"Es ist, als stieße man eine sehr schwere, in den Angeln ächzende, dem Druck widerstrebende Holztür auf, um ins Helle zu gelangen. Man wendet all seine Kraft auf, tritt über die Schwelle, erwartet nach dem Dämmergrau, in dem man stand, das Licht: stattdessen aber ist es nunmehr eine ganz undurchdringliche Finsternis, die einen umgibt. Verstört und angstvoll tastet man um sich, erfühlt Gegenstände da und dort, ohne sie identifizieren zu können."
Jean Améry: "Hand an sich legen"
Jean Améry: "Hand an sich legen"
Der österreichische Philosoph Jean Améry beschreibt den Moment, in dem er den Entschluss gefasst hat, sich das Leben zu nehmen. Es ist der Anfang seines berühmten Essays: „Hand an sich legen - Diskurs über den Freitod.“ Améry verfasst das Buch zwei Jahre vor seinem eigenen Tod. 1978 nimmt er sich mit 66 Jahren das Leben. Als österreichischer Jude und Widerstandskämpfer hatte er unvorstellbares Leid erfahren: Améry musste Verfolgung, Flucht, Folter und schließlich die Verschleppung nach Ausschwitz ertragen.
"Ein klares Plädoyer für den Freitod"
In seinem Essay setzt er sich literarisch-philosophisch mit dem Suizid auseinander. Am Ende des Buches wird Améry den Freitod als den letzten Ausdruck des freien Willens verteidigen. Dazu der österreichische Kulturwissenschaftler Thomas Macho:
"Also das war ein ganz entschiedenes und klares Plädoyer für den Freitod und ist sozusagen ein Stück weit eine literarische und essayistisch auch sehr ausgearbeitete Studie zur Perspektive des Freitods. Von daher kann man sagen, Amérys Buch ist in gewisser Hinsicht bis heute ein ganz wichtiger Text für Bewegungen, die sich um die Liberalisierung von Suizid und Sterbehilfe bemühen und natürlich gibt es auch ein Kapitel, das den Titel trägt 'sich selbst gehören'."
Der Mensch gehört sich selbst und hat deshalb auch das moralische Recht, sein Leben selber zu beenden. Davon war nicht nur der Philosoph Jean Améry überzeugt. Heute gehen viele Menschen ganz selbstverständlich davon aus, dass sie Eigentümer ihres Körpers sind und frei über sich selber entscheiden dürfen. Zugleich streiten Ethiker, Ärzte, Juristen und Theologen in Deutschland heftig darüber, inwiefern Suizid und Suizidbeihilfe moralisch legitim sind. Und wie stark die mittlerweile wieder erlaubte Beihilfe durch Sterbehelfer in Deutschland gesetzlich eingehegt sein sollte.
"Niemand hält es"
Doch nicht erst im 20. Jahrhundert machen sich Menschen Gedanken über den Suizid. Der Streit über die moralische Bewertung der Selbsttötung geht weit zurück in die Vergangenheit. Schon in der Antike haben Philosophen den Suizid sehr unterschiedlich gesehen. Im ersten Jahrhundert nach Christus betont der berühmte römische Philosoph Seneca das Recht, frei über den eigenen Tod zu bestimmen. Als Stoiker fürchtete er ein schäbiges oder untugendhaftes Leben mehr als den Tod. In einem Brief an Lucilius schreibt er:
"Warten müsse man auf das Ende, das die Natur bestimmt hat. Wer das sagt, sieht nicht, dass er den Weg zur Freiheit verschließt. Ich soll warten auf einer Krankheit Grausamkeit oder eines Menschen, obwohl ich in der Lage bin, mitten durch die Qualen ins Freie zu gehen und Widerwärtiges beiseite zu stoßen? Das ist das einzige, weswegen wir über das Leben nicht klagen können: niemand hält es. (…) Es gefällt – lebe; es gefällt nicht – du kannst dorthin zurückkehren, woher du gekommen bist."
Auch Seneca stirbt im Jahr 65 nach Christus in der Nähe von Rom durch eigene Hand. Kaiser Nero hatte ihm die Selbsttötung befohlen, weil er glaubte, dass sich sein früherer Erzieher und Berater an einer Verschwörung beteiligt hatte.
