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Welttag gegen Folter
Mexikos dunkles Tabu

Die UNO hat den 26. Juni zum "Tag zur Unterstützung der Folteropfer" erklärt. Eines der Länder, in denen gefoltert wird, ist Mexiko. Den mexikanischen Regierungen ist es bisher schwer gefallen, die Existenz des Problems in ihrem Lande einzuräumen. Doch die Opfer wollen nicht länger schweigen.

Von Victoria Eglau |
    Folteropfer Cristel Piña mit Kind und Familie.
    Folteropfer Cristel Piña mit Kind (2.v.l.) und Familie (Victoria Eglau / Deutschlandradio)
    Wer mit Wilbert Terán Valenzuela sprechen will, muss mehrere Sicherheitskontrollen passieren, über Treppen und durch einen Hof laufen und in einem Besuchsraum warten. Dort erscheint der 29-Jährige in grauer Häftlingskleidung. Terán Valenzuela, ein schlanker, wortkarger Mann, sitzt seit sieben Jahren im städtischen Gefängnis von Ciudad Juárez, der berühmt-berüchtigten mexikanischen Stadt an der Grenze zu den USA.
    "Ich habe zwei Mal lebenslänglich bekommen. Verurteilt wurde ich, weil ich an Entführungen beteiligt gewesen sein soll. Aber ich werde zu Unrecht beschuldigt."
    Ciudad Juárez, eine Hochburg der Drogenkriminalität, ist nicht nur eine der gewalttätigsten Städte Mexikos, sondern galt vor einigen Jahren sogar als gefährlichster Ort der Welt. Vor allem wegen der extrem hohen Mordrate, aber auch wegen der häufigen Entführungen und Lösegeld-Erpressungen. Die Antwort der Justiz und Sicherheitskräfte? In vielen Fällen Willkür, sagt Carlavom Menschenrechts-Zentrum Paso del Norte in Ciudad Juárez:
    "In dem Bestreben, Ermittlungserfolge vorzuzeigen, fing die Generalstaatsanwaltschaft an, Menschen festnehmen zu lassen, die angeblich für Entführungen verantwortlich waren. Meist waren das mittellose Personen ohne Geld für einen Anwalt. Die Festgenommen wurden den Medien und der Gesellschaft dann als Entführer-Banden präsentiert."
    Menschenrechtsanwältin Carla Palacios von Paso del Norte.
    Menschenrechtsanwältin Carla Palacios von Paso del Norte (Victoria Eglau / Deutschlandradio)
    Zum Geständnis gezwungen und ohne weitere Beweise lebenslänglich verurteilt
    Teil dieses Vorgehens: Die Folter als Methode, Geständnisse zu erzwingen. Wilbert Terán Valenzuela erlebte sie, wie er sagt, am eigenen Leib:
    "Nach der Festnahme haben mich Polizisten und Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft gefoltert, damit ich mich selbst beschuldigte. Zu den Misshandlungen gehörten Ersticken, Stromschläge und Prügel."
    Der junge Mexikaner erzählt das mit leiser Stimme und ausdruckslosem Gesicht. Im Gefängnis, wo er sich eine Zelle mit fünf anderen Männern teilt, hat er angefangen, zu malen und zu zeichnen - seine Art, das Erlebte zu verarbeiten und mit der Perspektivlosigkeit klarzukommen. Menschen wie Wilbert Terán Valenzuela unterstützt Paso del Norte, eine Menschenrechts-NGO katholischen Ursprungs, juristisch und psychologisch. Carla Palacios, seine Anwältin:
    "Es sitzen eine Menge Leute im Gefängnis, die so wie Wilbert zu einem Geständnis gezwungen und dann ohne weitere Beweise zu lebenslänglich verurteilt wurden. Ehrlich gesagt wissen wir nicht, was wir mit all diesen Fällen machen sollen: So viele zu Unrecht verurteilte Menschen, die unter den Folgen der Folter leiden. Folgen, die nicht behandelt werden können."
    Priester und Menschenrechtsverteidiger Oscar Enriquez.
    Priester und Menschenrechtsverteidiger Oscar Enriquez. (Victoria Eglau / Deutschlandradio)
    Experten zufolge hat die Mehrheit der Insassen mexikanischer Gefängnisse bei ihrer Festnahme Willkür und Misshandlungen erlitten. Genaue Zahlen sind nur schwer zu ermitteln. Die Anwendung von Folter, um Geständnisse zu erzwingen, offenbare die mangelnde Fähigkeit vieler Polizei- und Justizbehörden, Verbrechen aufzuklären, sagt Carla Palacios von Paso del Norte. Der Priester Oscar Enríquez ist der Leiter und Gründer dieses Menschenrechts-Zentrums, das vom deutschen katholischen Hilfswerk Misereor unterstützt wird.
    "Laut Berichten der Vereinten Nationen und der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte wird in ganz Mexiko systematisch gefoltert", so Oscar Enríquez, ein bärtiger 76-Jähriger, der meist ohne Soutane unterwegs ist. Immerhin: In Ciudad Juárez hat seine Organisation einigen Opfern helfen können. Etwa ist Cristel Piña, eine junge Mutter, die bei einem Folterverhör gestand, an einer Erpressung teilgenommen zu haben, vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden. Am Küchentisch im Haus ihrer Eltern schildert Piña die traumatische Erfahrung mit abwesendem Blick. Auf ihrem Schoß nuckelt ihr jüngster Sohn an einer Milchflasche.
    "Im August 2013 wurden mein Partner und ich zu Hause verhaftet. Die Polizei hat uns geschlagen und mich sexuell gefoltert. Dank Paso del Norte sind wir heute in Freiheit. Es konnte bewiesen werden, dass wir mit der Erpressung nichts zu tun hatten."
    Das Gefängnis von Ciudad Juarez.
    Das Gefängnis von Ciudad Juarez. (Victoria Eglau / Deutschlandradio)
    Ganze zwei Jahre und vier Monate lang saß das Paar zu Unrecht hinter Gittern - getrennt von seinen Kindern. Cristel Piña und ihre couragierte Anwältin von Paso del Norte haben die Anwendung von Folter angeprangert - allerdings hat die Justiz diese nicht zugegeben. Das Gericht habe einfach das Geständnis für ungültig erklärt, erzählt Carla Palacios.
    Doch Cristel Piña wehrt sich gegen das Schweigen: Sie hat an einer Mexiko weiten Kampagne gegen Sexualfolter an Frauen teilgenommen. Weil sie und ihre Familie die Misshandlungen durch Sicherheitskräfte öffentlich gemacht haben, fürchten sie immer noch Repressalien. Der Vater der jungen Frau:
    "Für die Regierung unseres Bundesstaats ist es natürlich schlecht, wenn über die Folter geredet wird. Deshalb haben wir nach wie vor Angst. Unser Leben hat sich komplett verändert - wir sind heute fast nur noch zuhause und gehen möglichst wenig auf die Straße."
    Für erlittene Folter ein offenes Ohr zu finden, ist nicht leicht in Mexiko. Viele Bürger akzeptierten diese Praxis als Mittel zur Verbrechensbekämpfung, bedauert Juristin Palacios.
    "Aufgrund des internationalen Drucks hat Mexiko immerhin Protokolle und Verträge gegen die Folter ratifiziert, und das Problem ist sichtbarer geworden. Allerdings haben unsere Regierungen nicht den Willen, das Problem der Folter zu benennen und entschlossen anzugehen. Und nicht alle der ratifizierten Abkommen werden umgesetzt."