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Weltuntergang besiegelt

Daniel Barenboim und Guy Cassiers beenden Wagners Nibelungenring mit der Götterdämmerung an der Staatsoper in Berlin. Am Ende gab es gemischte Reaktionen, auch für die Sänger.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Es war das ehrgeizigste Projekt der Kooperation zwischen Berliner Staatsoper und Mailänder Scala, dieser Ring. Aber schon beim Vorabend Rheingold konnte man ahnen, wie das wird. Die abschließende Götterdämmerung hat die Ahnungen noch weiter bestätigt: dekoratives Wurzeltheater.

    Die Sänger stehen meist wie angewurzelt auf der Bühne. Hinten flimmern Videowände: in der Götterdämmerung mit dem Weltenbrand viel Gelb-Rot. Zur Rheinfahrt schönes Blau. Und bei Siegfrieds Erzählung im Wald saftiges Grün, das sich in Rot verfärbt.

    Immerhin im Graben musiziert wird auf exzellentem Niveau. Daniel Barenboim und seine Staatskapelle lassen die Farben dieser wunderbar dichten Partitur prächtig leuchten. Es wird höchst differenziert musiziert, in den zartesten Pianissimi wie in den satten Fortissimi.

    Die Sänger werden nie zugedeckt. Auch wenn in den beiden Protagonisten, Jan Storey als Siegfried und Iréne Theorin mit ihren vibrato-getränkten Stimmen, keine strahlenden Heldenfiguren zu bewundern sind. Stimmlich viel schlanker austariert: Gerd Grochowski als Gunther und Mikhail Petrenko als Hagen. Auch Marina Poplavskaya kann zumal im Schlussakt als gebrochene Gutrune sehr überzeugen, ebenso wie die den Ring zurückfordernden Rheintöchter.

    Das Regieteam Guy Cassiers, Enrico Bagnoli und Tim van Steenbergen – sie versuchen in der „Götterdämmerung“ dem Ganzen doch noch etwas Sinn zu verpassen, von dem man vorher nichts ahnte und auch nichts sah. Im Programmheft liest man da etwa über den belgischen Kongo-Kolonialismus, den man mit dem Ring aufspießen wollte.

    Die Gibichungen werden dazu in koloniale Reithosen mit schwarzen Hosenträgern und Stiefeln gesteckt. Die Gibichungen-Halle ist dekoriert mit einem gold-schimmernden Tresen, in dem verblichene Menschenbeine wie Reliquien ineinander verschlungen lagern.

    Im Schlussakt werden diese Tribünen-artig aufgebauten Tresen wie auf einem Rangierbahnhof immer wieder hin und her geschoben, oder dienen auch Brünnhilde als Absprungrampe ins Walhall vernichtende Feuer. Die Gibichungen-Menschen tragen bei dieser Trauerzeremonie über die Hemden gestülpt Tierfelle, die Trophäen einstiger Großwildjagden.

    Eine Szene gibt es, bei der man so etwas wie Regie vermuten kann. Wenn Siegfried zu Brünnhilde auf den Walküren-Felsen steigt, um sie für den neuen Blutsbruder Gunther und ihr den glitzernden Armring zu rauben, bemächtigen sich die vier Tänzerinnen und Tänzer, die ihm zuvor als Ross Grane dienten, Brünnhildes in einer Weise, als wollten sie sie in ihren schwarzen Tüchern wie Krokodile verschlingen. Choreografie: Sidi Larbi Cherkaoui.

    Auch die Warnung der Waltraute vor dem drohenden Ende, in dem sie die Schwester Brünnhilde mahnt, das Rheingold den Rheintöchtern zurückzugeben und damit den Raubbau an der Natur zu beenden, strahlt eine gewisse Intensität aus, zumal durch die Sängerin Marina Prudenskaja.

    Ansonsten ist das mehr ein Hörtheater. Immerhin den Text kann man bequem mitlesen und sich vergegenwärtigen. Am Ende gab es gemischte Reaktionen, auch für die Sänger. Einhellig gefeiert wurden nur Barenboim und die Staatskapelle, das Regieteam erntete Buhs.

    Ein Ring fürs 21.Jahrhundert und mit dessen technischen Möglichkeiten ist das nicht. Da fehlt denn doch nicht nur etwas, sondern viel, allzu viel.