Jasper Barenberg: Die vernetzte globalisierte Welt wirbelt die Machtverhältnisse durcheinander. Staaten wie China, Indien oder Brasilien gehören mit an den Tisch. Aus diesem Grundgedanken heraus wurde das Format der G20 vor inzwischen 20 Jahren gegründet. Getragen wurde es lange von der Überzeugung, dass viele drängende Probleme von keinem Staat mehr allein gelöst werden können. Denkt man aber an die Teilnehmer in diesem Jahr, an Trump, Putin, Xi oder Prinz bin Salman aus Saudi-Arabien, dann ergibt sich ein anderes Bild: das von der Rückbesinnung auf das Nationale, vom Rückzug aus internationalen Verträgen und Organisationen – mindestens.
Am Telefon ist Jürgen Trittin, für die Grünen Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Schönen guten Morgen, Herr Trittin.
Jürgen Trittin: Guten Morgen!
Barenberg: Wie würden Sie denn diese Versammlung in Buenos Aires charakterisieren, die da zusammenkommt?
Trittin: Die G20 sind das einzige Format, was die anstehenden Probleme der Welt ansatzweise lösen kann. Sie repräsentieren zwei Drittel der Weltbevölkerung und gut drei Viertel des Bruttosozialprodukts. Und der Probleme sind vieler! Wir stehen vor einem neuen Abschwung. Wir haben massive Finanzkrisen etwa im Gastgeberland Argentinien. Die Konjunktur bricht auch in Europa und den USA ein Stück weit ein. In einer solchen Situation wäre die ursprüngliche Aufgabe der G20, nämlich die Stabilisierung der Weltwirtschaft, das, was man sich vornehmen müsste. Aber es steht zu befürchten, dass genau an dieser Frage die G20, wie übrigens in diesem Jahr, vor einem Jahr die G7, scheitern werden, weil sie blockiert werden.
"Starke Blockade von Deutschland"
Barenberg: Blockiert werden – das heißt auch, in dieser Runde, mit diesen Teilnehmern ist konstruktive Politik, sind konstruktive Lösungen nicht möglich?
Trittin: Ich würde sagen, es wird sehr, sehr schwierig. Der Internationale Währungsfonds hat ja einen Alarmruf gestartet, was die wirtschaftliche Entwicklung der Welt angeht. Diesem Alarmruf wird man kaum folgen. Man wird nicht in der Lage sein, die notwendigen Investitionsmittel zur Verfügung zu stellen. Und das größte Hindernis für eine wirtschaftliche Entwicklung, der immer schärfer werdende Wirtschaftskrieg – ich weigere mich immer ein bisschen, nur von einem Handelskrieg zu reden; es geht um sehr viel mehr an dieser Stelle -, der wird maximal nicht weiter eskaliert. Aber die Hürden, die sich da aufbauen und die ja auch zu entsprechenden ökonomischen Folgen auch in den USA übrigens führen, diese Hürden werden jedenfalls nicht abgeräumt werden.
Barenberg: Müssen wir alle hinnehmen, für den Moment akzeptieren, dass es vor allem auf dieses, mit Spannung erwartete Duell zwischen dem amerikanischen Präsidenten auf der einen Seite, Donald Trump, und Chinas Staatschef Xi Jinping auf der anderen Seite, dass es darauf ankommen wird?
Trittin: Auch die Europäer könnten hier eine sehr zentrale Rolle spielen. Die Europäer sind nach wie vor mit 450 Millionen, selbst ohne die Briten, der größte Binnenmarkt der Welt. Sie haben wirtschaftliches Gewicht. In dieser Situation zum Beispiel vorzugeben, mehr zu investieren, wäre ein Schritt, wäre allerdings auch ein Schritt Parteinahme in Richtung China. Auch China plädiert dafür, im größeren Stil in die Infrastruktur der Welt zu investieren, um so Armut zu überwinden und Wachstum zu stimulieren. Aber das wäre ein Schritt. Hierzu ist Europa im jetzigen Zustand nicht bereit und das wird sehr stark blockiert insbesondere von Deutschland, also von Frau Merkel und Herrn Scholz - wenn sie denn dort ankommen.
"Globalen Märkte durch Zölle in Unordnung gebracht"
Barenberg: Hätten sie denn die Mittel und den Hebel in der Hand, um Persönlichkeiten wie den amerikanischen Präsidenten oder auch Chinas Staatschef dazu zu bewegen, so einem Plan zuzustimmen?
Trittin: Ich glaube, dass man mit China über diese Frage so reden könnte. China fordert Ähnliches, China praktiziert Ähnliches. Ob das helfen würde, Donald Trump einzuhegen - einhegen wird man ihn können, aber nicht überzeugen. Die Agenda von Donald Trump ist eine durch und durch nationalistische - übrigens auch um den Preis, dass es in den USA schlechter vorangeht. Ein Teil der Probleme, die er jetzt plötzlich mitten im Kernbereich seiner gewonnen Wahl sieht, nämlich in Detroit, wo GM 12.000 Jobs abbaut. Das hat auch etwas damit zu tun, dass die globalen Märkte mittlerweile durch Zölle und Ähnliches in Unordnung gebracht worden sind.
Barenberg: Wie erklären Sie sich dann, dass Donald Trump weiterhin politisch so erfolgreich ist und zumindest den Eindruck erwecken kann, dass seine Politik Erfolge zeitigt, dass es wirtschaftlich vor allem den USA jedenfalls besser geht und man nicht damit rechnen muss, dass sich das ändert in nächster Zeit?
