"Das ist die nette Frau, die mich beglei …, beglitten? Hast du mich beglitten oder begleitet?"
Peter Neumicke ist "Lerner". So nennt der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung Menschen mit ausgeprägter Lese- und Schreibschwäche.
"Ich konnte ja auch nie richtig Lesen und Schreiben. Ich habe es ja nie gelernt."
Peter Neumicke ist 53. Als Kind wird er in die Sonderschule gesteckt, irgendwann besucht er auch die nicht mehr, Schulabschluss Fehlanzeige. Es folgen Drogenabhängigkeit, Beschaffungskriminalität, Knast. Dort bekommt er eine Brieffreundschaft vermittelt.
"Natürlich, wenn ich einen Brief geschrieben habe, sind da zwei, drei Wochen drauf gegangen für einen Brief."
Nur wenigen Menschen in seinem Umfeld erzählt er von seiner Lese- und Schreibschwäche. Auch den Job, den er später als Schuster annimmt, gibt er nach kürzester Zeit wieder auf.
"Weil: Das geht nicht, weil, wenn ich eine Reklamation schreiben muss, ich muss dann die Inventur schreiben. Und das waren so viele Sachen nachher, da habe ich dann gesagt: Tschüss, geht nicht, aber auch nicht gesagt, warum."
Viele Menschen mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen schlängeln sich durchs Leben, haben einen Angehörigen oder einen Freund, der ihnen den Schriftverkehr des Alltags abnimmt. Auch Peter findet immer wieder jemanden, mit 52 jedoch beschließt er: So nicht mehr. Die Arbeitsagentur vermittelt ihm einen Kurs beim Berliner Verein Lesen und Schreiben.
"Als ich hier ankam, habe ich erst mal Angst gehabt. Also man hatte Ängste: Jetzt mache ich mich wieder auf, akzeptiert man das? Oder werde ich jetzt doch wieder so abfällig behandelt? Von oben herab. Na ja, man zeigt es nicht so, aber man kriegt es mit: Das ist ja so ein kleiner Dummer. Und das ist hier alles nicht. Und das ist auch wichtig fürs Lernen, wir haben hier das Gefühl, wir sind ebenbürtig."
"Es ist ein schwerer Weg, sich zu überwinden, wirklich den Mut aufzubringen, aus der Isolation heraus sich zu trauen, jemand anderem sich zu offenbaren und zu sagen: Ich kann das nicht, was eigentlich alle können, ich will das lernen."
Urda Thiessen von Lesen und Schreiben vermittelt Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Seit 25 Jahren ist der gemeinnützige Verein am Netz. Er ist einer von gerade mal vier Vereinen dieser Art bundesweit. Zum Programm gehört, die Teilnehmer bei Behördengängen zu begleiten, aber auch alltagspraktische Dinge wie das Lesen eines Stadtplans.
"Insgesamt fehlt es an der Aufklärung und an der Sensibilisierung. Sowohl von Mitarbeitern in Behörden, von Ärzten, aber auch der Gesellschaft generell. Denn die tragen dazu bei, dass die Leute in so einer Isolation und in so einer Angst leben."
Bundesbildungsministerin Annette Schavan hat eine nationale Strategie zu dem Thema angekündigt. 20 Millionen Euro stellt sie zur Verfügung. Ein erster Schritt, sagt Peter Hubertus vom Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung. Noch wichtiger sei es aber, die Deutsche Wirtschaft mit ins Boot zu holen. Denn, so laute eine der aktuellen Erkenntnisse, wer lesen und schreiben könne, sei produktiver.
"Man schafft es sicherlich nicht, alle Erwachsene zu motivieren, Lese- und Schreibkurs zu besuchen. Aber wir müssen dazu kommen, dass jeder, der das will, eine Chance hat. Im Moment ist es so: Wir haben gerade 20.000 Kursteilnehmer, die vor allen Dingen an den Volkshochschulen lernen. Und das ist natürlich ganz, ganz wenig."
20.000 von insgesamt 7,5 Millionen Erwachsenen mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen in Deutschland. Da ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig. Und mehr Geld. Denn gemeinnützige Vereine wie Lesen und Schreiben in Berlin agieren auf Projektebene, institutionell abgesichert wie Volkshochschulen sind sie nicht.
"Damit würde ich anfangen: die guten Angebote, die es gibt, erst mal abzusichern."
"Ich sage ja: In dem halben Jahr, ich staune. Seitdem ich hier bin, hat sich meine Welt verbessert. Bin gespannt, was das nächste halbe Jahr für mich bringt."
Peter Neumicke hat Großes vor. Wenn er den Kurs erfolgreich absolviert hat, will er seine Lebensgeschichte aufschreiben. Zu erzählen hat er genug.
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"Weil: Das geht nicht, weil, wenn ich eine Reklamation schreiben muss, ich muss dann die Inventur schreiben. Und das waren so viele Sachen nachher, da habe ich dann gesagt: Tschüss, geht nicht, aber auch nicht gesagt, warum."
Viele Menschen mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen schlängeln sich durchs Leben, haben einen Angehörigen oder einen Freund, der ihnen den Schriftverkehr des Alltags abnimmt. Auch Peter findet immer wieder jemanden, mit 52 jedoch beschließt er: So nicht mehr. Die Arbeitsagentur vermittelt ihm einen Kurs beim Berliner Verein Lesen und Schreiben.
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20.000 von insgesamt 7,5 Millionen Erwachsenen mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen in Deutschland. Da ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig. Und mehr Geld. Denn gemeinnützige Vereine wie Lesen und Schreiben in Berlin agieren auf Projektebene, institutionell abgesichert wie Volkshochschulen sind sie nicht.
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