Andere antike Denker - wie der griechische Philosoph Platon - haben den Suizid abgelehnt. Seiner Ansicht nach beruht das Leben auf einer nicht-menschlichen, also göttlichen, Verfügung. Der Mensch muss demzufolge solange leben, bis ein Gott oder die Götter erneut verfügen, dass sein Leben zu Ende ist.
"Eine Auflehnung gegen Gott"
Platons Überzeugungen hinterlassen auch bei den christlichen Denkern tiefe Spuren. So auch beim Kirchenvater Augustinus. Als sich in der Spätantike im Römischen Reich das Christentum allmählich ausbreitet, bringt Augustinus seine theologischen Vorstellungen zu Papier. Darin befasst er sich auch mit der Selbsttötung, die er kategorisch ablehnt. Dazu der evangelische Theologe und Ethiker Hartmut Kreß:
"Da ist ein Einschnitt sicherlich der Kirchenvater Augustinus, der nun ein Argument herausarbeitete, dass er meinte, im Alten Testament - hebräische Bibel, zehn Gebote -, da findet man ja dieses Verbot, zu töten. Du sollst nicht töten. Oder anders gesagt, du sollst nicht morden. Das hat er nun übertragen auf das Verhältnis des Menschen zu sich selbst und hat gesagt, auch die Selbsttötung ist verboten und eine Auflehnung gegen Gott und widerspricht eben dieser hohen Autorität der zehn Gebote."
Bei Augustinus ist der Suizid eine schwere Sünde, ein Verbrechen. Denn der Mensch gehört nach christlichem Verständnis eben nicht sich selbst, sondern Gott. Diese Vorstellung zieht sich durch das gesamte christliche Mittelalter bis in die Neuzeit. Die Kirchen verweigerten den sogenannten Selbstmördern eine kirchliche Bestattung. Jahrhundertelang wurden sie mit Schimpf und Schande neben Tierkadavern auf dem Schindanger verscharrt. Auch die christlichen Landesherren gingen hart mit sogenannten Selbstmördern ins Gericht und führten als Strafe Exekutionen noch am Leichnam durch.
Natürliche Freiheit vs. Pflicht gegen sich selbst
Die Lage ändert sich im 18. Jahrhundert, als der Geist der Aufklärung durch Europa weht. In England, Frankreich und in Deutschland berufen sich Philosophen auf die Vernunft, mit der sie gegen Vorurteile, Aberglauben und überholte traditionelle Vorstellungen kämpfen. Plötzlich erscheint der Suizid wieder in einem anderen Licht. Wie schon in der Antike verteidigen Philosophen der Aufklärung den freien Tod. Für viele Denker dieser Zeit ist er Ausdruck der Selbstbestimmung des Menschen. So auch für den bedeutenden englischen Philosophen David Hume:
"Wir wollen hier versuchen, den Menschen in seiner natürlichen Freiheit wieder einzusetzen, indem wir alle Argumente gegen den Selbstmord prüfen und zeigen, dass diese Handlung ohne irgendwelche Schuld oder Tadel begangen werden mag (…) Dass Selbstmord oft mit dem Interesse und mit der Pflicht gegen uns selbst verträglich ist, kann niemand bezweifeln, der zugibt, dass Alter, Krankheit oder Unglück das Leben zu einer Last und selbst schlimmer als seine Vernichtung machen können. Ich glaube, dass noch niemand ein Leben wegwarf, das zu erhalten der Mühe wert war."
Doch wie schon in der Antike ist der Suizid auch in der Aufklärung umstritten. Nicht alle Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts halten die Selbsttötung für moralisch vertretbar.
Im ostpreußischen Königsberg sitzt Immanuel Kant in seinem Studierzimmer und verfasst eines der bedeutendsten philosophischen Werke des Abendlandes. Darin lehnt er den Suizid entschieden ab. Der Mensch müsse anerkennen, dass er in seiner Eigenschaft als Person eine strenge Pflicht gegen sich selbst habe, sein Leben zu erhalten. Das bedeutet nach Kant aber nicht, dass der Staat ein Recht hat, den Suizid zu bestrafen. Denn nach Kant schuldet der Mensch sich selbst, den Suizid zu unterlassen - und nicht den anderen, also auch nicht der Gesellschaft.
