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Weltwirtschaftsforum in Davos
"Man sollte diese Gespräche nicht unterschätzen"

Beim Weltwirtschaftsforum in Davos treffen sich bis zu 3.000 Teilnehmer. Man treffe innerhalb kurzer Zeit sehr viele Leute, wofür man sonst Monate bräuchte, sagte Hans-Paul Bürkner von der Boston Consulting Group im Dlf. Seit 2017 spiele der Umgang mit Wetterextremen eine immer größere Rolle.

Hans-Paul Bürkner im Gespräch mit Birgid Becker |
Vorbeilaufende Menschen beim Weltwirtschaftsforum in Davos in der Schweiz.
An die 3.000 Menschen nehmen am Weltwirtschaftsforum in Davos teil (pa/keystone/G.Ehrenzeller)
Birgid Becker: Zum 50. Mal treffen sich in dieser Woche die Mächtigen der Welt zum Weltwirtschaftsforum in Davos. Eine durchaus umstrittene Veranstaltung, wenn auch ihr Gründer Klaus Schwab sie mit sehr friedvollen Worten umschreibt – da träfen sich Menschen in einem globalen Dorf, machten sich Gedanken über die Zukunft und versuchten, diese Zukunft positiv zu gestalten – das sagte Gründer Klaus Schwab in einem Interview mit der FAZ. Einer, der viele Male im globalen Dorf dabei war, ist der Chairman der Unternehmensberatung Boston Consulting Group, Hans-Paul Bürkner. Ihn habe zunächst gebeten, die Davos-Themen über die Jahrzehnte ein bisschen Revue passieren zu lassen.
Hans-Paul Bürkner: In den 80er-, 90er-Jahren waren Bemühungen da, zwischen Israel und Palästina zu vermitteln. Dann in den 90er-Jahren wurde natürlich sehr viel über die neuen Technologien gesprochen: das Internet. Dann war 2001 natürlich mit 9/11 das Thema Terrorismus dann ein großes. Dann kam die Wirtschaftskrise 2008 und jetzt sprechen wir vor allen Dingen über Klima und versuchen, Lösungen für das Problem Klima, Klimawandel zu finden.
Becker: Man kann schon sagen, seit 2017 sind es die Wetterextreme, die eine immer größere Rolle gespielt haben. Das wird auch dieses Jahr so weitergehen. Vor dem Treffen gibt es ja immer einen Bericht zu den zehn größten Risiken für die globale Wirtschaft, zugleich eine Art Agenda für das Weltwirtschaftsforum. Im aktuellen Bericht basiert die Mehrheit der zehn Hauptrisiken auf dem Problem Klimawandel. Was kann denn solch ein Forum zum Klimaschutz beitragen?
Bürkner: Hier werden natürlich erst mal Erfahrungen ausgetauscht über das, was an Maßnahmen ergriffen wird. Es wird geschaut, wie kann man das Pariser Abkommen am besten umsetzen. Und natürlich wird man sich auch bemühen, wieder Amerika oder die USA, besser gesagt, an Bord zu bekommen.
"Es gibt sehr viele intime Gespräche"
Becker: Das leitet herüber zur Frage, wie wichtig ist denn der Punkt, wer kommt oder wer kommt nicht. Haben Sie Donald Trump im vergangenen Jahr sehr vermisst? Oder umgekehrt: Wie wichtig ist es für Sie, dass er dieses Jahr kommt?
Bürkner: Natürlich schafft es Aufmerksamkeit, wenn Donald Trump kommt. Aber ob er nun kommt oder nicht kommt, und als er letztes Jahr nicht gekommen ist, gab es natürlich einige enttäuschte Stimmen. Aber insgesamt spielt das keine große Rolle, weil sich 2.500, 3.000 Menschen treffen. Nun darf man nicht erwarten, dass da ganz große Entscheidungen gefällt werden, oder dass plötzlich ein Land seine Meinung komplett oder eine Regierung ihre Meinung komplett verändert. Sondern es sind immer wieder viele Gespräche, die wie ein Mosaik Stück für Stück zu einem Gesamtbild kommen über die Jahre. Je mehr man miteinander spricht, desto mehr hoffen natürlich auch alle, dass man zu Lösungen kommt.
Becker: Was für eine Art an Gesprächen kann man denn führen, wenn da 2.500 bis 3000 Menschen zusammenkommen? Sehr intim kann das ja nicht mehr vonstattengehen.
Bürkner: Es gibt sehr viele intime Gespräche im Sinne von: Da unterhalten sich vielleicht zwei Personen über ein bilaterales Problem. Es gibt Gespräche im kleinen Kreis, wo vielleicht eine Hand voll oder zwei Hände voll Leute um einen Tisch herumsitzen. Und es gibt natürlich die großen Foren, es schauen oder hören Hunderte von Leuten zu. Es gibt viele Tausende von Gesprächen in dieser Woche.
"Erfahrungsaustausch ist extrem wichtig"
Becker: Was war denn für Sie bislang der größte Gewinn?
Bürkner: Der größte Gewinn ist, dass man natürlich innerhalb von sehr kurzer Zeit sehr viele Leute trifft, sich austauscht, auch durchaus Probleme ansprechen kann, auch hört, was beschäftigt die Leute, wo kann man Lösungen finden. Es gibt Anregungen, viele Leute probieren Dinge aus. Ich glaube, der Austausch und der Erfahrungsaustausch, was funktioniert, was funktioniert nicht, das ist extrem wichtig. Und vor allen Dingen auch, das sollte man nicht unterschätzen: Wenn Leute miteinander Erfahrungen ausgetauscht haben, sich kennen, sich einschätzen gelernt haben, dann kann man auch viel besser schwierige Themen ansprechen. Von daher sollte man diese Gespräche, auch wenn es jetzt keine unmittelbaren Ergebnisse gibt, nicht unterschätzen.
