Der Schriftsteller Peter Glaser hat zahlreiche Bücher bei verschiedenen Verlagen veröffentlicht. Für seine "Geschichte vom Nichts" bekam er 2002 den Ingeborg-Bachmann-Preis:
"Google hat keins von meinen Büchern, die nicht mehr aufgelegt werden. Das habe ich schon überprüft."
Dennoch setzte Peter Glaser zunächst seine Unterschrift unter den "Heidelberger Appell". Darin prangert der Heidelberger Philologe Roland Reuß massenhafte Urheberrechtsverstöße an, vor allem durch Google: Der Suchmaschinen-Riese hat rund sieben Millionen Bücher eingescannt und auszugsweise im Internet veröffentlicht - allerdings ohne die Urheber zu fragen. An diesem Wochenende werden die meisten deutschen Autoren bei einem Treffen in München ihre Interessen bündeln, um nicht unterzugehen gegen Google. Der US-Konzern würde geistiges Eigentum entwenden, klagt der "Heidelberger Appell" und warnt:
"Das verfassungsmäßig verbürgte Grundrecht von Urhebern auf freie und selbst bestimmte Publikation ist derzeit massiven Angriffen ausgesetzt und nachhaltig bedroht."
Bis heute haben über 2300 Künstler den "Heidelberger Appell" unterschrieben. Darunter bekannte Schriftsteller wie Siegfried Lenz, Hans Magnus Enzensberger oder Daniel Kehlmann; renommierte Wissenschaftler wie der Historiker Hans-Ulrich Wehler und Journalisten wie Michael Naumann, Herausgeber der "Zeit". Sie alle hadern damit, dass traditionelles deutsches Urheberrecht im Internet kaum mehr durchzusetzen ist. Der Schriftsteller Peter Glaser:
"In dieser ganzen Diskussion in den letzten zehn Jahren spielen wir, die Urheber, die Musiker, die geringste Rolle. Bei diesem 'Heidelberger Appell' waren mehrere Punkte zusammengelaufen, wo ich ein Gefühl der Empörung entwickelt habe, deswegen habe ich unterschrieben. Da war auch Unüberlegtheit mit dabei, eine gewisse Erbitterung, wo ich gesagt habe, jetzt muss mal ein Punkt gesetzt werden."
Dann aber merkte Glaser, was er noch unterschrieben hatte. Der "Heidelberger Appell" schießt nämlich nicht nur gegen Google, sondern auch gegen Open Access, eine globale Wissenschaftler-Bewegung, die durch Steuern finanzierte Forschung frei im Netz zugänglich machen will. Denn auch deutsche Wissenschaftsgesellschaften wollen, dass vom Staat geförderte Forscher Online-Veröffentlichungen in Betracht ziehen. Die Bürger sollen lesen können, was sie bezahlt haben. Aus dieser Erwartung wird bei Roland Reuß eine "Machtübernahme der Technokraten". Zudem sieht er "weitreichende Eingriffe in die Presse- und Publikationsfreiheit", deren Folgen in seinen Augen grundgesetzwidrig sind. Wie auch bei Google Books müsse die Bundesregierung daher tätig werden:
"Die forschungsfördernden Einrichtungen der Bundesrepublik sind dazu angehalten, die bestehenden Gesetz zu respektieren. Dass sie meinen, sie brauchen das nicht, ist ein untragbarer Zustand. Aber es würde reichen, wenn der Bundestag den entsprechenden Institutionen mal klar sagt, dass diese Eingriffe in die Freiheit der Wissenschaften absolut unstatthaft sind und dass sie damit aufhören müssen."
Starke Worte, die der Realität aber nicht Stand halten. Deswegen zog Autor Peter Glaser seine Unterschrift unter den Appell wieder zurück. Denn auch er fragt: Was hat die umstrittene Massen-Digitalisierung von Büchern durch ein privates Unternehmen zu tun mit Open Access, einer Bewegung von Wissenschaftlern, die wollen, dass sich ihr Wissen unter dem Schutz des Urheberrechts möglichst frei verbreitet? Nichts, sagt Matthias Spielkamp, Autor und Urheberrechtsexperte beim Internetportal irights.info:
"Es geht in beiden Fällen ums Internet und was da publiziert wird, das ist aber ungefähr die einzige Gemeinsamkeit, die diese beiden Dinge haben. Und deswegen haben das auch so viele unterschrieben, weil viele sehen: Das was Google da macht, das ist uns nicht geheuer und damit muss man sich auseinander setzen. Und dem stimme ich völlig zu. Aber dann das Kind mit dem Bade auszuschütten und zu sagen, Open Access ist gefährlich und bedroht die Wissenschaftsfreiheit, das geht einfach viel zu weit."
