts mit dem Astronauten Neil Armstrong von der Mondlandung zu tun?
Lucian Haas: Nein, das könnte man meinen - aber die Armstrong-Grenze ist nach einem Raumfahrtmediziner aus den USA, Harry Armstrong, benannt. Dem war aufgefallen, dass es bei Flügen in großen Höhen nicht ausreichen würde, den Menschen wegen der dünnen Luft mit extra Sauerstoff zu versorgen. Je geringer der Luftdruck, desto eher beginnen Flüssigkeiten zu verdampfen. Bildlich gesprochen beginnt jenseits der Armstrong-Grenze das Blut in den Adern schon bei unserer Körpertemperatur von 37 Grad zu kochen. Das würden wir nicht überleben. Die Armstrong-Grenze liegt auf der Erde übrigens bei etwa 19 Kilometer Höhe. Auch deshalb hat die Perlan 2 eine Druckkabine.
Uli Blumenthal: Wie kommt man aus so großen Höhen eigentlich wieder herunter?
Lucian Haas: Es gilt der alte Fliegerspruch: Runter kommt man immer. Die Perlan 2 macht das aber im kontrollierten Sinkflug. Damit es schneller geht, können die Piloten auch gezielt auf die Rückseite der Atmosphärenwellen fliegen, wo starke Abwinde vorherrschen.
Für Notfälle besitzt die Maschine sogar einen Bremsfallschirm, um auf einem sehr steilen Flugpfad absteigen zu können, ohne dabei wegen einer zu hohen Geschwindigkeit in Stücke gerissen zu werden.
Wichtige Erkenntnisse für die Klimaforschung
Uli Blumenthal: Geht es bei Perlan 2 nur um die Höhen-Rekorde?
Lucian Haas: Nein. Das ist im Grunde nur ein imageträchtiger Nebeneffekt. Das eigentliche Ziel des Perlan-Projektes, das übrigens maßgeblich von Airbus gesponsort wird, ist es, die Perlan 2 als umweltfreundliches Höhenforschungsflugzeug zu nutzen.
Es geht vor allem darum, bestimmte Strömungsphänomene wie eben diese Wellenbildung in der Stratosphäre besser zu verstehen. Zu diesem Zweck sollen auch noch mehr solcher Flüge erfolgen. Klimaforscher gehen davon aus, dass solche Wellen sich auch auf das Wetter und das Klima in der unteren Atmosphäre auswirken können.