Indirekt kritisiert Kant damit die Rechtsprechung seiner Zeit. Zwar hebt Friedrich der II. die Suizidstrafen in Preußen 1751 bereits auf. Doch in vielen anderen Herrschaftsgebieten wurde Suizid noch wie Mord behandelt. Dazu der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel:
"Die rechtliche Bestrafung des Suizids ist nach Kant untersagt. Und das hat eine erhebliche Wirkung über den großen Strafrechtler Paul Johann Anselm von Feuerbach, ein junger Zeitgenosse sozusagen noch Immanuel Kants, der die kant'sche Philosophie aufgenommen hat und der, wenn Sie so wollen, der Urgroßvater unserer modernen Strafrechtsordnung ist. Im Anschluss an Feuerbach hat sich bis zur Mitte dann des 19. Jahrhunderts durchgesetzt, dass der Staat kein Recht hat, den Suizid mit dem Strafrecht zu verfolgen."
Heroisierung des Suizids zum Freitod
Trotzdem ist das Verbot des Suizids damit nicht überall in Europa vom Tisch. Im Vereinigten Königreich galt der Suizidversuch noch bis 1961 als Straftat. Mit der Begründung, dass die Krone durch den Suizid einen Untertanen verliert.
Der Streit um die Frage "Wem gehört mein Leben?" ist also auch nach der Aufklärung nicht beendet. In der Moderne nimmt die Debatte sogar erst richtig Fahrt auf. Einer der radikalsten Denker ist der Philosoph Friedrich Nietzsche. Er kritisiert am Ende des 19. Jahrhunderts traditionelle ethische, philosophische, religiöse und ästhetische Vorstellungen. In seinem Werk „Also sprach Zarathusta“ hält er ein engagiertes Plädoyer für den freiwilligen Tod:
"Meinen Tod lobe ich euch, den freien Tod, der mir kommt, weil ich will. (…) Manchem mißrät das Leben: ein Giftwurm frißt sich ihm ans Herz. So möge er zusehn, dass ihm das Sterben um so mehr gerate. Frei zum Tode und frei im Tode, ein heiliger Nein-Sager, wenn es nicht Zeit mehr ist zum: Ja: also versteht er sich auf den Tod und das Leben. In eurem Sterben soll noch euer Geist und eure Tugend glühn, gleich einem Abendrot um die Erde: oder aber das Sterben ist euch schlecht geraten."
Nietzsche setzt die philosophische Tradition nicht nur fort, in der die Freiheit zum Tode als höchste Form der persönlichen Selbstbestimmung angesehen wird - er heroisiert den Suizid und prägt den Begriff Freitod bis heute.
"In dem Moment sehen die Betroffenen das ja nicht"
Doch Nietzsche bleibt nicht unwidersprochen. Mit dem Aufstieg der Psychologie und der Medizin wird der Suizid vor allem Ausdruck von Krankheit. Dabei spielen ungünstige biografische Faktoren, erbliche Anlagen, psychische Dispositionen und Lebensumstände eine große Rolle. Ute Lewitzka von der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention bestreitet deshalb, dass sich ein Mensch wirklich frei für den Suizid entscheiden kann:
"Auf einer ethisch-philosophischen Ebene kann man das diskutieren. Aber in der Realität nicht, bei jedem einzelnen Menschen, der auf der Brücke steht und runterspringen will. Wenn ich den fragen würde, was dazu geführt hat, sagt er, er hat gerade eine Trennung, er hat eine schlimme Diagnose, er hat seinen Arbeitsplatz verloren. Das heißt, in diesem meist sehr kurzen Zeitfenster ist das, was wir so als wirklich freien Willen beschreiben würden, nicht unbeeinflusst. Ich sage nicht, dass das stark beeinträchtigt ist. Nur im Zweifelsfall würde ich eher versuchen, sein Leben zu retten, gegebenenfalls auch gegen den Willen, weil ich ganz, ganz häufig erlebt habe, dass im Nachgang diese Situation mit etwas Abstand ganz, ganz anders bewertet wird. Aber in dem Moment sehen die Betroffenen das ja nicht."
