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Wenig Lust auf den Euro

Estland ist der einzige baltische Staat, der den Euro bereits eingeführt hat. Litauen und Lettland sollen bald folgen, denn im Prinzip bleibt den Regierungen keine andere Wahl. Anders als für Großbritannien oder Schweden gilt für die jüngeren EU-Staaten ein Euro-Automatismus. Wer die Kriterien erfüllt, kommt in die Eurozone. Die baltischen Republiken waren 2004 in die Europäische Union aufgenommen worden. Lettland will die Maastricht-Kriterien spätestens im nächsten Jahr erfüllen. Die Schuldenkrise hat den Euro allerdings auch in Lettland nicht beliebter gemacht.

Von Tim Krohn |
    Marija Garaa ist 70. Jeden Morgen um vier macht sich die Rentnerin auf den Weg, mit dem Bus nach Riga auf den großen Zentralmarkt. Marija hat dort einen kleinen Stand und verkauft ihre eigenen Blumen. Spät am Nachmittag geht es zurück in ihr Dorf, Sträuße binden, schlafen und dann wieder los.

    "Zehn Lati habe ich heute verdient, das sind etwa 15 Euro. Mehr nicht. Die Sträuße gehen weg für einen halben Lat, als umgerechnet 75 Euro-Cent."

    Marija hat viel verloren in den letzten Jahren. Lettland hing am Tropf des Internationalen Währungsfonds. Jeder fünfte Lette hatte seinen Job verloren und die Renten reichten vorne und hinten nicht mehr. Ohne Blumen kein Gas zum Heizen - Marija hat sich irgendwie daran gewöhnt.

    Spätestens 2016 soll Marija nun anderes Geld bekommen. Dann soll es klappen mit dem Euro, verspricht Finanzminister Andris Vilks. Die Auflagen aus Brüssel könne man inzwischen erfüllen.

    "Wenn wir vom Euro sprechen - der ist für uns natürlich sehr von Bedeutung. Lettland hat immer die fundamentalen Werte der EU angestrebt und eins davon ist nun mal die Eurozone! Die lettische Gesellschaft hat ja gezeigt, dass sie den Schutz des Euro will und wir sind bereit, alle Forderungen der Eurozone zu respektieren."

    Wollen die Letten wirklich? Ausgerechnet jetzt, wo sich die Wirtschaft langsam erholt, soll man sich da ernsthaft mit Griechen und Spaniern ins gemeinsame Boot setzen? Aufbruchstimmung, das weiß auch der zuständige Finanzminister, klingt irgendwie anders.

    "Es hat uns viel gekostet. Es gab Zeiten, da lag die Arbeitslosigkeit höher als 20 Prozent. Die Gehälter im öffentlichen Dienst wurden um ein Viertel gekürzt. Und in der privaten Wirtschaft sanken die Einkommen um 10 Prozent. Aber wir haben es geschafft! Und ich wünsche mir, dass die Griechen endlich begreifen: Sie müssen so etwas auch umsetzen. Wenn man die schmerzhaften Einschnitte vor sich herschiebt, dann wird es immer schwerer, die Reformen auch umzusetzen."

    Nicht nur die Alten sehen dem Euro mit Sorge entgegen. Auch Lettlands Unternehmer sind alles andere als euphorisch. Sandra Peicz zum Beispiel. Ihr Betrieb stellt Baukästen für Kinder her - hochwertiges Spielzeug, das sich in Lettland selbst kaum jemand leisten kann. Das Familienunternehmen hat Dutzende Angestellte und Kunden aus ganz Europa. Natürlich, eine gemeinsame Währung würde da schon vieles erleichtern, erzählt Sandra. Aber die Zweifel überwiegen dann doch. Der Absatzmarkt in Südeuropa sei für sie ohnehin schon eingebrochen.

    "Wir sind ein postsowjetisches Land. Damals als wir unabhängig wurden, mussten wir von einem Tag auf den anderen alles aufs Sparen umstellen. Wir Unternehmer mussten uns völlig umstellen, neu anfangen, uns einer völlig anderen Realität stellen."

    Kaum jemand hat deshalb Verständnis für das griechische Drama. Sandras Geschäftspartnerin Evija spricht aus, was viele hier denken.

    " Ich denke, die Menschen dort müssen sich umstellen, müssen aktiver und produktiver werden, sie müssen auf die Siesta verzichten und erst sparen, bevor sie etwas kaufen."

    Die Einführung des Euro - da bräuchte es in Lettland mehr als nur eine gute Imagekampagne, sagt einer, der es wissen muss. Erik Stendzenieks ist preisgekrönter Werbefachmann aus Riga. Seine Spots hatten damals die Letten auf die EU eingestimmt.

    Aber jetzt für den Euro, nein, sagt er, da würde ihm im Moment nichts einfallen.

    "Werbung für den Euro zu machen ist schwierig. Weil man erst eine gute Idee für Europa braucht, als Grundlage für eine Werbekampagne. Das hätte man aber schon tun müssen. Und man hätte prüfen müssen, ob so ein Konzept für Europa überhaupt lebensfähig sein würde."


    Marija Garaa, die alte Frau mit den Blumen, ließe sich von der Idee von Europa wohl eh nicht überzeugen. Sie hat in ihrem Leben schon mit Rubel und Lats gezahlt und nie hat es gereicht.

    "Ich hoffe auf nichts. Als wir unabhängig wurden und dann unser eigenes lettisches Geld bekamen, den Lats, da sind wir alle erst mal arm geworden. Jetzt schon wieder neues Geld! Wissen Sie, ich will gar nicht so weit in die Zukunft schauen, das macht mir Angst."

    Wenn eine neue Währung kommt, erzählt die alte Dame noch, sei es doch immer das Gleiche. Wieso sollte das mit dem Euro jetzt anders sein, fragt sie, packt ihre Blumen zusammen und zählt ihre Einnahmen. Wie gesagt, es wären umgerechnet gerade mal 15 Euro für einen ganzen Tag auf den Beinen.