Der "Heidelberger Appell" hat dem seit Jahren andauernden, verbissen geführten Kulturkampf des digitalen Zeitalters eine neue Dynamik verliehen. Gestritten wird über den Umgang mit geistigem Eigentum in einer Welt, die nie wieder ohne Internet sein wird. Kopieren, vernetzen, tauschen. Die Musik- und die Filmindustrie erfuhren zuerst, dass sich traditionelles Urheberrecht im Netz kaum mehr durchsetzen lässt. Doch Hollywood und Co. sahen das Internet als Feind, versuchten das Alte zu bewahren, setzten auf Strafverfolgung, Abmahnungen, Kopierschutz und Internetsperren. Erst langsam erkannten sie die Chancen der digitalen Distribution und entwickelten neue Geschäftsmodelle.
Jetzt ist die Buchindustrie dran mit dem Crash-Kurs Internet. Und die Abwehr-Reflexe sind dieselben. Die Musikbranche wurde von einem schüchternen Teenager im Internet-Zeitalter begrüßt, der eine Internet-Tauschbörse namens Napster erfunden hatte. Die Buchbranche trifft nun auf einen anderen Erstrunden-Gegner: Google.
Bis dato hat Google in Bibliotheken rund sieben Millionen Werke eingescannt und in Auszügen im Netz veröffentlicht. Darunter sind mehrere Hunderttausend Bücher deutscher Schriftsteller und Wissenschaftler, schätzt die VG Wort, ein Verein, der die Rechte deutscher Autoren vertritt.
Nach deutschem Urheberrecht wäre so eine Veröffentlichung ohne Genehmigung der Urheber eindeutig rechtswidrig. Doch Google will urheberrechtlich geschützte Werke zunächst nur amerikanischen Internetnutzern zeigen. Das ist technisch zwar schwer umzusetzen, führt aber dazu, dass der Rechtsstreit in den USA ausgetragen werden muss und somit US-Copyright gilt.
Und nach amerikanischem Recht könnte Googles Massenscan durchaus rechtens sein. Daher haben sich US-Autoren- und Verlegerverband auf einen Deal mit Google eingelassen. Dieser Kompromiss muss noch von einem New Yorker Gericht bestätigt werden. Dann gilt für Verlage und Autoren geschätzter 60 Millionen Bücher: Wer die Abmachung ablehnt, muss sich bis zum 4. September bei Google einloggen und aktiv widersprechen. Nur dann hat er das Recht, gegen Google zu klagen, falls sein Buch gescannt wird.
Wer nicht widerspricht und einfach schweigt, ist dagegen Teil des Deals. Dieses pragmatische Prozedere stößt bei Rechteinhabern auf Ablehnung. Dennoch empfiehlt die Autoren-Vertretung VG Wort seinen Mitgliedern, dem Google-Vertrag zuzustimmen. Rainer Just, Geschäftsführer der VG Wort:
"Ich würde den Autoren nahe legen, dass man sich innerhalb des Vergleichs bewegt. Ganz einfach weil man innerhalb dieses Vergleichs Rechte zugestanden bekommt, die natürlich auch der amerikanischen Rechtsaufsicht unterliegen. Also da kann auch Google sich, wenn der Vergleich zustande kommt, nicht einfach drüber hinweg setzen."
Daher werden an diesem Wochenende fast alle deutschen Autoren die VG Wort damit beauftragen, für sie bei Google das Beste aus dem Vergleich herauszuholen. Denn auch wenn Googles Vorgehen umstritten ist - der jetzt ausgehandelte pragmatische Vergleich bietet Rechtssicherheit und für viele Autoren eine ganze Menge Möglichkeiten. Den Kern des Google-Settlements fasst James Grimmelmann, Urheberrechtsexperte an der New York Law School, so zusammen:
"Für die Vergangenheit wird Google von allen Forderungen frei gesprochen, die aus dem Scannen und Veröffentlichen der Bücher herrühren. Im Gegenzug zahlt das Unternehmen Entschädigungen von insgesamt 125 Millionen Dollar. Blickt man in die Zukunft, darf Google weiter scannen und Bücher im Internet anzeigen. Die Gewinne aus der Vermarktung gehen zu 63 Prozent an die Autoren und Verleger."
Der Vergleich besteht also aus drei Teilen. Teil eins: Schadensersatz.
Jeder Autor auf der Welt kann sich bei googlesettlement.com einloggen und nachsehen, ob Google eines seiner Bücher gescannt hat. Pro Buch bekommt der Autor 60 Dollar Schadensersatz. Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins des deutschen Buchhandels:
"Wenn sie heute einen aktuellen Titel schreiben als Bestseller-Autor und dafür einen sechsstelligen Euro-Betrag kassieren, sind die 60 Dollar sicherlich lächerlich. Wenn es sich um ein vergriffenes Buch handelt, auf dem in allen Bibliotheken dicker Staub liegt und das vor 40 Jahren der Letzte aufgeschlagen hat, dann sind die 60 Dollar ein Windfall-Profit wie der Engländer sagen würde, also etwas, das ihnen zufällt, ohne dass es eigentlich im Markt eine Berechtigung dafür gibt."
Damit wären die Sünden der Vergangenheit getilgt. Aber nicht nur das. Teil zwei der Einigung: Google darf die Scanner wieder anwerfen. Bestätigt das New Yorker Gericht die Vereinbarung, dürfte Google alle Bücher digitalisieren, die vor Januar 2009 erschienen sind. Ist der Schaden beglichen, das Scannen legalisiert, kommt Teil drei des Vergleichs. Und der dreht sich um die Frage: Was darf Google eigentlich mit den digitalisierten Werken alles machen?