Wer sich umbringen will, befindet sich nach Ansicht von Ärzten oft in einer psychischen Notlage oder sogar in einem pathologischen Zustand. Viele Menschen mit Suizidabsicht müssten deshalb vor sich selbst geschützt werden - notfalls auch mit Zwang durch die Einweisung in eine psychiatrische Klinik.
Wann ist ein Suizid frei verantwortlich?
In Deutschland begehen jedes Jahr etwa 10 000 Menschen Suizid. Die meisten von ihnen sind ältere Männer. Aber auch unter den 15- bis 25-Jährigen ist der Suizid die zweithäufigste Todesursache. Deshalb haben Ärzte dem Suizid längst den Kampf angesagt. Sie forschen, klären auf, bieten Therapie und Hilfe in Krisensituationen an. Eine unbestritten wichtige Arbeit. Auch für die Verteidiger eines frei verantwortlichen Suizids. Denn bei weitem nicht jeder Suizidwunsch sei akzeptabel, meint der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel:
"Stellen Sie sich den 20-Jährigen vor, der zum ersten Mal vollkommen desperat ein katastrophales Erlebnis einer zerbrechenden Liebesbeziehung hat und glaubt, er könne es nicht aushalten. Und einen Freund bittet, ihm beim Suizid zu helfen. So jemandem darf man nicht helfen, also moralisch, rechtlich ist es straflos und muss es straflos bleiben: Es ist aber moralisch verwerflich. Suizidentschlüsse, die keinen hinreichend und erkennbar keinen stabilen Grund haben, darf man nicht unterstützen."
Ein Suizidwunsch ist nach Ansicht von Reinhard Merkel nur dann frei verantwortlich und akzeptabel, wenn er frei von Täuschung, Druck, Irrtümern, falschen Prognosen und augenblicklichen desperaten Motiven ist. Wichtig sei, dass die Gründe für einen Suizidwunsch nach eingehender Prüfung von einem Dritten rational nachvollziehbar, fassbar und dauerhaft stabil seien. Dann aber müsse die Gesellschaft den Suizid akzeptieren.
"Es gibt nicht nur gute moralische Gründe für Menschen, die wissen, dass sie sterben müssen und die schwer leiden - und Leid heißt nicht nur Schmerz. Es gibt Leiden, das können die Ärzte nicht beheben. Also Leiden am eigenen Verfall oder an dem Verlust dessen, was man selbst als die eigene persönliche Würde empfindet. Wer sich in einer solchen Situation, in der er es nicht mehr ertragen kann weiterzuleben, das Leben nimmt, tut nichts, was man tadeln könnte. Die letzte Entscheidung darüber, was man ertragen kann oder nicht mehr ertragen will, die muss die autonome Person selber haben und sie dann auf irgendeine Weise zum Weiterleben zu nötigen, ist eine verwerfliche Anmaßung."
"Die Kirchen passen sich an"
Der Vorwurf richtet sich nicht nur an Ärzte. Auch die christlichen Kirchen lehnen den Suizid nach wie vor aus theologischen und sozialethischen Gründen ab. Petra Bahr, Theologin und Mitglied im Deutschen Ethikrat, meint, dass die autonome Selbstbestimmung des Sterbewilligen hinterfragt werden müsse nach den eigentlichen Wünschen und Nöten. Gegenüber dem Deutschlandfunk sagte sie 2020:
"Es ist nicht so, dass jeder Sterbewunsch automatisch der Wunsch nach einem Suizid ist, sondern oft ist es der Wunsch, anders leben zu können. Anders leben zu können, weil man in tiefer Einsamkeit steckt, in einer großen psychischen Krise oder weil man gerade eine furchtbare Diagnose erhalten hat. Und deswegen sind zumindest Störfragen etwas, was die Selbstbestimmung des Gegenübers gerade nicht verkleinert, sondern diesen in seinen Wünschen wirklich ernst nimmt. Und das ist in protestantischer Perspektive mein Wunsch, dass der Selbstbestimmungsbegriff noch mal etwas befragt wird."
