Rund zwei Dutzend vor allem ältere Aktienbesitzer stehen in einem kleinen privaten Börsenhandelsladen im Zentrum von Shanghai. An den Wänden hängen Monitore und LED-Anzeigen, über die aktuelle Börsenkurse und Statistiken flimmern. Die Stimmung erinnert an die Wettbüros in deutschen Bahnhofsvierteln.
"Zum US-Chinesischen Handelskrieg habe ich keine Meinung," sagt diese Rentnerin, Mitte 60. "Aber wenn die Aktienkurse weiter fallen, ist das natürlich schlecht für mich. Ich habe jetzt schon die Hälfte meines Investments verloren!"
"Das läuft alles völlig unvorhersehbar ab," beklagt ein Mann, Ende 60. "Das ist doch alles von der Regierung gesteuert. Wir Investoren sind dem ausgeliefert. Alle angeblichen Börsen-Trends sind doch bloß Lügen."
Deutliche Wertverluste bei Aktien
So schlecht gelaunt wie diese beiden Privatanleger aus Shanghai sind zur Zeit die meisten Aktienbesitzer in China. Im Schnitt stehen die Kurse so niedrig, wie seit knapp vier Jahren nicht mehr. Erst gestern verbuchte der Shanghai-Composite-Index ein neues Jahrestief. Im Vergleich zum Jahreshöchststand hat der wichtigste Aktienindex in Festlandchina in den vergangenen Wochen rund 30 Prozent an Wert verloren. Ähnlich sieht es an der von HighTech-Firmen dominierten Börse von Shenzhen aus.
"In den vergangenen Wochen wurden Anleger von einer ganzen Reihe schlechter Nachrichten aufgeschreckt," sagt Nick Marro, Analyst bei der Economist Intelligence Unit, einer Wirtschaftsanalyse-Firma mit Sitz in Hongkong. "Der Handelskrieg wird wohl weiter wüten. US-Präsident Trump sagt, dass er bis Ende des Jahres keine großen Fortschritte erwartet. Vieles deutet darauf hin, dass es zunächst zu keiner Verhandlungslösung kommt."
Handelskrieg mit den USA zeigt Folgen
Obwohl die staatlich gesteuerten Medien in China die Auswirkungen des Handelsstreits mit den USA auf die Wirtschaft so gut wie totschweigen: Die Stimmung verschlechtert sich. Vor allem die vom Export abhängigen Firmen entlang der chinesischen Küste sind betroffen, darunter viele Hersteller von Elektronik. Einige haben inzwischen ihre Produktion nach Vietnam, Malaysia oder Thailand verlegt, um die amerikanischen Import-Sonderzölle zu umgehen. Doch nur damit seien die heftigen Verluste an den chinesischen Börsen nicht zu erklären, betont Zhou Hao, Ökonom und Schwellenmarkt-Experte bei der Commerzbank in Singapur:
"Chinas Börsen werden von einer riesigen Zahl an Kleinanlegern dominiert. Es gibt Statistiken, die sagen: 90 Prozent der chinesischen Aktien werden von Kleinanlegern gehalten."
... und diese Privatanleger handeln viel spontaner und unüberlegter als institutionelle Anleger, wie zum Beispiel Fondsgesellschaften, die das Geschehen an westlichen Börsenplätzen dominieren, wie etwa in Frankfurt, New York oder London. Das sorgt traditionell für heftige Ausschläge nach unten und oben, erklärt Zhou:
"In China behalten Investoren ihre Aktien nur relativ kurz. An westlichen Börsenplätzen rechnen Investoren mit einem Anlage-Zeitraum von drei bis fünf Jahren. In Festlandchina gilt schon alles ab sechs Monaten Haltedauer als Langfristinvestment. Nur wenige Händler gehen bei ihren Investments strategisch und strukturell vor. Sie schauen sich nur selten die finanziellen Rahmendaten der Firmen oder das zu erwartende wirtschaftliche Umfeld in den nächsten Jahren an."
Was Analysten aber auch betonen: Von Panikstimmung an den festlandchinesischen Börsen könne nicht die Rede sein. Auch das Handelsvolumen sei relativ niedrig. Das Fazit von Nick Marro, dem Analysten der Economist Intelligence Unit in Hongkong: Es gebe wichtigeres, als auf Chinas Börsen zu blicken.
"Die Börsen sind kein gutes Barometer, um vorherzusagen, wie es mit Chinas Wirtschaft oder dem Handelskrieg weitergeht. Aber Investoren intetessieren sich natürlich trotzdem."