Das hängt vom Buch ab. Ist es noch im Handel, darf Google gar nichts mit dem Buch machen - es sei denn, der Autor erlaubt es. Die Mehrheit der Bücher ist jedoch nicht mehr lieferbar. Hier darf Google erstmal alles machen, es sei denn der Autor widerspricht. In jedem Fall haben Autoren die Kontrolle. Sie können sich bei Google einloggen und für jedes Buch per Mausklick festlegen: Soll eine Vorschau angezeigt werden? Oder nur der Titel? Darf Google Werbung einblenden? Darf Google das Buch verkaufen? Wenn ja, zu welchem Preis? Und: Autoren können ihre Bücher auch ganz aus dem Google-Bestand löschen.
Nimmt Google mit einem Buch Geld ein, sei es durch Verkauf, Werbung oder Abonnement, bekommen Autor und Verlag 63 Prozent der Einnahmen. Das sei für viele Autoren ein gutes Geschäft, sagt Matthias Spielkamp von irights.info. Wird heute ein Buch im Buchladen verkauft, bekommen Autoren in der Regel nicht mehr als zehn Prozent.
"Und wenn das zum Beispiel vergriffene Bücher sind, also Bücher bei denen zwar die Urheber bekannt, im Handel aber nicht mehr erhältlich sind, dann kann ein Autor im Moment keinen Cent verdienen. Und wenn Google jetzt da Werbung anzeigen lässt, wenn sich das Buch jemand anzeigen lässt, dann fließt halt Geld und dann fließt das Geld an die Rechteinhaber, also die Verlage und die Autoren. Insofern muss man da ein bisschen vorsichtig sein, nur das Negative zu sehen."
Die Mehrheit der Bücher, die Google scannen und ins Netz stellen will, gibt es nicht mehr zu kaufen. Sie verstauben in Büchereien und Antiquariaten. Darunter sind Millionen urheberrechtlich geschützte Bücher, deren Rechteinhaber unbekannt sind, weil der Verlag pleite ist oder die Erben verschollen sind. Für Bücher ist das die Höchststrafe: Diese so genannten "Buchwaisen" dürfen nicht nachgedruckt, verkauft oder aufgeführt werden. Der Google-Deal würde diesen Bücherschatz heben, sagt Matthias Spielkamp:
"Der größte Gewinn dieses ganzen Unterfangens ist, dass die so genannten verwaisten Werke wieder zugänglich gemacht werden. Das sind Werke, deren Rechteinhaber man nicht mehr feststellen kann. Das hört sich erstmal so an, als sei das eine Fachdiskussion, aber das sind wahrscheinlich Millionen von Büchern, die da in den Archiven schlummern. Kein Mensch kann sie lesen und das würde durch das Google Book Settlement verändert."
Millionen bisher verschollener Bücher im Netz, neue Geldquellen für viele Autoren - auch Christian Sprang, Chefjurist der deutschen Buchbranche, sieht die positive Seite einer solchen Google-Bücherei, allerdings:
"So großartig diese Tat auch kulturell ist, so geschieht es doch nicht primär aus kulturellen Motiven heraus. Sondern es handelt sich dabei um eine Aktiengesellschaft, die darauf aus sein muss, was auch nicht verwerflich ist, den Shareholder Value, das kommerzielle Interesse der Anteileigner zu bedenken. Und das heißt: Google schwingt sich momentan auf, eine Monopolstellung zu erreichen, die man als Suchmaschine in Deutschland eindeutig schon hat, und die man vielleicht demnächst auch haben könnte in einer Person als Buchsuchmaschine."
Ein Google-Monopol auf die größte Bibliothek der Erde - diese Sorge teilt auch die US-Kartellbehörde, die sich das Google Book Settlement vorgenommen hat. Niemand, kein Unternehmen, kein Staat wird in absehbarer Zeit über eine vergleichbare digitale Büchersammlung verfügen. Zum Vergleich: Der offizielle Online-Shop
der deutschen Buchbranche bietet nicht sieben Millionen Bücher wie Google bereits heute, sondern ganze 100.000 Titel.
Das gibt Google große Macht, die zu missbrauchen eine Kleinigkeit wäre. Wer etwa kontrolliert, ob Google Bücher zensiert? Auch stehen Datenschutzprobleme ins Haus: Wer ein Buch bei Google Books kauft und lesen will, muss sich bei Google einloggen und kann oft nur online lesen. Google weiß wer - wann und wie lange - auf welcher Seite eines Buches verweilt hat. Außerdem wird Google Kopierschutzmechanismen einführen, die genau regeln, wer was mit welchem Buch machen darf.
Die größte Gefahr besteht aber in möglichen Preiserhöhungen. Das Unternehmen will Büchereien und Universitäten zwar Zugang gewähren zum größten Bücherschatz der Welt. Was aber, wenn Google die Preise für diese Zugänge irgendwann verdoppelt, verdreifacht? Was soll eine Hochschul-Bibliothek machen? Google-Konkurrenten wird es mit dem ausgehandelten Deal nicht geben.
