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Wenig bleibt nach dem Verlust der Guttenberg-Maske

Jeder Auftritt des einstigen Vorzeige-Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg war eine Inszenierung. Reinhart Meyer-Kalkus und Oliver Lepsius, Nachfolger von Guttenbergs Doktorvater Peter Häberle an der Juristischen Fakultät der Uni Bayreuth, befassen sich mit Guttenbergs öffentlicher Rolle.

Von Peter Carstens |
    Karl-Theodor zu Guttenberg hatte seinen Doktortitel durch Lug und Trug erworben. Professor Oliver Lepsius, Staatsrechtler an Guttenbergs Bayreuther Universität, trug das Seine zur Wiederherstellung akademischer und politischer Ordnung bei, als er Guttenberg auf dem Höhepunkt der Affäre öffentlich einen "Betrüger" nannte. Lepsius hat der Fall weiter beschäftigt: Welche Bedeutung hatte das Internet in dieser Sache? Welche Rolle spielt Guttenbergs adelige Herkunft? Wie versuchte Guttenberg, mit vorgetäuschter Demut eine Dolchstoßlegende zu etablieren? Oder auch: Was lehrt uns der Fall Guttenberg im Spiegel des antiken römischen Heerwesens? Das sind einige interessante Fragen, die Lepsius als Herausgeber des Buches "Inszenierung als Beruf" den Autoren vorlegte.

    Politiker kommen darin nicht zu Wort, dafür aber Literaturwissenschaftler, Philosophen, Medienwissenschaftler und ein Archäologe. Die Lektüre des Sammelbandes ist ein reines Vergnügen. Gustav Seibt erörtert die "altehrwürdige Kunst" der adeligen Lüge am Beispiel bedeutender Guttenberg-Vorläufer wie dem hessisch-sauerländischen Aristokraten Casimir Prinz Wittgenstein, dem die Hessen-CDU die dreiste Behauptung verdankt, dass "jüdische Vermächtnisse" und nicht Schwarzgeld ihr Kassen gefüllt hätten. In Guttenberg habe man, so Seibt,

    "schon wieder ein Virtuosenstück dieser gummiartig beweglichen und zugleich wetterfest tannenhaften aristokratischen Prinzipienstärke anstaunen dürfen",

    wobei er sich fragt, was in Bundeskanzlerin Merkel gefahren war, als sie den Politiker körperlich vom Doktoranden zu trennen versuchte, mit der Behauptung, sie habe keinen wissenschaftlichen Assistenten berufen, sondern einen Verteidigungsminister. Die daraus im Feuilleton kreierte "Zwei-Körper-Theorie" erörtert Petra Gehring in ihrem Aufsatz und fragt sich am Ende, ob Frau Merkel zu Guttenberg nicht genau damit in eine Falle gelockt habe.

    Lesenswert sind auch die Erwägungen zum Bedeutungsverlust der Leitmedien, allen voran der "Bild-Zeitung", der es trotz voller Trommelstärke nicht gelang, ihren glamourösen Auflagenkanzler im Amt zu halten. Guttenbergs Entlarvung wurde per Internet vollzogen. Seine Verteidigung wiederum entblätterten Qualitätszeitungen der Republik als das, was sie nach einem Wort von Lepsius war: "Entweder verlogen oder meschugge". Es zeigte sich im Internet, so die Autoren Uwe Pörksen und Hanne Detel ,

    "zu welchen Leistungen ein strikt auf Entlarvungskurs getrimmter Schwarm in der Lage ist. ... Die Entlarvungsarbeit wird an den Schwarm delegiert, der die Leistungen einzelner, etablierter Medienhäuser zu übertrumpfen vermag".

    So habe selbst die "Spiegel"-Dokumentation, die zu den besten Rechercheabteilungen der Republik gehöre, nur einen Bruchteil dessen gefunden, was der "organisierte Schwarm" in enormer Enthüllungsgeschwindigkeit zutage förderte. Ein ebenfalls origineller Beitrag widmet sich der bildlichen Selbstinszenierung Guttenbergs am Beispiel eines Fotos, das ihn in voller Flieger-Montur vor einem Kampfjet der Luftwaffe zeigt.

    Der Kunsthistoriker Johannes von Müller beschreibt ihn hier als "Indikator eines neuen ikonografischen Rahmens der Bundesrepublik" und ordnet fröhlich dieses inszenierte Flieger-Foto Rüstungsbildern und gemalten Investiturszenen der Renaissance zu, zum Beispiel dem "Bildnis eines jungen Feldherrn" des Malers Antonius van Dyck von etwa 1624. Von Müller ordnet Guttenbergs Foto zwischen Kostümprobe und Top-Gun-Pose ein, und dieser angenommene Aufwand fasziniert auch noch den nachträglichen Betrachter.

    Ein eindrucksvoller Aufsatz dieses wunderbaren Sammelbandes ist schließlich der Essay von Sebastian Diziol, der Satz für Satz die Abschiedsrede Guttenbergs analysiert und sie als durchtriebene – aber zugegebenermaßen kunstvolle – Lügeninszenierung seziert. Guttenberg in der

    "Rolle des opferbereiten Märtyrers, der sich einsam und letztlich wehrlos vor seine Schutzbefohlenen ins Kreuzfeuer seiner Gegner stellt".

    Der Begriff "Schuld" taucht beim Abschied gar nicht erst auf, höchstens ist von "Versäumnissen" oder "Schwächen" die Rede, allzu menschlichen natürlich. Außerdem durchziehen Worte wie herzlich, von Herzen, schweren Herzens und Herzblut die von pathetischen Märtyrermotiven durchflochtene Ansprache. Guttenberg versuchte, sich selbst noch im Großbetrug als Verantwortungsethiker zu stilisieren. Ab und an läuft es einem da kalt den Rücken runter. Am Ende sagte er feierlich:

    "Abschließend ein Satz, der für einen Politiker ungewöhnlich klingen mag. Ich war immer bereit, zu kämpfen, aber ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht. Vielen Dank."

    Dann verschwand er, Comeback nicht ausgeschlossen. Neulich hat man ihn in Berlin am Theodor-Heuss-Platz gesehen, angeblich ohne Haargel in der Frisur. - Anzeichen eines Wandels? Jedenfalls wäre die Betrachtung aus der Perspektive eines Friseurs so ziemlich das Einzige, was dem Leser in der schönen Fallstudie "Inszenierung als Beruf" noch fehlen könnte.


    Oliver Lepsius, Reinhart Meyer-Kalkus (Hg.): "Inszenierung als Beruf. Der Fall Guttenberg."
    Edition Suhrkamp
    215 Seiten, 10,00 Euro
    ISBN: 978-3-518-06208-1
    Auf Titelseiten verschiedener deutscher Tageszeitungen sind Berichte über den Rücktritt von Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg (CSU) zu sehen.
    Auf Titelseiten verschiedener deutscher Tageszeitungen sind Berichte über den Rücktritt Guttenbergs zu sehen. (picture alliance / dpa)