Auch die traumatischen Folgen eines frei verantworteten Suizids für Angehörige müsse man bedenken. Freiheit im protestantischen Sinne sei immer verantwortete Freiheit. Allerdings räumt Petra Bahr gemeinsam mit anderen evangelischen Theologen ein, dass in Extremfällen der Suizidwunsch akzeptiert werden müsse. Hat sich also die Haltung vor allem der evangelischen Kirche zum Suizid verändert? Dazu noch einmal der evangelische Theologe und Ethiker Hartmut Kreß:
"Die Kirchen passen sich durchaus an und vermeiden die schroffen Verurteilungen. Andererseits das ist nach wie vor so, vor allem katholische Kirche, aber auch ganz weitgehend in den evangelischen Kirchen: Gott ist der Schöpfer des Menschen. Der Mensch darf und kann über sein Leben nicht verfügen. Individualethisch, also auf die Einzelpersonen hin bezogen, könne man eine Selbsttötung für hinnehmbar halten, wenn tatsächlich schweres Leiden der Auslöser gewesen ist. Dann möchte man diese betreffende Person nicht verurteilen. Aber die Gesellschaft als Ganze und dann vor allem die Gesellschaft in ihrer Rechtsordnung kann das nicht akzeptieren."
Paragraf 217 ist abgeschafft - die Debatte bleibt
Die christliche Position zum Suizid mit der strikten Ablehnung der Suizidbeihilfe hatte großen Einfluss auf die Politik. Im Jahr 2015 beschloss der Deutsche Bundestag den Paragrafen 217. Danach ist die sogenannte geschäftsmäßige Förderung des Suizids verboten. Das heißt nicht Suizidbeihilfe gegen ein Honorar, sondern eine organisierte, auf Wiederholung angelegte Sterbehilfe durch Vereine oder Ärzte. Für Menschen mit Suizidwunsch - etwa im Endstadium einer Krebserkrankung - eine fatale Situation.
Nicht jeder Todkranke bekommt in Deutschland einen Palliativplatz oder möchte sediert in den Tod dämmern. Einige Patienten wollen ihr Leid mit einem Suizid abkürzen. Der Paragraf 217 hat es Menschen aber nahezu unmöglich gemacht, einen gewaltfreien Suizid zu begehen. Tatsächlich erklärt das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 den Paragrafen 217 für null und nichtig. Die Richter stellten klar, dass es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt. Das schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen. Ärzte in der Suizidprävention reagierten geschockt und befürchten einen ethischen Dammbruch, so Ute Lewitzka:
"Ganz, ganz problematisch ist natürlich, wenn jetzt der assistierte Suizid praktisch möglich ist, straffrei. Dann wird es nicht lange dauern und es wird Betroffene geben, die klagen werden, beispielsweise bei einer Querschnittslähmung, die sagen: ich kann mir nicht assistiert so das Leben nehmen, weil ich beispielsweise gelähmt bin. Das heißt, ich bin aber ein Mensch mit denselben Rechten. Ich möchte, dass man mich suizidiert. Und dann geht es um Tötung auf Verlangen und es wird der nächste Schritt sein."
Befürworter halten es für falsch, die Suizidbeihilfe in Deutschland zu verbieten. Sie halten das Dammbruch-Argument für problematisch, weil es eine Zwangsläufigkeit unterstellt, die nicht überprüft werden kann. Im Übrigen verpflichtet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts keinen Arzt, gegen seine Überzeugung Sterbehilfe zu leisten. Umgekehrt darf aber niemand einem Sterbewilligen den frei verantwortlichen Suizid und Suizidbeihilfe verbieten. Dazu noch einmal Reinhard Merkel:
"Es steht niemandem zu, von außen zu sagen: Du willst sterben, aber ich weiß es besser als du, das kann man aushalten. Das ist eine Intervention in den innersten Bereich der autonomen Persönlichkeit und damit tangiert es die menschliche Würde."