Bis das New Yorker Gericht im Herbst entscheidet, kann der Vergleich noch geändert werden. Darauf baut beispielsweise Pamela Samuelson, Professorin an der Berkeley School of Law. Sie will Google dazu bringen, möglichen Konkurrenten Zugang zu seinem Bücherregal zu gewähren. Yahoo oder Microsoft könnten dann Lizenzen der digitalisierten Google-Bücher kaufen und eigene Bibliotheken eröffnen. Gescannte Bücher ohne Urheberrechte sowie wissenschaftliche Werke sollte Google - nach Ansicht der Expertin - ganz unter freie Lizenzen stellen.
So gäbe es dann doch einen Zusammenhang zwischen Google Books und Open Access. Auch wenn dieser anders aussähe, als die Autoren des "Heidelberger Appells" sich ihn vorgestellt haben.
Nach anfänglichem Zögern unterstützen jetzt auch die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen dieses offene Publikationsmodell. Andreas Hübner, von der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.
"Wir wollen mit Open Access erreichen, dass Forschungsergebnisse, die mit öffentlichen Geldern gefördert werden, dass die frei zugänglich sind für jedermann. Dabei handelt es sich um die Leute, die das bezahlt haben, das sind die Steuerzahler und die sollen eben auch Zugang haben zu dem, was sie bezahlt haben."
Heute sind Forschungsergebnisse eine Art steuerfinanzierte Eliten-Lektüre: Staatlich bezahlte Forscher schreiben einen Aufsatz, staatlich bezahlte Kollegen redigieren diesen Text und übergeben ihn in der Regel gratis einem privaten Wissenschaftsverlag. Dieser Verlag druckt damit eine Fachzeitschrift und verkauft diese dann für enorme Summen wieder an staatlich finanzierte Bibliotheken. So kostet etwa ein Jahresabonnement des "Journal of Applied Polymer Science" heute mehr als 21.000 US-Dollar, ein Anstieg von mehr als 30 Prozent seit 2002. Die Folge: Die für die Gemeinschaft ohnehin kaum zugänglichen Fachzeitschriften werden immer rarer, weil immer weniger Bibliotheken sie sich leisten können. Auch Open Access ist für den Staat nicht umsonst, aber die Texte stehen dann wenigsten auch im Netz, nicht nur in der Bibliothek.
Die Max-Planck- und Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft halten mittlerweile von ihnen geförderte Forscher dazu an, ihre Ergebnisse auch im Internet zu veröffentlichen; weil so mehr Menschen von den Erkenntnissen profitieren können. Genau das aber sei mit der Freiheit der Wissenschaft nicht zu vereinbaren und verstoße gegen das Grundgesetz, meinen die Unterzeichner des "Heidelberger Appells". Initiator Roland Reuß spricht von Nötigung, Enteignung und einer "heimlichen technokratischen Machtergreifung". Wissenschaftler würden gar gezwungen, ihre Texte im Internet zu veröffentlichen:
"Da geht es darum, dass im Bereich der Wissenschaft von den Wissenschaftlern gefordert wird, dass sie innerhalb kürzester Zeit am liebsten innerhalb von drei Monaten, alles was sie veröffentlichen auf öffentlichen Servern kostenlos zur Verfügung stellen. Das würde bedeuten, dass kein Wissenschaftler in der Bundesrepublik Deutschland, der von forschungsfördernden Einrichtungen Geld bekommt, noch die Chance hätte, als Buch publiziert werden zu können. Denn kein Verlag hat Interesse daran, ein Buch zu publizieren, das innerhalb von drei Monaten online steht."
Diese Argumentation wäre überzeugend - wenn es denn eine Pflicht zur Online-Publikation nach Open Access gäbe. Ein solcher Zwang existiert aber nicht. Nicht in Form eines Gesetzes und auch die wissenschaftlichen Fördergesellschaften würden Wissenschaftler nicht nötigen bzw. zur Open-Access-Publikation zwingen. Das versichert Johannes Fournier, Programmdirektor "Elektronische Publikationen" bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, DFG:
"Eine derartige Verpflichtung existiert nicht. Im genauen Wortlaut der Open-Access-Richtlinie der DFG heißt es, die DFG 'legt Wert darauf', dass Forschungsergebnisse publiziert und dabei möglichst auch digital im Open Access publiziert werden. Sie merken schon am Wortlaut 'legt wert darauf', dass hier keine Rede von einer Verpflichtung sein kann. Es gibt keinen Zwang zur Open Access Publikation."
Auch wenn der "Heidelberger Appell" polemisiert, überspitzt und übertreibt - er hat eine heiße Debatte entfacht über das Urheberrecht im Internet-Zeitalter. Wenn die erste Panik verflogen ist, werden auch Schriftsteller merken, dass das Netz mehr Chance ist als Bedrohung. Der Google-Vergleich ist ein epochaler Vertrag, der den weltweiten Buchmarkt, ja das Kulturgut Buch insgesamt, radikal verändern wird. Viele Autoren werden davon profitieren. Leser erst recht.