Becker: Geben Sie uns ein bisschen Einblick. Wenn man wie Sie, ohne Ihnen nahezutreten, nicht als Promi der Kategorie Staatsoberhaupt nach Davos kommt, wie bereitet man sich da vor? Macht man da vorher Dates, verabredet man sich mit einem Kreis von Leuten, die Dauerteilnehmer sind?
Bürkner: Ja, man verabredet sich mit sehr vielen Gesprächspartnern. Ich habe da 50, 60 Gespräche.
Becker: 50, 60 in den vier Tagen?
Bürkner: Ja.
Becker: Das heißt, Sie packen sich schon einen vollen Terminkalender?
Bürkner: Ja!
Viele Treffen in kurzer Zeit
Becker: Wäre das nicht auch anders denkbar, dass man in diesen vier Tagen mit einer sehr offenen Agenda durchs Geschehen flaniert, oder macht man das nicht?
Bürkner: Das kann man auch machen. Aber die Gelegenheit zu vielen guten Gesprächen ist sehr günstig und man trifft in kurzer Zeit Leute aus der ganzen Welt, wofür man normalerweise vielleicht Wochen oder gar Monate braucht.
Becker: Bei der Frage, wer kommt und wer nicht kommt, da fällt natürlich auch der Name Greta Thunberg auf. Die kommt zum zweiten Mal nach Davos. Im vergangenen Jahr schien es ja ein bisschen so zu sein, als fing dieses Greta-Jahr tatsächlich an mit diesem Auftritt von ihr in Davos. Wie haben Sie das erlebt?
Bürkner: Ja, natürlich sind solche Auftritte wichtig. Gerade wenn Leute, die vorher vielleicht niemand kennt, oder nur ganz wenige kennen, auftreten und die Aufmerksamkeit auf ein ganz besonderes Thema lenken, dann schafft das schon ein Momentum.
Becker: Nun ist das Weltwirtschaftsforum ja nicht unumstritten, wegen ihrer Ökonomielastigkeit, wegen ihrer Fokussierung auf Eliten. Vor dem Hintergrund, dass in vielen Gesellschaften auf der Welt das Problem einer Spaltung beklagt wird, wiegt da diese Elitenkritik am Weltwirtschaftsforum nicht besonders schwer?
Bürkner: Nun muss man sehen, dass in Davos natürlich der Titel "Weltwirtschaftsforum" heißt. Aber de facto sind politische, soziale Themen von sehr, sehr großer Bedeutung, und ich glaube, es sprechen ja sehr viele von den 17 großen SDGs, Sustainable Development Goals, und diese Themen stehen alle auf der Agenda. Nur die zusammen machen am Ende ein gutes Ergebnis. Auch wenn das Weltwirtschaftsforum "Wirtschaft" heißt, so würde ich mal sagen, ist der Schwerpunkt nicht allein auf der Wirtschaft.
"Dinge Schritt für Schritt lösen"
Becker: Ist das Fassungsvermögen solch einer Veranstaltung irgendwann mal gesprengt? Sie haben ja die Themenagenda schon Revue passieren lassen. In den 70ern hat es mal sehr beschaulich angefangen mit Ost-West-Konflikt oder Nord-Süd-Beziehungen. Heute diese vierstellige Zahl an Besuchern, eine fortgeschritten zweistellige Zahl an sogenannten Themenplattformen. Ist das Fassungsvermögen solch einer Veranstaltung irgendwann mal gesprengt?
Bürkner: Ich denke, was früher sehr stark ein Thema war, Europa, Nordamerika, vielleicht noch Teilnehmer aus dem Ostblock dazu, vereinigt heute die gesamte Welt. Die Themen, die in Afrika relevant sind, werden genauso diskutiert wie diejenigen, die jetzt in Australien Bedeutung haben oder in Südamerika. Von daher ist allein die Tatsache, dass wir eine viel kleinere Welt haben – ich weiß nicht, ob sie flach ist …
Becker: Sie zitieren gerade Friedman.
Bürkner: Aber sie ist sehr viel kleiner geworden und alle Themen, die in einem Teil der Welt wichtig sind, im Mittleren Osten zum Beispiel, berühren uns. Von daher ist es schon richtig, dass aus der gesamten Welt die Menschen zusammenkommen, und das sind natürlich dann auch plötzlich 2.500, 3000. Vielleicht ist man da auch an einer Grenze, aber ich würde das jetzt nicht überbetonen. Das wird sicherlich in den nächsten Jahren nicht kleiner werden, weil einfach die Probleme sich nicht schnell lösen lassen, sondern Schritt für Schritt – ob das Thema Klima ist, ob das Digitalisierung ist, ob das Wirtschaftswachstum oder Inclusive Growth ist – werden wir all diese Themen angehen müssen und auch weiter angehen, und da werden alle zusammenkommen müssen und zusammenarbeiten müssen, um die zu bewerkstelligen.
Ich glaube, diese Stimmung und die vielen Diskussionen und Gespräche in Davos tragen auch dazu bei, dass man nicht nur einfach diskutiert, sondern auch Dinge dann angeht und Schritt für Schritt auch löst, auch wenn es jetzt nicht den ganz großen Durchbruch geben wird. Zumindest vermute ich das nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.