Trittin: Der Eindruck, den er bei den Zwischenwahlen erzeugt hat, hat dazu geführt, dass auf der einen Seite seine Wählerschaft erneut zu ihm gestanden hat, aber er hat gleichzeitig die Demokraten mobilisiert. Das hat zu einer gespaltenen Situation geführt. Das würde ich, egal von welcher Seite, nicht als Erfolg betrachten. Das, was sich jetzt abspielt, nämlich solche Einbrüche in der produzierenden Industrie, das ist etwas, das wird für ihn sehr, sehr schwer werden, das zu verkaufen. Da kann er GM beschimpfen, aber alle wissen, dass natürlich so etwas damit zu tun hat, dass die Weltkonjunktur gebremst wird. Und den Amerikanern wird es nicht besser gehen, wenn es der Welt konjunkturell schlechter geht.
"In anderen Fällen haben wir natürlich Konflikte mit China"
Barenberg: Aus der Bundesregierung hören wir, dass man versuchen will, alle zusammenzuhalten, dass man auf ein gemeinsames Kommuniqué aller Beteiligten setzt. Wäre jetzt Zeit, gerade nach dem Wahlsieg von Donald Trump, über den wir gesprochen haben, dass die Bundesregierung sich jetzt für so etwas wie eine Allianz der noch Vernünftigen einsetzt und stärker dort Allianzen schmiedet, statt zu versuchen, immer alle an einen Tisch zu bekommen?
Trittin: Es wäre klug, sich darum zu bemühen, sich mit den konstruktiven Kräften zusammenzusetzen. Da gibt es welche. Da gibt es auch welche, wo man natürlich etwas Fragezeichen hinter machen muss. Aber diese Chance bestünde. Ich bin im Übrigen der Auffassung, dass dieses wahrscheinlich eher mit China gehen würde, und dann sind wir genau bei der Situation, nämlich des Einhegens der USA. Das scheint mir noch das Einzige zu sein, wo man etwas erreichen kann. Wo man nichts erreichen kann wäre der Versuch, alle an einen Tisch zu bringen. Dann müsste man die Fragen, die auf der Tagesordnung stehen, vom Wirtschaftskrieg bis hin zu den notwendigen Schritten in der Klimapolitik, alle ausklammern, weil in keiner dieser Fragen gibt es einen Konsens mit den USA, aber einen möglichen Konsens mit 19 anderen Mitgliedern.
Barenberg: Ich höre da immer heraus, dass Sie durchaus zuversichtlich sind, dass China eine konstruktive Rolle spielen kann. Aber war es in der Vergangenheit nicht so, dass auch China vor allem seine eigenen Interessen im Mittelpunkt gehabt hat, durchaus auf Kosten der anderen?
Trittin: China hat eine ganz eigene Agenda und China betreibt auch eine, den eigenen Interessen dienende Politik. Nur die eigenen Interessen Chinas führen zurzeit dazu, dass China sagt: Es kann nicht sein, dass wir als großes exportierendes Land die Weltkonjunktur gegen die Wand fahren. Insofern deckt sich zurzeit das Interesse des Restes der G20 mit dem von China, zumindest was diesen Teil der Agenda angeht. In anderen Fällen haben wir natürlich Konflikte mit China, denken Sie an die Fragen, wie sie versuchen, ein globales Monopol für Batteriezellen aufzubauen, wie sie strategisch investieren in Europa, aber gleichzeitig den eigenen Markt abschotten. Dabei gibt es massive Konflikte und denen muss man sich auch stellen. Die darf man nicht schönreden.
"Gesprächskanäle mit Russland offenhalten"
Barenberg: Zum Schluss, Herr Trittin, würde ich gerne noch auf die neuerliche Krise in der Ukraine mit Ihnen eingehen. Angela Merkel hat bewiesen, dass sie etwas bewegen kann. Sie ist entscheidend mit dafür verantwortlich, dass es zu dem Abkommen von Minsk gekommen ist. Wäre das jetzt, ist das jetzt ein guter, ein richtiger Zeitpunkt, zumal Trump ja durchaus signalisiert, sie mit einbeziehen zu wollen, dass man jetzt im Gespräch mit Putin da einen Schritt der Deeskalation hinbekommt?
Trittin: Man hat nach der Ukraine-Krise gesehen, wo man Russland aus den G8 rausgeschmissen hat, wo man den NATO-Russland-Rat gecancelt hat, dass es nichts genützt hat. Deswegen ist es klug, die Gesprächskanäle, gerade weil man sich über Russland ärgert, gerade weil man es für unverantwortlich hält, was Russland macht, weiter offenzuhalten. Deswegen glaube ich auch nicht, dass Donald Trump wegen der Vorfälle in der Ukraine sein Gespräch mit Putin abgesagt hat. Das hat eher innenpolitische Gründe, nämlich die vorliegenden und weiter drohenden Ermittlungen des Sonderermittlers Mueller in den USA. Deswegen möchte er nicht mit Putin abgebildet werden. Insofern: Das hat viel mit den USA und ganz wenig mit der Ukraine zu tun.
Barenberg: Aber kann die Kanzlerin Russlands Destabilisierungspolitik eindämmen?
Trittin: Ich weiß nicht, ob die Kanzlerin das selber kann. Aber ich bin fest überzeugt, dass Russland ein Interesse daran haben muss, auch aus ökonomischen Gründen, dass sie nicht vollständig in Konflikt mit Europa geraten, und diesen Hebel sollte ein gemeinsames Europa auch tatsächlich nutzen. Dazu gehören die europäischen Sanktionen, dazu gehört aber auch, den Gesprächskanal offenzuhalten und die klare Position, die Seeleute, die da abgegriffen worden sind, müssen freigelassen werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.