"Google hat keins von meinen Büchern, die nicht mehr aufgelegt werden. Das habe ich schon überprüft."
Dennoch setzte Peter Glaser zunächst seine Unterschrift unter den "Heidelberger Appell". Darin prangert der Heidelberger Philologe Roland Reuß massenhafte Urheberrechtsverstöße an, vor allem durch Google: Der Suchmaschinen-Riese hat rund sieben Millionen Bücher eingescannt und auszugsweise im Internet veröffentlicht - allerdings ohne die Urheber zu fragen. An diesem Wochenende werden die meisten deutschen Autoren bei einem Treffen in München ihre Interessen bündeln, um nicht unterzugehen gegen Google. Der US-Konzern würde geistiges Eigentum entwenden, klagt der "Heidelberger Appell" und warnt:
"Das verfassungsmäßig verbürgte Grundrecht von Urhebern auf freie und selbst bestimmte Publikation ist derzeit massiven Angriffen ausgesetzt und nachhaltig bedroht."
Bis heute haben über 2300 Künstler den "Heidelberger Appell" unterschrieben. Darunter bekannte Schriftsteller wie Siegfried Lenz, Hans Magnus Enzensberger oder Daniel Kehlmann; renommierte Wissenschaftler wie der Historiker Hans-Ulrich Wehler und Journalisten wie Michael Naumann, Herausgeber der "Zeit". Sie alle hadern damit, dass traditionelles deutsches Urheberrecht im Internet kaum mehr durchzusetzen ist. Der Schriftsteller Peter Glaser:
"In dieser ganzen Diskussion in den letzten zehn Jahren spielen wir, die Urheber, die Musiker, die geringste Rolle. Bei diesem 'Heidelberger Appell' waren mehrere Punkte zusammengelaufen, wo ich ein Gefühl der Empörung entwickelt habe, deswegen habe ich unterschrieben. Da war auch Unüberlegtheit mit dabei, eine gewisse Erbitterung, wo ich gesagt habe, jetzt muss mal ein Punkt gesetzt werden."
Dann aber merkte Glaser, was er noch unterschrieben hatte. Der "Heidelberger Appell" schießt nämlich nicht nur gegen Google, sondern auch gegen Open Access, eine globale Wissenschaftler-Bewegung, die durch Steuern finanzierte Forschung frei im Netz zugänglich machen will. Denn auch deutsche Wissenschaftsgesellschaften wollen, dass vom Staat geförderte Forscher Online-Veröffentlichungen in Betracht ziehen. Die Bürger sollen lesen können, was sie bezahlt haben. Aus dieser Erwartung wird bei Roland Reuß eine "Machtübernahme der Technokraten". Zudem sieht er "weitreichende Eingriffe in die Presse- und Publikationsfreiheit", deren Folgen in seinen Augen grundgesetzwidrig sind. Wie auch bei Google Books müsse die Bundesregierung daher tätig werden:
"Die forschungsfördernden Einrichtungen der Bundesrepublik sind dazu angehalten, die bestehenden Gesetz zu respektieren. Dass sie meinen, sie brauchen das nicht, ist ein untragbarer Zustand. Aber es würde reichen, wenn der Bundestag den entsprechenden Institutionen mal klar sagt, dass diese Eingriffe in die Freiheit der Wissenschaften absolut unstatthaft sind und dass sie damit aufhören müssen."
Starke Worte, die der Realität aber nicht Stand halten. Deswegen zog Autor Peter Glaser seine Unterschrift unter den Appell wieder zurück. Denn auch er fragt: Was hat die umstrittene Massen-Digitalisierung von Büchern durch ein privates Unternehmen zu tun mit Open Access, einer Bewegung von Wissenschaftlern, die wollen, dass sich ihr Wissen unter dem Schutz des Urheberrechts möglichst frei verbreitet? Nichts, sagt Matthias Spielkamp, Autor und Urheberrechtsexperte beim Internetportal irights.info:
"Es geht in beiden Fällen ums Internet und was da publiziert wird, das ist aber ungefähr die einzige Gemeinsamkeit, die diese beiden Dinge haben. Und deswegen haben das auch so viele unterschrieben, weil viele sehen: Das was Google da macht, das ist uns nicht geheuer und damit muss man sich auseinander setzen. Und dem stimme ich völlig zu. Aber dann das Kind mit dem Bade auszuschütten und zu sagen, Open Access ist gefährlich und bedroht die Wissenschaftsfreiheit, das geht einfach viel zu weit."
Der "Heidelberger Appell" hat dem seit Jahren andauernden, verbissen geführten Kulturkampf des digitalen Zeitalters eine neue Dynamik verliehen. Gestritten wird über den Umgang mit geistigem Eigentum in einer Welt, die nie wieder ohne Internet sein wird. Kopieren, vernetzen, tauschen. Die Musik- und die Filmindustrie erfuhren zuerst, dass sich traditionelles Urheberrecht im Netz kaum mehr durchsetzen lässt. Doch Hollywood und Co. sahen das Internet als Feind, versuchten das Alte zu bewahren, setzten auf Strafverfolgung, Abmahnungen, Kopierschutz und Internetsperren. Erst langsam erkannten sie die Chancen der digitalen Distribution und entwickelten neue Geschäftsmodelle.
Jetzt ist die Buchindustrie dran mit dem Crash-Kurs Internet. Und die Abwehr-Reflexe sind dieselben. Die Musikbranche wurde von einem schüchternen Teenager im Internet-Zeitalter begrüßt, der eine Internet-Tauschbörse namens Napster erfunden hatte. Die Buchbranche trifft nun auf einen anderen Erstrunden-Gegner: Google.
Bis dato hat Google in Bibliotheken rund sieben Millionen Werke eingescannt und in Auszügen im Netz veröffentlicht. Darunter sind mehrere Hunderttausend Bücher deutscher Schriftsteller und Wissenschaftler, schätzt die VG Wort, ein Verein, der die Rechte deutscher Autoren vertritt.
Nach deutschem Urheberrecht wäre so eine Veröffentlichung ohne Genehmigung der Urheber eindeutig rechtswidrig. Doch Google will urheberrechtlich geschützte Werke zunächst nur amerikanischen Internetnutzern zeigen. Das ist technisch zwar schwer umzusetzen, führt aber dazu, dass der Rechtsstreit in den USA ausgetragen werden muss und somit US-Copyright gilt.
Und nach amerikanischem Recht könnte Googles Massenscan durchaus rechtens sein. Daher haben sich US-Autoren- und Verlegerverband auf einen Deal mit Google eingelassen. Dieser Kompromiss muss noch von einem New Yorker Gericht bestätigt werden. Dann gilt für Verlage und Autoren geschätzter 60 Millionen Bücher: Wer die Abmachung ablehnt, muss sich bis zum 4. September bei Google einloggen und aktiv widersprechen. Nur dann hat er das Recht, gegen Google zu klagen, falls sein Buch gescannt wird.
Wer nicht widerspricht und einfach schweigt, ist dagegen Teil des Deals. Dieses pragmatische Prozedere stößt bei Rechteinhabern auf Ablehnung. Dennoch empfiehlt die Autoren-Vertretung VG Wort seinen Mitgliedern, dem Google-Vertrag zuzustimmen. Rainer Just, Geschäftsführer der VG Wort:
"Ich würde den Autoren nahe legen, dass man sich innerhalb des Vergleichs bewegt. Ganz einfach weil man innerhalb dieses Vergleichs Rechte zugestanden bekommt, die natürlich auch der amerikanischen Rechtsaufsicht unterliegen. Also da kann auch Google sich, wenn der Vergleich zustande kommt, nicht einfach drüber hinweg setzen."
Daher werden an diesem Wochenende fast alle deutschen Autoren die VG Wort damit beauftragen, für sie bei Google das Beste aus dem Vergleich herauszuholen. Denn auch wenn Googles Vorgehen umstritten ist - der jetzt ausgehandelte pragmatische Vergleich bietet Rechtssicherheit und für viele Autoren eine ganze Menge Möglichkeiten. Den Kern des Google-Settlements fasst James Grimmelmann, Urheberrechtsexperte an der New York Law School, so zusammen:
"Für die Vergangenheit wird Google von allen Forderungen frei gesprochen, die aus dem Scannen und Veröffentlichen der Bücher herrühren. Im Gegenzug zahlt das Unternehmen Entschädigungen von insgesamt 125 Millionen Dollar. Blickt man in die Zukunft, darf Google weiter scannen und Bücher im Internet anzeigen. Die Gewinne aus der Vermarktung gehen zu 63 Prozent an die Autoren und Verleger."
Der Vergleich besteht also aus drei Teilen. Teil eins: Schadensersatz.
Jeder Autor auf der Welt kann sich bei googlesettlement.com einloggen und nachsehen, ob Google eines seiner Bücher gescannt hat. Pro Buch bekommt der Autor 60 Dollar Schadensersatz. Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins des deutschen Buchhandels:
"Wenn sie heute einen aktuellen Titel schreiben als Bestseller-Autor und dafür einen sechsstelligen Euro-Betrag kassieren, sind die 60 Dollar sicherlich lächerlich. Wenn es sich um ein vergriffenes Buch handelt, auf dem in allen Bibliotheken dicker Staub liegt und das vor 40 Jahren der Letzte aufgeschlagen hat, dann sind die 60 Dollar ein Windfall-Profit wie der Engländer sagen würde, also etwas, das ihnen zufällt, ohne dass es eigentlich im Markt eine Berechtigung dafür gibt."
Damit wären die Sünden der Vergangenheit getilgt. Aber nicht nur das. Teil zwei der Einigung: Google darf die Scanner wieder anwerfen. Bestätigt das New Yorker Gericht die Vereinbarung, dürfte Google alle Bücher digitalisieren, die vor Januar 2009 erschienen sind. Ist der Schaden beglichen, das Scannen legalisiert, kommt Teil drei des Vergleichs. Und der dreht sich um die Frage: Was darf Google eigentlich mit den digitalisierten Werken alles machen?
Das hängt vom Buch ab. Ist es noch im Handel, darf Google gar nichts mit dem Buch machen - es sei denn, der Autor erlaubt es. Die Mehrheit der Bücher ist jedoch nicht mehr lieferbar. Hier darf Google erstmal alles machen, es sei denn der Autor widerspricht. In jedem Fall haben Autoren die Kontrolle. Sie können sich bei Google einloggen und für jedes Buch per Mausklick festlegen: Soll eine Vorschau angezeigt werden? Oder nur der Titel? Darf Google Werbung einblenden? Darf Google das Buch verkaufen? Wenn ja, zu welchem Preis? Und: Autoren können ihre Bücher auch ganz aus dem Google-Bestand löschen.
Nimmt Google mit einem Buch Geld ein, sei es durch Verkauf, Werbung oder Abonnement, bekommen Autor und Verlag 63 Prozent der Einnahmen. Das sei für viele Autoren ein gutes Geschäft, sagt Matthias Spielkamp von irights.info. Wird heute ein Buch im Buchladen verkauft, bekommen Autoren in der Regel nicht mehr als zehn Prozent.
"Und wenn das zum Beispiel vergriffene Bücher sind, also Bücher bei denen zwar die Urheber bekannt, im Handel aber nicht mehr erhältlich sind, dann kann ein Autor im Moment keinen Cent verdienen. Und wenn Google jetzt da Werbung anzeigen lässt, wenn sich das Buch jemand anzeigen lässt, dann fließt halt Geld und dann fließt das Geld an die Rechteinhaber, also die Verlage und die Autoren. Insofern muss man da ein bisschen vorsichtig sein, nur das Negative zu sehen."
Die Mehrheit der Bücher, die Google scannen und ins Netz stellen will, gibt es nicht mehr zu kaufen. Sie verstauben in Büchereien und Antiquariaten. Darunter sind Millionen urheberrechtlich geschützte Bücher, deren Rechteinhaber unbekannt sind, weil der Verlag pleite ist oder die Erben verschollen sind. Für Bücher ist das die Höchststrafe: Diese so genannten "Buchwaisen" dürfen nicht nachgedruckt, verkauft oder aufgeführt werden. Der Google-Deal würde diesen Bücherschatz heben, sagt Matthias Spielkamp:
"Der größte Gewinn dieses ganzen Unterfangens ist, dass die so genannten verwaisten Werke wieder zugänglich gemacht werden. Das sind Werke, deren Rechteinhaber man nicht mehr feststellen kann. Das hört sich erstmal so an, als sei das eine Fachdiskussion, aber das sind wahrscheinlich Millionen von Büchern, die da in den Archiven schlummern. Kein Mensch kann sie lesen und das würde durch das Google Book Settlement verändert."
Millionen bisher verschollener Bücher im Netz, neue Geldquellen für viele Autoren - auch Christian Sprang, Chefjurist der deutschen Buchbranche, sieht die positive Seite einer solchen Google-Bücherei, allerdings:
"So großartig diese Tat auch kulturell ist, so geschieht es doch nicht primär aus kulturellen Motiven heraus. Sondern es handelt sich dabei um eine Aktiengesellschaft, die darauf aus sein muss, was auch nicht verwerflich ist, den Shareholder Value, das kommerzielle Interesse der Anteileigner zu bedenken. Und das heißt: Google schwingt sich momentan auf, eine Monopolstellung zu erreichen, die man als Suchmaschine in Deutschland eindeutig schon hat, und die man vielleicht demnächst auch haben könnte in einer Person als Buchsuchmaschine."
Ein Google-Monopol auf die größte Bibliothek der Erde - diese Sorge teilt auch die US-Kartellbehörde, die sich das Google Book Settlement vorgenommen hat. Niemand, kein Unternehmen, kein Staat wird in absehbarer Zeit über eine vergleichbare digitale Büchersammlung verfügen. Zum Vergleich: Der offizielle Online-Shop
der deutschen Buchbranche bietet nicht sieben Millionen Bücher wie Google bereits heute, sondern ganze 100.000 Titel.
Das gibt Google große Macht, die zu missbrauchen eine Kleinigkeit wäre. Wer etwa kontrolliert, ob Google Bücher zensiert? Auch stehen Datenschutzprobleme ins Haus: Wer ein Buch bei Google Books kauft und lesen will, muss sich bei Google einloggen und kann oft nur online lesen. Google weiß wer - wann und wie lange - auf welcher Seite eines Buches verweilt hat. Außerdem wird Google Kopierschutzmechanismen einführen, die genau regeln, wer was mit welchem Buch machen darf.
Die größte Gefahr besteht aber in möglichen Preiserhöhungen. Das Unternehmen will Büchereien und Universitäten zwar Zugang gewähren zum größten Bücherschatz der Welt. Was aber, wenn Google die Preise für diese Zugänge irgendwann verdoppelt, verdreifacht? Was soll eine Hochschul-Bibliothek machen? Google-Konkurrenten wird es mit dem ausgehandelten Deal nicht geben.
Bis das New Yorker Gericht im Herbst entscheidet, kann der Vergleich noch geändert werden. Darauf baut beispielsweise Pamela Samuelson, Professorin an der Berkeley School of Law. Sie will Google dazu bringen, möglichen Konkurrenten Zugang zu seinem Bücherregal zu gewähren. Yahoo oder Microsoft könnten dann Lizenzen der digitalisierten Google-Bücher kaufen und eigene Bibliotheken eröffnen. Gescannte Bücher ohne Urheberrechte sowie wissenschaftliche Werke sollte Google - nach Ansicht der Expertin - ganz unter freie Lizenzen stellen.
So gäbe es dann doch einen Zusammenhang zwischen Google Books und Open Access. Auch wenn dieser anders aussähe, als die Autoren des "Heidelberger Appells" sich ihn vorgestellt haben.
Nach anfänglichem Zögern unterstützen jetzt auch die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen dieses offene Publikationsmodell. Andreas Hübner, von der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.
"Wir wollen mit Open Access erreichen, dass Forschungsergebnisse, die mit öffentlichen Geldern gefördert werden, dass die frei zugänglich sind für jedermann. Dabei handelt es sich um die Leute, die das bezahlt haben, das sind die Steuerzahler und die sollen eben auch Zugang haben zu dem, was sie bezahlt haben."
Heute sind Forschungsergebnisse eine Art steuerfinanzierte Eliten-Lektüre: Staatlich bezahlte Forscher schreiben einen Aufsatz, staatlich bezahlte Kollegen redigieren diesen Text und übergeben ihn in der Regel gratis einem privaten Wissenschaftsverlag. Dieser Verlag druckt damit eine Fachzeitschrift und verkauft diese dann für enorme Summen wieder an staatlich finanzierte Bibliotheken. So kostet etwa ein Jahresabonnement des "Journal of Applied Polymer Science" heute mehr als 21.000 US-Dollar, ein Anstieg von mehr als 30 Prozent seit 2002. Die Folge: Die für die Gemeinschaft ohnehin kaum zugänglichen Fachzeitschriften werden immer rarer, weil immer weniger Bibliotheken sie sich leisten können. Auch Open Access ist für den Staat nicht umsonst, aber die Texte stehen dann wenigsten auch im Netz, nicht nur in der Bibliothek.
Die Max-Planck- und Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft halten mittlerweile von ihnen geförderte Forscher dazu an, ihre Ergebnisse auch im Internet zu veröffentlichen; weil so mehr Menschen von den Erkenntnissen profitieren können. Genau das aber sei mit der Freiheit der Wissenschaft nicht zu vereinbaren und verstoße gegen das Grundgesetz, meinen die Unterzeichner des "Heidelberger Appells". Initiator Roland Reuß spricht von Nötigung, Enteignung und einer "heimlichen technokratischen Machtergreifung". Wissenschaftler würden gar gezwungen, ihre Texte im Internet zu veröffentlichen:
"Da geht es darum, dass im Bereich der Wissenschaft von den Wissenschaftlern gefordert wird, dass sie innerhalb kürzester Zeit am liebsten innerhalb von drei Monaten, alles was sie veröffentlichen auf öffentlichen Servern kostenlos zur Verfügung stellen. Das würde bedeuten, dass kein Wissenschaftler in der Bundesrepublik Deutschland, der von forschungsfördernden Einrichtungen Geld bekommt, noch die Chance hätte, als Buch publiziert werden zu können. Denn kein Verlag hat Interesse daran, ein Buch zu publizieren, das innerhalb von drei Monaten online steht."
Diese Argumentation wäre überzeugend - wenn es denn eine Pflicht zur Online-Publikation nach Open Access gäbe. Ein solcher Zwang existiert aber nicht. Nicht in Form eines Gesetzes und auch die wissenschaftlichen Fördergesellschaften würden Wissenschaftler nicht nötigen bzw. zur Open-Access-Publikation zwingen. Das versichert Johannes Fournier, Programmdirektor "Elektronische Publikationen" bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, DFG:
"Eine derartige Verpflichtung existiert nicht. Im genauen Wortlaut der Open-Access-Richtlinie der DFG heißt es, die DFG 'legt Wert darauf', dass Forschungsergebnisse publiziert und dabei möglichst auch digital im Open Access publiziert werden. Sie merken schon am Wortlaut 'legt wert darauf', dass hier keine Rede von einer Verpflichtung sein kann. Es gibt keinen Zwang zur Open Access Publikation."
Auch wenn der "Heidelberger Appell" polemisiert, überspitzt und übertreibt - er hat eine heiße Debatte entfacht über das Urheberrecht im Internet-Zeitalter. Wenn die erste Panik verflogen ist, werden auch Schriftsteller merken, dass das Netz mehr Chance ist als Bedrohung. Der Google-Vergleich ist ein epochaler Vertrag, der den weltweiten Buchmarkt, ja das Kulturgut Buch insgesamt, radikal verändern wird. Viele Autoren werden davon profitieren. Leser erst recht.